Verschiedene: Die Gartenlaube (1853) | |
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Doch überall laufen ja Verbindungs-Bahnen über- und unter- und nebeneinander hin, so daß ein Kenner, der recht Bescheid weiß, von jedem Punkte zu jeder Zeit in der kürzesten Zeit überall hinkommen kann, zumal wenn er zugleich die Pferde- und Dampf-Omnibusse zu Wasser mit zu Hülfe nimmt. Wir fliegen jetzt über Wiesen und Weiden, jetzt durch Parke, jetzt über Felder, jetzt durch Reihen von Feenpalästen und umgrünter Schmuckkästchen von Villen und Cottages hin, jetzt über parademäßig aufgestellte, einförmige Straßen und Häuser, wie wir schon einmal angedeutet haben. Diese dichten Städtegruppen haben sich überall an den Anhaltepunkten der Eisenbahnen gebildet und sind da herausgewachsen wie Traubenblüthen und Doldenblumen mitten in Ackerbau, Viehzucht, Gärten und Wälder hinein, die in der prächtigsten, nettesten Cultur nun noch die einzelnen Villen und Paläste ewig umgrünen und durchduften. Das ist überall die höchste städtische Cultur auf dem Lande, während diese Bewohner des urbanisirten Feldes jeden Tag von 10 bis 5 Uhr in dem dichtesten Stadtverkehr zubringen. So ist in London wie bereits in allen großen Städten Englands der Unterschied und Gegensatz zwischen Stadt und Land verschwunden.
London hört nirgends mehr auf, ohne daß die nächste Stadt anfängt.
Daß die Welt nicht blos natürlich, sondern auch künstlich durch Geld, Cours, Credit, Austausch, Wechsel, Dampf, Electricität, Aus- und Einwanderung, Briefe, Zeitungen u. s. w. zusammenhängt und das warme belebende Verkehrsblut immer rascher und vielseitiger und tiefer und weiter hin- und herpulsirt, um nach und nach alle Menschen mit zu erwärmen und in diesen Fluß der Bildung, des Geldes und der Waaren mit hineinzuziehen, das ist eben ihre Schönheit und ein Hauptgrund, warum die meisten Menschen lieber noch ein Weilchen warten, ehe sie sterben.
Daß London das Herz dieses pulsirenden Verkehrsblutes ist, wird mir in meinen künftigen Schilderungen sehr zu Gute kommen.
Blätter und Blüthen.
Ein Antwortschreiben. Die meisten unsrer Leser werden bereits durch die Zeitungen wissen, daß eine Anzahl hocharistokratischer englischer Damen, gerührt durch die Schilderungen in Onkel Tom ein Sendschreiben an die amerikanischen Frauen erlassen hatten, worin die letztern aufgefordert wurden, all’ ihren Einfluß aufzubieten, die Abschaffung der Sclaverei oder wenigstens eine Milderung des Looses der Sclaven zu erwirken. Die Antwort der amerikanischen Frauen ist vor Kurzem eingelaufen und macht jetzt die Runde durch alle englischen Zeitungen, die für und wider große Leitartikel darüber bringen. Diese Antwort ist ächt amerikanisch – offen, derb, ohne Rückhalt und wahr. Es wird darauf hingewiesen, wie in England dieselbe Sclaverei herrsche wie in Amerika, nur unter andern Namen. „Wir kommen nicht mit Thatsachen“ heißt es, „die von der Phantasie des Novellisten übertrieben, verkehrt und entstellt sind, sondern solchen, die in ihrer nackten Einfachheit in Parlamentsurkunden oder andern statistischen Schriften von anerkannter Geltung vorliegen.“ Es folgt dann eine Aufzählung der Schandthaten, welche sich die Engländer in Süd-Afrika, in Asien, in China und namentlich in Irland zu Schulden kommen ließen. So wird u. A. angeführt, daß in Folge brittischer Mißhandlungen die Bevölkerung Irlands innerhalb der letzten Jahre um 20 Proc. abgenommen habe. Dann fährt das Schreiben fort:
„Von Uebeln auf Eurem eigenen Grund und Boden, in Euren eigenen Gemeinden – von Uebeln, unter denen Ihr täglich lebt und webt, und mit denen Ihr persönlich zu thun habt, sprechen wir jetzt zu Euch. Wir wünschen mit Euch zu sprechen von der unwissenden und mit Armuth geschlagenen und herabgewürdigten Bevölkerung Eures eigenen Landes, und wir wollen es treulich, doch milden Sinnes thun. Schwestern! Euer Land ist mit Sclaven angefüllt – Sclaven der Unwissenheit, Sclaven der Armuth und Sclaven des Lasters. Die furchtbare Wahrheit ist Euch gesagt worden von einem Eurer geachtetsten Autoren, J. Kay vom Dreifaltigkeits-Collegium in Cambridge, am Schlusse seines großen Werks über National-Erziehung, das Euch allen bekannt ist oder sein sollte, – die Wahrheit, daß in England, wo die Aristokratie reicher und mächtiger ist als in irgend einem andern Lande der Welt, die Armen gedrückter, elender, im Verhältniß zu den andern Klassen zahlreicher, irreligiöser und viel schlechter unterrichtet sind, als die Armen irgend einer andern europäischen Nation. Das erste und größte aller volklichen Bedürfnisse in jedem freien christlichen Lande ist das des Unterrichts, und doch hat England kein System der öffentlichen Erziehung, das des Namens werth ist. Der ganze Betrag Eurer jährlichen parlamentarischen Geldbewilligungen für die Erziehung Eures Volkes ist um Tausende von Pfunden geringer, als der jährliche Geldaufwand für diesen Zweck in der einzigen Stadt New-York! Jeder achte Mensch in Eurer Bevölkerung ist ein öffentlicher Armer (a pauper), und die Armensteuer in England während der letzten zehn Jahre hat durchschnittlich 6,000,000 Pf. St. betragen; gleichwohl um für öffentliche Erziehung vorzusorgen und dadurch großentheils dieselbe Verabsäumung zu heilen, die Euch den Fluch dieser schweren und von Jahr zu Jahr wachsenden Bürde aufgeladen, hat eure National-Legislatur in sechs Jahren nur 600,000 Pf. St. verausgabt. Zufolge unsern eben veröffentlichten Volkszählungstabellen genießt ein Drittel der Bevölkerung des Staats New-York regelmäßigen Unterricht in unsern öffentlichen Schulen; zufolge Euren Parlamentsnachweisen genießt nur ein Elftel Eurer Bevölkerung einen ähnlichen Vortheil. – Schwestern! ist das ein christlicher Gesellschaftszustand, welcher für mehrere Millionen Eures Volkes die Entwickelung und Pflege aller jener Fähigkeiten, die den Menschen vom Thiere unterscheiden, nahebei zu einer physischen Unmöglichkeit macht?“
„Ihr, die wir hier anreden, wohnt in allen Gegenden
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_107.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)