Verschiedene: Die Gartenlaube (1859) | |
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war, und heitere Luft, gesundes Klima, abschreckend für Fremde, moralische und physische Gesundheit sichern. Aber Thingvalla wird ewig ein schönes Symbol freier, schöner Bildung und Cultur in der Geschichte der Menschheit bleiben.
Die berühmten heißen Geiser-Springquellen, schon oft beschrieben, übergehen wir hier, und folgen dem kühnen Schiffer sofort zu dem arktischen Felsenriesen in furchtbarer wallender Nebel-Gewandung: Jan Mayen, jenseits des arktischen Cirkels und des 70sten Grades. Ueber dem unendlichen eisknirschenden Meere thun die in verschiedenen Farben und Formen wallenden und wogenden Nebeln sich plötzlich auf, um aus 7000 Fuß Höhe am klaren Himmel einen ungeheuern, in die wogenden Nebelmassen herableuchtenden Schneekopf zu enthüllen, die Spitze des Beerenberges auf dem eis- und nebelumschlossenen vulkanischen Felsstück, der Insel Jan Mayen. Die Nebel schlossen sich wieder, braun, dann grau, dann weiß, sich zu transparentem Blau verdünnend und die furchtbar-erhabene Gestalt der Insel im halb durchsichtigen Schleier enthüllend. Der Beerenberg erscheint im violetten Nebelgewande, das sich binnen wenig Minuten mit dem dunkelsten Purpur färbt, während der Himmel oben wieder blau aufleuchtet, um jetzt den 6,870 Fuß hoch aus dem dunkeln, eisstückglimmernden Meere aufsteigenden Berg ganz zu zeigen, umgürtet von einer Zone bergigen Dampfes mit sieben Gletschern zu seinen Füßen, gefrornen Niagarafällen, in Umfang, Färbung und Wirkung Alles übertreffend, was je die kühnste Phantasie aus Erdformationen zusammendichten mag. Man denke sich den größten Fluß an den Stufen, Kanten und Schichten des Berges hinabstürzend, über jedes Hinderniß hinwegtobend, in tausenderlei Wirbel und Gegenwellen zerklüftet, donnernd, brausend, tosend von Schicht zu Schicht, von Kamm zu Kamm in zitternden Katarakten von Gischt, Staub und Dampf, und so in einem Augenblicke in Eis gefesselt, so plötzlich, daß selbst Gischt und Dampf in den wunderbarsten ätherischen Formen und Farben zur Unbeweglichkeit eines Sculpturwerks erstarrten – und dies Alles in unabsehbarer Ausdehnung und kolossalster phantastischster Formation – so haben wir vielleicht eine schwache, dämmernde Vorstellung von der furchtbaren massenhaften Wirklichkeit dieses selten von fern gesehenen, in der Regel dicht nebelverhüllten arktischen Wunders.
Lord Dufferin landete mit Kühnheit und Ausdauer auf Jan Mayen, einem 16 Ellen breiten Rande von Küste. Alles Andere war Eis, basaltisches Säulenwerk bis 1000 Fuß hoch, Eisensand, Augit, Pyroxen, dicht bevölkert mit vertraulich guckenden und furchtlos sitzenbleibenden Seevögeln aller Art. Einige flogen um die nie gesehenen Menschen so dicht herum, daß man ihre Flügel berühren konnte. Ein alter Scheerenschnabel setzte sich dicht vor den Lord hin und ließ sich, selber neugierig und erstaunt mit scharfen Augen musternd, über zehn Minuten lang betrachten, ohne ein Bein oder nur eine Wimper zu rühren.
Weiter hinunter nach dem geheimnißvollen Nordpole bis zu der letzten bekannten Spur festen Landes, Spitzbergen.
Nach langem Kampfe mit Eisfluthen dämmern endlich bläuliche Spitzen am ätherischen Horizonte auf, die Eisalpen von Spitzbergen, 60 Meilen fern, bald sich nähernd, bald zurückweichend, wie Trugbilder, je nach Veränderungen in der Atmosphäre. Nebel in allen Farben, Eiswüsten, fest und wandelnd, stellen sich Wochen lang entgegen, und drohen schrecklichen Untergang, aber Lord Dufferin harrt aus und trotzt so lange, bis ihnen gelingt, zu landen, an einem Augustmorgen, mitten im Sommer zu landen in eisiger, unendlicher Todtenstille mit riesigen Schichten ewigen Schnees, umgeben von unabsehbaren Labyrinthen von Eisgebirgszügen, aus denen Spitzen in allen möglichen Farben und Formationen hervorragen. An messerscharfen Eisbergkanten hängen gefrorne Thränen von Gletschern. Die unendliche Todtenstille wird manchmal von herabdonnernden Gletschern unterbrochen.
Man suchte Tage lang nach Spuren irgend eines Lebens, fand aber endlich nur, halb aus schwarzem Moose hervorragend, einen halb verwitterten, offenen Sarg mit einem noch vollständig erhaltenen, weißgebleichten Menschengerippe darin. Oberhalb des Sarges war ein rohes Holzkreuz halb gesunken, und zeigte an, daß hier Commandeur Van der Schelling, gestorben 2. Juni 1758, seine Ruhestätte gefunden.
Schnee und Eis und Regen und Wind hatten ihn abgenagt. In andern Theilen Spitzbergens fand man geschlossene Särge, worin Todte drei Jahrhunderte geschlummert, ohne daß sich ein Zug verändert. Mit warmem Wasser von der Eiskruste befreit lagen sie noch da, wie eben eingeschlafen.
Mitten im Sommer friert der Thau des Thales in der Luft zu fallenden Eiszapfen. Im Winter donnert es häufig von zerspringenden Felsen. In den wärmsten Hütten fällt der Athem als Schnee nieder. Wäsche aus kochendem Wasser genommen, gefriert sofort steif wie ein Holzbret im wärmsten Zimmer. Wie mag’s dann draußen und oben auf den Eisbergen sein? Aber im Sommer lebt’s auch hier. Es wächst Moos in tiefen Thälern, Eisbären, Eiderenten, Seehunde, Seevögel, Seelöwen u. s. w. besuchen Spitzbergens Thäler im Sommer. Wo und wie bringen sie den Winter zu? Menschen, die man mehrmals hier ließ, ausgestattet mit Feuermaterial, Lebensmitteln und dreifach wattirten Hütten, um von ihnen zu erfahren, wie der Winter auf Spitzbergen sei, wurden das Jahr darauf stets in Eis verwandelt gefunden.
Spitzbergen ist die äußerste, Menschen bekannte Grenze gegen das mehr als Europa große Polarmeer, in dessen um Mitternacht leuchtende, geheimnißvolle Unendlichkeit schon Mancher mit Grauen und Hoffnungen blickte, aus welchem warme Winde einladend heraufwehten auf ewige Eismassen. Wird es künftigem Muthe gelingen, die grimmig verschlossenen Pole unserer Erde zu erreichen und zu sehen, ob das oft nur geahnte Paradies eines Nordpol-Landes mit seinen Millionen von glücklichen Menschen und furchtlosen Thieren, Flüchtlingen aus unserer „Civilssation“, das nie genossene Glück der Freiheit und des Friedens biete? Sehr fraglich. Der Norden ist zu kalt, der Aequator zu heiß für die weltgeschichtliche Arbeit um Freiheit und Frieden, die sich stets in gemäßigter Zone, etwa zwischen dem 40sten und 50ten Breitengrade, hielt. Freiheit und Frieden sind hier, unter uns und durch uns, unsere natürliche Bestimmung, unsere Pflicht, unser Wesen, das Princip unseres Lebens.
Zehn Tage in fürchterlicher Lage.
Am 5. October vorigen Jahres segelte das englische Barkschiff Jeannie Johnson mit einer Ladung Breter von Quebeck ab. Es erreichte aber Hull, seinen Bestimmungsort, nicht. Am 21. October wurde es von einem ungeheueren Sturme befallen, es bekam dabei ein Leck und am Tage darauf war es mit Wasser ziemlich gefüllt. Das Uebrige erzählt der Capitain selbst in folgenden Worten:
„Alle Matrosen beeilten sich nun in das Takelwerk hinauf sich zu flüchten, weil das Schiff jeden Augenblick sinken konnte. Meine Frau lag mit dem Kinde in der Cajüte im Bett und ich eilte hinunter um ihr zu sagen, auch wir müßten uns in das Takelwerk flüchten. Die Gefahr war aber so dringend, daß die arme Frau nicht einmal Zeit hatte, sich anders anzukleiden. Nur einen Mantel vermochte sie umzunehmen. Es war Nacht, aber nicht gerade sehr kalt. Wir hatten auch die Geistesgegenwart, etwas Brod, das noch nicht durch das Seewasser verdorben war, ein Stück gepökeltes Rindfleisch, einen Schinken und einige rohe Kartoffeln mitzunehmen. Mit Trinkwasser konnten wir uns leider nicht versorgen, denn die Fässer waren theils über Bord gespült, theils nicht zugängig. Oben in dem Takelwerke banden wir uns so viel als möglich mit Tauen und Segelstücken fest, welche letztere zugleich einigermaßen als Schutz gegen das Wetter dienten. Vom Schlaf war diese Nacht nicht die Rede. Um 7 Uhr früh am 23. Octbr. sahen wir ein Schiff, wir gaben Nothsignale, wurden aber nicht bemerkt. Der Sturm wüthete unablässig fort und wir mußten jeden Augenblick fürchten, daß der Hauptmast, auf dem wir uns befanden, niederbreche. So verging wieder der ganze Tag. Unsere Kleider waren ganz durchnäßt. Wir konnten die Glieder nicht strecken, sondern kauerten eng zusammengedrängt da. Einige Matrosen wagten sich hinunter auf das Dach des Deckhauses, nur um sich einmal strecken zu können. Das Kind verhielt sich ruhig, schlief auch wohl bisweilen, verlangte aber häufig weinend etwas zu trinken, das wir ihm nicht geben konnten. Unsere Nothflagge ließen wir fortwährend flattern, aber es zeigte sich erst am 24. wieder ein Schiff, das uns aber auch nicht sah.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_099.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2023)