Verschiedene: Die Gartenlaube (1853) | |
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No. 11. | 1853. |
Der Seewicher Pfarr-Kirmesstag.
Im Seewicher Pfarrhause war die Kirmeßlust im schönsten Laufe. Alle Räume waren vollgestopft von Menschen, und dem Kuchen und Biere wurde die gebührende Ehre angethan. Was nicht sitzen konnte, stand oder lag am grünen Boden oder drängte auf und ab. Das Bier war stark und die Stimmung wurde immer lauter. Derbe Witze und eben nicht zarte Späße platzten wie Raketen bald hier bald dort auf und erregten Gelächter. Kleine Haufen stimmten schon fröhliche Lieder an. Pseudo-Tauben-Jan schlich überall umher, besah sich die Gruppen und horchte auf ihre harmlose Unterhaltung. Plötzlich fühlte er sich am Arme gefaßt. Ein derber Ruhler Messerschmied stand neben ihm und raunte ihm zu: „Kerl, was trödelst Du denn umher! Wir warten schon eine halbe Stunde auf Dich. Hinten in des Knechts Kammer liegt Dein Anzug. Die Andern sind schon Alle fertig und warten nur noch auf Dich. Es gibt einen Hauptjux. Du wirst Dich gut machen als Narrenkönig. Mach nur die Manieren des Herzogs nach.“ Damit zog ihn der Sprecher fort in eine an den Viehstall grenzende Kammer. Hier fand er einen ganzen Narrenhofstaat auf’s Possierlichste herausstaffirt. Unter Necken und Schelten fielen drei vier Männer, die augenscheinlich schon viel Doppelbier getrunken hatten, über ihn her und zogen ihm die Jacke aus. Ein prächtiges Kleid, eine Karikatur des herzoglichen Staatskleides, ward ihm übergeworfen, eine Schellenkappe mit einer ungeheuern Blechkrone und Eselsohren ihm auf den Kopf gestülpt, dann wurden ihm ein schön gemaltes und mit allerlei Flittern behangenes Steckenpferd und ein tüchtiger Narrenkolben präsentirt, und alle Andern nahmen ebenfalls Steckenpferde zwischen die Beine. Der Zug ordnete sich; es war eine ganze Cavalcade. Endlich schloß sich eine Musikbande an, die sich derweil in einem Stalle aufgehalten hatte, nicht minder köstlich verlappt und vermummt, wie die Hauptpersonen. Plötzlich stürzte die ganze Bande mit rasender Musik in wilden Sätzen hervor. Ein ungeheurer Jubel brach los; Alles rannte herzu und schrie laut vor Vergnügen; denn man erkannte sogleich die Copie mehrer Persönlichkeiten aus dem eisenacher Hofstaat. Am meisten wurde natürlich der Narrenkönig beschrien und belobt und oft genug hieß es: „Ach wie köstlich! Das ist ja der Herzog wie er leibt und lebt.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_109.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)