gefangen fortführte, da erschienen die angesehensten Leute auf dem Bahnhof, sagten ihm herzlich Lebewohl und – Auf Wiedersehen! Denn er wird wiederkommen.
Was sagt diese Geschichte alles! Ein neues Leben vermag selbst Verbrecher zu bessern. Und wir haben doch verhältnissmässig sehr wenige Verbrecher. Man lese dazu eine interessante Statistik „Die Kriminalität der Juden in Deutschland“, die von Dr. P. Nathan in Berlin – im Auftrage des Comités zur Abwehr antisemitischer Angriffe – auf Grund amtlicher Ausweise zusammengestellt wurde. Freilich geht aber diese zahlenerfüllte Schrift, wie manche andere „Abwehr“ von dem Irrthum aus, dass sich der Antisemitismus vernünftig widerlegen lasse. Man hasst uns vermuthlich ebensosehr wegen unserer Vorzüge, wie wegen unserer Fehler.
Ich denke mir, dass die Regierungen diesem Entwurfe freiwillig oder unter dem Drucke ihrer Antisemiten einige Aufmerksamkeit schenken werden, und vielleicht wird man sogar da und dort von Anfang an dem Plane mit Sympathie entgegenkommen, und es der Society of Jews auch zeigen.
Denn durch die Judenwanderung, die ich meine, können keine wirthschaftlichen Krisen entstehen. Solche Krisen, die im Gefolge von Judenhetzen überall kommen müssten, würden durch die Ausführung dieses Entwurfes vielmehr verhindert werden. Eine grosse Periode der Wohlfahrt würde in den jetzt antisemitischen Ländern beginnen. Es wird ja, wie ich schon oft sagte, eine innere Wanderung der christlichen Staatsbürger in die langsam und planvoll evacuirten Positionen der Juden stattfinden. Wenn man uns nicht nur gewähren lässt, sondern geradezu hilft, so wird die Bewegung überall befruchtend wirken. Es ist auch eine bornirte Vorstellung, von der man sich frei machen muss, dass durch den Abzug vieler Juden eine Verarmung der Länder eintreten müsste. Anders stellt sich ein Abzug infolge von Hetzen dar, wobei allerdings, wie in der Verwirrung eines Krieges, Güter zerstört werden. Und anders ist der friedliche freiwillige Abzug von Colonisten, wobei alles unter Schonung erworbener Rechte, in vollster Gesetzlichkeit, frei und offen, am hellen Tage, unter den Augen der Behörden, unter der Controle der öffentlichen Meinung vollzogen werden kann. Die Auswanderung
Theodor Herzl: Der Judenstaat, Berlin und Wien 1896, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Herzl_Judenstaat_78.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2018)