Verschiedene: Die Gartenlaube (1853) | |
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Aber nun sieh Dir einmal den Eichenzweig F. 4 an. An ihm sind die Knospen zu großen bleichfarbigen artischocken- oder hopfenähnlichen Bildungen umgewandelt. Die Knospenschuppen sind zu förmlichen Blättchen geworden, die äußeren breit und kurz, die inneren schmal und lang.
Inwendig findet sich im Grunde dieser metamorphosirten Eichenknospe ein braunschwarzer Körper (F. 5), der einem Apfelkerne an Gestalt und Größe nahe kommt. Das ist die eigentliche Kammer des Lärvchens; das andere ist blos Nebensache. Bei F. 6 habe ich von dieser Kammer senkrecht ein Stück abgeschnitten und Du siehst inwendig die gekrümmte Gallwespenlarve liegen.
Figur 7 zeigt Dir ein Eichenblatt. Auf seiner Oberseite sitzen eine Menge kleine Bach-Gallen, welche ich Dir nicht besser, als durch eine Vergleichung mit – Hemdenknöpfchen beschreiben kann. Ihr Rand ist etwas erhabener als der Mittelpunkt, und von diesem sind sie nach dem Rande hin mit seidenartigem Ueberzuge strahlig bedeckt. Auch in diesem engen Kämmerlein, von denen F. 8 eine Vergrößerung zeigt, liegt ein Lärvchen.
Ist das nicht die wahre, echte „natürliche Magie“?
Versuchen wir es jetzt, sie uns zu erklären.
Wir finden, wie überall im Thierreiche, so namentlich bei den Insekten die wunderbarsten und sinnreichsten Vorkehrungen von der Natur getroffen bei der Ablegung der Eier und überhaupt in der Sorge für die Nachkommenschaft. Bei den Gallwespen sind dieselben rein chemischer Natur und bieten, wie vielleicht nirgends augenfälliger im ganzen Naturhaushalte, den Beweis, daß alles Leben zuletzt auf physikalischen und chemischen Processen beruht.
Es ist unmöglich, sich die Sache anders und mit den Naturgesetzen übereinstimmender zu denken, als so, daß das Gallwespenweibchen bei dem Stiche in das Pflanzenglied mit dem Ei zugleich ein winziges Tröpfchen eines Saftes in die Wunde bringt, welches mit den Säften der Pflanze sofort sich vermischt und dadurch die Gallenbildung hervorruft. Die Verschiedenheit der von den verschiedenen Gallwespenarten abgegebenen Säfte (denn ohne Zweifel sind sie in jeder Art verschieden) und die Verschiedenheit der Pflanzensäfte bedingen die verschiedene Form und Beschaffenheit der Gallen.
Wenn man die Sache so auffaßt, wie man sie vernunft- und naturgemäß gar nicht anders auffassen kann, dann hört die Gallenbildung auf, blos eine Nahrung für das nach Naturwundern verlangende Gemüth zu sein, und sie wird eine von den erst wenigen aufgefundenen Wurzeln, aus welchen die Wissenschaft dereinst den Baum des Lebens aufbauen wird.
Ja, Freund, in dem Zunächst liegenden, von uns darum meist Uebersehenen, liegen oft die wichtigsten Aufschlüsse über das Geheimniß des Lebens.
Nichts ist klein, was uns Anlaß zum forschenden Denken darüber giebt!
Unterhaltungen über deutsche Classiker.
„Wenn Deutschland“, sagt die Cotta’sche Buchhandlung in der Ankündigung der eben erscheinenden wohlfeilen Ausgabe der deutschen Classiker, die, nebenbei gesagt, sehr ärmlich und geschmacklos ausgestattet ist, „trotz aller politischen Zerklüftung auf etwas stolz zu sein das Recht hat, so sind es seine großen Dichter und Denker, deren unsterbliche Werke, hervorgegangen aus dem unergründlichen Walten des Volksgeistes, umgekehrt wieder auf dessen Entwicklung und Fortbildung den mächtigsten Einfluß zu üben bestimmt sind. Diese Schriften, die Geistesblüthen der Edelsten unseres Volkes, sind ein reicher unerschöpflicher Born, der seinen befruchtenden Segen über die gegenwärtigen und kommenden Geschlechter in ungeschwächter Kraft fort und fort ergießt; sie sind ein theures Vermächtniß, zu dessen Genusse jeder, der dazu die Fähigkeit hat, berechtigt ist“.
Sehr wahr, aber das Verständniß und somit der Genuß dieser unsterblichen Werke würde um ein Bedeutendes gefördert werden durch genauere Kenntniß der Männer, die sie schufen, und für diese Kenntniß ist unter den Tausenden im Volke, die Schiller, Göthe u. s. w. verehren und bewundern, bisher sehr wenig gethan worden, obschon der schönste Stoff in reichster Fülle namentlich in den Briefen sich findet, welche jene Männer unter einander und mit Andern gewechselt haben und die gedruckt vorliegen. Freilich umfassen diese Briefe bereits wohl hundert Bände und es ist nicht Jedermanns Sache, dieselben durchzustudiren.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_063.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)