Verschiedene: Die Gartenlaube (1853) | |
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In der Erde.
Gar oft, wenn ich irgend ein Geldstück in der Hand hielt, hatte ich derer gedacht, welche das Metall dazu aus dem Schooße der Erde heraufholen; gar oft hatten die phantastisch gekleideten „Bergleute“ mit ihrem Hute ohne Krempe und mit der Schürze, die sie nicht vorn, sondern hinten tragen, meine Neugierde erregt wie ein fremdartiges Volk mitten unter uns gewöhnlichen Menschen, und diese Neugierde steigerte sich noch mehr, wenn ich von dem Bienenfleiße, von der Frömmigkeit, von dem treuen Zusammenhalten dieses Völkchens, von der Gefährlichkeit der Arbeit in der Erde, von der Armuth der Leute unter allen den Schätzen, die sie zu Tage fördern und ihrer bewundernswerthen Genügsamkeit hörte, bis ich endlich beschloß, ihr Leben und Treiben an Ort und Stelle selbst kennen zu lernen. Wir haben ja in Sachsen ein ganzes Erzgebirge, das seit länger als siebenhundert Jahren emsig durchwühlt wird; wir haben in Freiberg, der Hauptstadt des Bergbaus, in der Academie die hohe Schule der Bergbaukunst für die ganze Welt, jene Schule, die von Russen und Mexicanern, von Brasilianern und Aschantis, von Spaniern und Türken, von Franzosen und Engländern besucht wird, an der ein Werner lehrte, der Vater der neuen Geologie, die Schüler zog wie Humboldt und von Buch und an deren Spitze noch vor wenigen Jahren ein Herder stand.
So wanderte ich denn mit einem Freunde nach Freiberg und hier erhielten wir ohne Schwierigkeit einen „Fahrschein“, die Erlaubniß in die Erde herabzusteigen. Die Grube, die wir besuchen wollten, war der Himmelsfürst bei Brand. Viele Gruben führen solche Namen, die von der Frömmigkeit des Bergvolkes zeugen, „der Segen Gottes“, „die alte Hoffnung Gottes“ u. s. w.
Der Führer, dem uns der Schachtmeister überwies, versah sich mit kleinen Laternen, nahm ein unheimlich aussehendes Bündel auf und ging vor uns her nach einem andern Theile des Gebäudes, in dem wir uns befanden. Da lagen Haufen dunkelgrauer zerschlagener Steine – Silber- und Bleierze, die eben aus der Grube heraufbefördert worden waren, über deren Oeffnung wir standen, ohne daß wir es ahnten. Schon hier beginnt die Zurichtung der in Kübeln durch eine Winde heraufgehobenen Erze. Ueberall unter hölzernen Schuppen bemerkten wir Gruppen von Knaben – Pochjungen –, welche die Erze zerschlagen, sortiren, waschen und sieben, bis sie geeignet sind, in den Schmelzofen gebracht zu werden.
Wir folgten unserm Führer nun über einen staubigen Platz nach einem hölzernen Gebäude mit einem kegelförmigen Dache und in dessen Nähe vernahmen wir einen leisen lieblich-melancholischen Glöckchenklang, der nach regelmäßigen Pausen träumerisch durch die Luft zog. Woher dieser seltsame Ton? In der Mitte des Baues hing ein Glöckchen und dessen Silberstimme hörten wir.
„Welchen Zweck hat diese Glocke?“ fragten wir den Führer.
„Es ist die Sicherheitsglocke.“
„Und ihr Klang zeigt Gefahr an?“
„Nein, umgekehrt; ihr Schweigen bedeutet Gefahr. Die Glocke wird durch ein großes Wasserrad dicht unter der Oberfläche mit in Bewegung gesetzt. Durch dieses
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_101.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2023)