Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1853) 079.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Album der Poesien.

Nr. 1.

Das Volksgericht.




Auf der Zinne seines Schlosses
Sitzt der König schwach und alt,
Ihm zur Seite seines Sohnes
Jugendkräftige Gestalt.

5
Auf der leichtgebauten Brücke

Seiner ausgestreckten Hand
Sendet er die trüben Blicke
In sein reich gesegnet Land.

Und er spricht: Ich habe lange

10
Für des Landes Wohl geschafft,

Doch es sinken meine Tage,
Es versieget meine Kraft.
All mein Wille, all mein Streben
Weiht ich meines Volkes Heil,

15
Doch dem Irrthum preisgegeben

War gar oft mein menschlich Theil.

Immer nur mein Glück gefunden
Hab’ ich in der Andern Glück,
Hinter meinem Königswillen

20
Blieb oft weit die That zurück.

Nun am Ziel seh’ ich mit Bangen
Wie Geringes ich vollbracht.
Drum ein mächtiges Verlangen
Ist mir in der Brust erwacht.

25
Dir bekannt ist jene Sitte,

Heilig unserm Herrscherhaus:
Löscht der Tod die Lebensfackel
Eines seiner Könige aus,
Wird in Kron’ und Purpurmantel

30
Seine Leiche ausgestellt

Seine Thaten, seinen Wandel
Prüfe neben ihm die Welt.

Durch des Königreiches Gauen
Zieht ein Herold hoch zu Roß,

35
Ruft: Gestorben ist der König!

Kommt herauf in’s Königsschloß.
In der Königsburg die Hallen
Füllen sich mit Menschen an,
Denn das Thor ist Allen, Allen,

40
Selbst dem Aermsten aufgethan.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_079.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)
OSZAR »