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Seite:Die Gartenlaube (1853) 253.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Schwermuth weinte, mit dem Thautropfen des Morgens vertrocknet, und Maria Rosa war in diesem Alter. Am andern Morgen tanzte sie wieder. Tage und Wochen verflogen, ohne daß ihre übersprudelnde Fröhlichkeit einen Abbruch erlitten hätte. Aber nicht so war es mit ihren niedlichen Schuhen. Mit dem letzten Sprunge in einer Farandole flogen die letzten Trümmer derselben auf und davon. Unglücklicher Weise war die Garderobe der Damen nichts weniger als überflüssig ausgestattet; sie waren im Begriffe, nach Paris zu gehen, und hatten es für ihre Pflicht erachtet, die Anschaffung des Nöthigen aufzuschieben, bis sie die Befehle der Mode an dem Orte ihrer Residenz einholen könnten.

Maria Rosa war bald dahin gebracht, unbeweglich an der Seite ihrer Tante sitzen zu bleiben, um die bloßen Füßchen unter dem Kleide zu verbergen. Und wie sie da saß, in dem fieberhaften Drange nach Bewegung, den Kopf und den Leib hin und her wiegend, und sich doch nicht zu dem Wagestücke entschließen konnte, einen Schritt vorwärts zu thun, da glich sie jener Daphne in den Tuilerien, die mit der Büste noch lebt, während die Füße schon im Boden festwurzeln. Die kleine Königin spielte die Trauergestalt einer bezauberten Prinzessin, die auf den irrenden Ritter harrt, der sie befreien soll.

Der irrende Ritter kam, es war Peter Hallo. „Diese liebenswürdigen Füßchen nackt zu lassen,“ sagte er zu sich selbst mit dem Ausdrucke der tiefsten Indignation, „das hieße so viel, als nicht für zwei Pfennige Herz besitzen.“ Aber wenn der Dichter gesagt hat, „Indignation mache Verse,“ so ist damit nicht gesagt, daß sie Schuhe mache. Peter Hallo sann nach, rieb sich die Stirne, schlug sich vor den Kopf; er warf das Stück Kautabak, das er nach Seemannsart im Munde hatte, von der einen Seite zur andern und machte seinen Schuster – es ist ein schlechtes Wort, aber man mag mir verzeihen, es gibt kein anderes Wort, um die Sache auszudrücken, und die Sache ist zu wichtig, wenn es sich um Seemannssitten handelt, als daß ein gewissenhafter Erzähler sie verschweigen könnte. Der Schuster ist für den Gedanken des Matrosen das, was der Weiser für die Uhr ist; wenn der Gedanke im Gang ist, dreht sich der Schuster herum. Freilich hatte er sich auch eine Aufgabe gestellt, die für einen Anfänger in der Mathematik von großer Schwierigkeit war, nämlich: „Etwas aus nichts zu machen,“ ein Problem, das Gott allein zu lösen vermochte.

„Ein Stück Leder! Meine Pfeife und meine Medaille für ein Stück Leder!“ sagte er mit derselben Kraft der Verzweiflung, mit welcher Richard II. ausgerufen hatte: „Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“ Gewiß alle Netze im Schiffe würden sich im Augenblicke in das Meer versenkt haben, wenn er die Geschichte vom Ritter Don Quichotte gelesen gehabt hätte, er durfte ja dann hoffen eine eben so glückliche Hand zu haben als Sancho Pansa, der seine Angel nach Forellen auswarf und ein paar alte Schuhe anbeißen sah. Er durchsuchte und durchstöberte jeden Winkel und stürzte Alles um; wo auch nur eine Maus hätte hinschlüpfen mögen, da war seine Hand geschäftig. Endlich! – er stieß einen Freudenschrei aus, ähnlich dem des Harpagon, als er seine Geldkasse wieder gefunden, oder dem J. J. Rousseau’s als er sein Wintergrün erblickte. Es war keine Blume, es war kein Schatz, was Peter Hallo, entdeckt hatte, es war etwas viel Kostbareres und Herrlicheres, es war ein alter Stiefel! Der Stiefel eines Soldaten, der beim Entern getödtet worden war; er war, Gott weiß, wie? in einen Winkel des untern Raums hinabgerollt, und seitdem hier liegen geblieben, um seinen Zwillingsbruder, der im Meere versenkt oder im Bauche eines Haifisches begraben lag, trauernd, und nunmehr gleich der Ratte Lafontaine’s wohl zu dem Glauben gekommen, daß er mit den Dingen hienieden nichts mehr zu schaffen habe. Aber Peter Hallo beschloß es anders. Er wußte seinen Dolch als Ahle und Kneif so trefflich zu gebrauchen, und damit zu schneiden und zu stechen, daß er in weniger als einer Stunde – ja, daß ich sagen könnte, ein Paar Schuhe zu Stande brachte, oder ein Paar Stiefelettchen, Sandalen, Halb- oder Schnürstiefeln, Socken oder Cothurnen, Babuschen, Mocasins – nein, es war von dem Allen nichts; es war im Fache der Fußbekleidungskunst ein durch und durch originelles Werk, etwas Phantastisches, Romantisches, ein Ding ohne Namen. Aber schlüßlich, das Ding ohne Namen konnte doch zur Noth als eine Art Schutzwehr dienen, welche sich zwischen die Oberhaut eines menschlichen Fußes und den Fußboden hinein schieben ließ. Nun lief der wackre Hallo spornstreichs in die Kajüte Maria Rosa’s, und nachdem er nicht ohne große Mühe und unter dem schallenden Gelächter des jungen Mädchens ihre nackten Füßchen in diese drolligen Hüllen gehörig eingeschachtelt und eingebunden hatte, richtete er sich auf, kreuzte die Arme triumphirend über die Brust, und sagte. Wie nun?

Eine Stunde später tanzte die Bajadere wieder; sie tanzte mit einem Gewichte an jedem Fuß und unter Beifallsbezeigungen ihres Parterres, auf welche sie diesmal einen doppelten Anspruch hatte; denn ihr Tanz zeigte von zwiefacher Virtuosität; in Kunst und Kraft; in diesen zwei Beinchen lebten schon eine künftige Mademoiselle Taglioni und Madame Saqui, Beide zugleich.

Endlich, nach einer langen Ueberfahrt, ertönte es, vom Mastkorbe herab: Land! und es fand nun, wie ich versichern kann, eine rührende Scene zwischen dem alten Matrosen und der jungen Creolin statt. „Ich werde mich immer Deiner erinnern und Deine Schuhe will ich wie ein Andenken, wie ein Heiligthum aufheben,“ sagte Maria Rosa, um den armen Peter Hallo zu trösten, der sich mit dem Rücken seiner schwieligen Hand die feuchten Augen abwischte. „Ach,“ erwiederte er, mit dem Kopfe schüttelnd, „Sie gehen nach Paris, und unter neuen Freunden werden Sie bald den armen Peter Hallo aus den Gedanken verlieren und ihn ganz vergessen.“ „Ich denke Deiner immer! „Immer!“ wiederholte sie noch einmal, während ihre Tante sie mit sich fortzog. Er folgte ihr lange mit den Augen, sie wandte sich oft nach ihm um, und er konnte schon nichts mehr von ihr verstehen, als sie noch immer, mit dem Schnupftuche winkend, ausrief: „Immer, Hallo, immer!“ –

Peter Hallo konnte nicht wissen, ob das junge Mädchen Wort hielt; denn er kam selten an’s Land und wurde im amerikanischen Kriege getödtet.

Und Maria Rosa –

Aber siehe! mitten durch meine Erzählung hindurch fluthet der große Strom der französischen Revolution; ein Strom seltener Art, – man weiß nicht, welchen Namen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_253.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2016)
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