in einem amorphen, glasartigen, also festen Zustand befindet. Einen kleinen Fingerzeig liefert aber die Erdbebenforschung doch. Es läßt sich nämlich zeigen, daß unter den wahrscheinlichsten Annahmen über die Dichte des Materials sein elastischer Widerstand gegen Formveränderungen, der sonst allgemein mit der Tiefe wächst, bei etwa 70 km Tiefe eine Unterbrechung dieses Wachstums, vielleicht sogar eine vorübergehende Schwächung erfährt. Und dies wird, z. B. von Gutenberg [104], so ausgelegt, daß wahrscheinlich in dieser Tiefe der kristalline Zustand von dem amorphen glasartigen abgelöst wird. Und wenn letzterer auch für die kurzdauernden Kräfte der Erdbebenwellen als fest zu betrachten ist, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß er Kräften gegenüber, die durch geologische Zeiten wirken, einen beträchtlichen Grad von Fluidität aufweist.
Auch gewisse geologische Tatsachen erfordern in diesem Zusammenhang Beachtung. Die seltsamen großen „Granitaufschmelzungen“, wie sie z. B. von Cloos [103] aus Südafrika beschrieben sind, zeigen, daß die Schmelzisotherme des Granits in gewissen erdgeschichtlichen Perioden stellenweise bis dicht unter die Erdoberfläche vorgedrungen ist. Um so mehr müssen also damals die Tiefen von 60 bis 100 km geschmolzen gewesen sein. Die Isothermenflächen haben eben in der Erde keine feste Lage, sondern variieren sowohl
Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_059.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)