Verschiedene: Die Gartenlaube (1853) | |
|
der Laternen, welches kaum erlaubte, die handelnden Personen zu erkennen, das grollende Meer, die entfesselten Winde, alles dies kündigte mir ein unerwartetes Schauspiel an, das mein Herz laut schlagen machte. Ich verbarg mich, kaum zwanzig Schritte von meinen Wirthsleuten entfernt, hinter einem Felsenstück, welches mir gestattete, Alles zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden.
Plötzlich wich die Nacht auf einen Augenblick einem blinkenden Lichte, dem ein mächtiger in den Dünen verhallender Donner folgte.
„Hörst Du dieses Mal den Nothschuß, Margarethe?“ fragte der Fischer, und ein Strahl der Laterne, welcher auf sein Gesicht fiel, ließ mich darin mit Entsetzen den Abglanz einer kannibalischen Freude erblicken, welche sich bei der zunehmenden Wuth des Windes und der Wellen zu erhöhen schien.
In einem Augenblick der Ruhe schien es mir, als hörte ich eine Stimme, das Schreien der Verzweiflung und gleich darauf ein Krachen wie von einem vom Blitz gespaltenen tausendjährigen Eichbaume. Das geübtere Ohr des Fischers hatte den Ton mit mehr Sicherheit vernommen und Peter sagte zu seiner Frau: „Sie können nicht mehr lange ausbleiben, richte die Laternen auf.“
Die Alte erhob das Kreuz und steckte die Spitze der Stange in den Sand, so daß die Laternen jetzt hoch und frei schwebten, ein Leuchtthurm um die Schiffbrüchigen in den furchtbaren Hinterhalt zu locken. Eine lange Welle überstürzte das flache Ufer; die Fischer standen bis an das Knie im Wasser, und als dieses zurücklief, ließ es einen Leichnam auf dem Sande. Mit erhobener Axt stürzte Peter auf denselben zu, bückte sich über ihn und fühlte nach dem Herzen. „Todt,“ sagte er, „todt.“
Jetzt ließ sich das regelmäßige Schlagen von Rudern in einiger Entfernung hören. „Teufel,“ rief der Mann, „es scheint, als versuchen sie in einer Schaluppe zu entkommen. Doch sie müssen sehr fein sein, wenn sie den weißen Felsen vermeiden wollen.“
Diese Worte wurden durch einen hundertfältigen Schrei der Verzweiflung unterbrochen. „Zu Hülfe! Zu Hülfe!“ hörte man deutlich rufen, und dann folgte ein schreckliches Schweigen. Die Schaluppe mußte gescheitert sein; das Meer hatte seine Beute verschlungen; Mantelsäcke, Kisten, Breter, Fässer, Bruchstücke von Masten und Rudern überschwemmten das Ufer, und beide Leute waren eifrig beschäftigt, die Gegenstände, welche heranschwammen, aus dem Bereiche der Wellen zu schleppen, denn die Alte hatte ihren meuchelmörderischen Leuchtthurm verlassen. Doch was höre ich? – Ein Schrei – das Stöhnen des Todeskampfes – nein, das ist keine Täuschung; ich höre eine Stimme, welche mit der Kraft der Verzweiflung nach Hülfe ruft, und wenige Schritte vom Ufer erblicke ich einen Kopf und zwei Arme gegen die Wogen ankämpfend.
Auf diesen Schrei eilte Peter mit hochgehobener Stange herbei. Ich glaubte, er wollte diese dem Unglücklichen reichen, um ihn aus den Wellen zu ziehen; aber nein, er ließ sie mit ihrer ganzen Schwere auf ihn niederfallen und stieß ihm dann die eisenbeschlagene Spitze in die Seite. Der letzte Seufzer entfloh dem Erbarmungswürdigen; das Verbrechen war vollbracht, und der Mörder zog den Leichnam an das Ufer.
Bei diesem schrecklichen Anblick war ich erstarrt und regungslos an dem Felsen, welcher mich barg, niedergesunken; doch Ströme von Regen weckten mich wieder aus meiner Betäubung, und als ich wieder zu mir kam und einen letzten Blick auf diese furchtbare Scene warf, sah ich die Kannibalen sich nach und nach fünf Leichnamen nähern und sie untersuchen, ob sie auch wirklich todt seien.
Der letzte war noch warm; es war derjenige, welchen der Fischer ermordet hatte. Die beiden Meuchelmörder beugten sich über ihn, kehrten ihn um und betrachteten sein Angesicht beim Schimmer der Laterne. Kaum fiel ein Lichtstrahl auf die entstellten Züge, als ich einen gräßlichen Schrei hörte und das Weib entseelt auf den Leichnam fallen sah. Die Mutter hatte ihren Sohn erkannt.
Sie wurden neben einander begraben. Peter schleppte noch zwei Jahre von schrecklichen Gewissensbissen gepeinigt, sein Leben hin; endlich hatte Gott Erbarmen mit dem Sohnesmörder. Man fand den Alten todt am Meeresstrande, mit dem Gesicht gegen den weißen Felsen gekehrt.
Webster, der unlängst verstorbene berühmte amerikanische Staatsmann, mußte eines Nachts mit Privatgelegenheit von Baltimore nach Washington fahren. Der Mann, der den Wagen lenkte, war von so verdächtigem Aussehen und erzählte dabei fortwährend so viele Räuber- und Mordgeschichten, daß Webster bald ängstlich zu werden anfing. Plötzlich blieb der Wagen mitten in einem dichten Walde stehen, und der Kutscher drehte sich nun zu seinem Passagier um und rief ihm in grimmigen Tone zu: „Jetzt, Herr, sagen Sie mir, wer Sie sind,“ Webster mit zitternder Stimme und im Begriff vom Wagen herunterzuspringen, antwortete: „Ich bin Daniel Webster, Congreßmitglied aus Massachusetts.“ „Was,“ erwiederte der Kutscher, ihn mit Wärme bei der Hand fassend, „Sie sind Webster! Gott sei Lob und Dank! Sie waren ein so verflucht häßliches Gesicht, daß ich Sie für einen Halsabschneider oder Straßenräuber hielt.“
Diese Geschichte erzählte Webster oft und gern und wußte dabei die Furcht der beiden Reisenden, die sich gegenseitig für Räuber ansahen, so komisch zu schildern, daß die Zuhörer aus dem Lachen gar nicht heraus kamen.
Zeitbroschüre. Von dem in vielfacher Beziehung interessanten Buche: „Die französische Armee in ihrem Verhältnisse zu dem Kaiser Louis Napoleon und den deutschen Heerestheilen“ ist schon nach einigen Wochen eine zweite, vielfach verbesserte Auflage erschienen, Beweis genug, daß die schlagenden Wahrheiten, die es enthält, vom deutschen militärischen und nicht militärischen Publikum große Beachtung gefunden haben. Besonders interessant in dem Büchlein sind die Erörterungen, welche der Verfasser anstellt, für den Fall, daß die vereinte Bundesarmee unter Befehl eines Obergenerals gegen die französische Armee zu operiren hätte. Aus der Praxis der Jahre 1848 und 49 werden da einzelne Fälle erzählt, die vom militärischen Standpunkt aus betrachtet, ungemein komisch sind, und grelle Schlagschatten auf die Kleinstaaterei werfen. Der Verfasser weist ferner u. A. nach, daß man bei Ausbruch eines Krieges nothwendig der deutschen Armee ein allgemeines Nationalzeichen geben und dann wohl oder übel wieder zu den schwarz-roth-goldnen Farben greifen müsse.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_096.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)