Verschiedene: Die Gartenlaube (1853) | |
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No. 7. | 1853. |
Die Theerose.
Da stand sie, in der kleinen grünen Vase auf einem Ständer von Ebenholz im Fenster des Wohnzimmers. Die reichen, seidenen Gardinen mit ihren kostbaren Franzen hüllten sie von beiden Seiten ein und rund um her im Zimmer glänzte alles Schöne und Kostbare, was Luxus bieten konnte, und doch war diese einfache Rose das Schönste von Allem. Sie sah so rein aus, ihre weißen Blätter hatten diesen wundervollen blaßrosigen Schimmer, der ihr so eigen ist: ihr Kelch war so voll und reich: ihr Haupt wiegte und beugte sich, als ob es in seinem eignen Reichthume niedersinken möchte - oh! wann schufen Menschen wohl jemals Etwas, das einer lebendig blühenden schönen Blume gliche.
Aber die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster eindrangen, beleuchteten noch Etwas, das schöner war als die Rose. Auf einer Ottomane hingestreckt und tief versenkt in der Lektüre eines Buches, ruhte sie, die ein Seitenstück der so lieblichen Blume zu sein schien. Ihre bleiche Wangen, die geistvolle Stirn, die gedankenreichen Züge, die langen niedergesenkten[WS 1] Augenwimpern und der zwar schwermüthige doch milde und liebenswürdige Ausdruck des schönen Mundes - alles Das erschien wie ein Traumbild.
„Florence! Florence!“ rief eine heitere melodiöse Stimme in ungeduldigem Tone. Wende dein Haupt, Leser, und du wirst eine blühende strahlende Maid sehen, das echte Bild eines kleinen neckischen Elfen, mit leuchtendem Auge, einem Füßchen, das kaum den Boden berührt, und einem durch reizende Grübchen so vervielfältigten Lächeln, das es wie tausend Lächeln aussieht.
„Komm Florence,“ sagte der kleine Puck, „lege das vortreffliche gelehrte Buch bei Seite und steige von Deinem hohen Sitz hernieder, um mit mir armen Sterblichen zu sprechen.“
Die schöne Erscheinung folgte der Bitte und zeigte, aufblickend, gerade solche Augen, wie man sie unter solchen Wimpern erwartet hatte - Augen, tief, bedeutend und reich, wie die Klänge eines schönen ernsten Liedes.
„Hör’ mal, Cousine,“ sagte das heitere Fräulein, „ich habe darüber nachgedacht, was Du wohl mit der hübschen Rose anfangen wirst, wenn Du nach New-York gehst, wie Du leider zu unserm Bedauern entschlossen
- ↑ vermutlich, anhand der Vorlage nicht eindeutig zu identifizieren
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_067.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)