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Seite:Die Gartenlaube (1860) 072.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und mannichfach umgeänderten Ueberresten der vorweltlichen Pflanzen und Thiere nach den Gesetzen, welche die gegenwärtige Schöpfung beherrschen, das eigenthümliche, reiche und vielgestaltige Leben früherer Schöpfungsperioden, in denen der Mensch noch nicht existirte, bis in alle Einzelnheiten zu erforschen, und sie hat bereits an die Stelle der phantastischen Wundergestalten die wirklichen, wahrhaftigen setzen können. Wir staunen und erschrecken nicht mehr über die Absonderlichkeit der urweltlichen Geschöpfe, wir bewundern vielmehr jetzt die Einfachheit und Unabänderlichkeit der Naturgesetze von dem ersten Augenblicke ihres Waltens an bis auf diesen Tag. Ich wähle, um den eben angedeuteten Unterschied zwischen den Phantasiegemälden und den wirklich erforschten Thiergestalten der Vorzeit an einem bestimmten Beispiele nachzuweisen, die fliegenden Drachen, die Pterodaktylen oder Flugsaurier, denn sie sollten ja wunderbar scheußliche Gestalten sein, der Schrecken von Allem, was lebte und webte, fliegende Ungeheuer, weder Vogel, noch Säugethier, noch Eidechse, sondern wahrhaftige Wundergestalten! Man dachte dabei an die Drachen in der Mythologie, die als teuflische Wesen auch in die christliche Kirche sich eingeschlichen haben, aber eben nur Phantasiegebilde sind und, so verschiedentlich sie auch bildlich und plastisch dargestellt worden, stets wahre Monstra, allen Gesetzen der natürlichen Organisation Hohn sprechende Gestalten sind.

Ich muß gleich von vornherein einem weitverbreiteten Vorurtheil entgegentreten, dem nämlich, daß die wirklich existirenden Drachen große, ungeheuerliche Thiere sein sollen, sie sind im Gegentheil sehr kleine und ganz harmlose Eidechsen. Diese lebenden Drachen bewohnen die ostindischen Inseln in einigen Arten und erreichen mit ihrem langen dünnen Schwanze kaum einen Fuß Länge, meist aber sind sie viel kleiner und von Charakter und Naturell die friedfertigsten, scheuesten, sanftesten Eidechsen, welche langsam auf den Aesten der Bäume umherkriechen und Insecten fangen, andern Thieren niemals etwas zu Leide thun und dem Menschen, der sich mit ihnen abgeben will, auch nicht den geringsten Widerstand entgegensetzen. Sie können ebenso wenig wie irgend eine andere Echse, denn keine einzige hat in ihrem Naturell und Betragen etwas Grausiges und Schreckhaftes, das Vorbild des rein phantastischen Drachen gewesen sein. Auch die fliegenden Drachen der Urwelt waren solch’ ganz kleine Thiere, ein bis höchstens zwei Fuß lang; schon als fliegende Thiere konnten sie ja keine Riesen sein, da alle Bewohner der Lüfte überhaupt kleiner, leichter und zierlicher gebaut sind, als die am Boden lebenden Thiere; die eigentlichen Riesen im Thierreiche, wie die Walfische, Potfische, Haifische, sind Wasserbewohner. Man glaube ja nicht, daß überhaupt irgend ein Thier der Urwelt größer gewesen ist, als die eben erwähnten Riesen des heutigen Oceanes; man glaube auch nicht, daß etwa einzelne Vertreter noch lebender Thiergestalten in frühern Schöpfungsperioden riesig waren im Verhältniß zu ihren heutigen Nachkommen; das Mammuth war wirklich nicht größer als unser Elephant, Urbär, Urtiger, Urhyäne etc. keineswegs riesiger als die heutigen Bären, Tiger, Hyänen etc. Wir kennen von den meisten dieser früher als Riesen der Vorwelt bewunderten Thiere vollständige Knochengerüste, an welchen die Messung mit dem Zollstabe die Schätzung des ungeübten Augenmaßes berichtigt hat. Die Thiere und Pflanzen waren überhaupt, das hat die Paläontologische Forschung auf das Ueberzeugendste dargethan, zu keiner Zeit größer und riesiger, als sie es gegenwärtig sind, und alle Schilderungen von urweltlichen Riesengestalten sind bloße Faseleien, keine auf Beobachtungen und verläßlichen Untersuchungen beruhenden Wahrheiten.

Nun, wenn die fliegenden Drachen der Urwelt nicht durch ihre Größe Schrecken erregen können, so setzen sie wohl durch ihre absonderliche Gestalt und ihren räthselhaften Bau in Verwunderung? Auf den ersten Blick allerdings, und daß sie fliegende Eidechsen sind, erhöht noch das Schreckhafte des ersten Eindruckes. Sehen wir sie uns darauf näher an: der fünfte, bei allen Thieren und auch bei dem Menschen kleinste Finger ist hier der größte, ja er ist so lang wie der ganze Körper, also förmlich monströs vergrößert. Er spannte und bewegte ohne Zweifel eine große Hautfalte, welche an den Seiten des Körpers sich herabzog und vielleicht noch an den Hinterbeinen befestigt war. So das wichtigste Bewegungsorgan, verlieh der Flugfinger diesen Thieren auch den Namen Plerodaktylus. Ist nun aber diese riesenhafte Vergrößerung des kleinen Fingers wirklich etwas so beispiellos Absonderliches, daß es uns mit Verwunderung und gar mit Schrecken erfüllen kann?

Vergleichen wir zunächst unsere zierliche lebende Flugechse und ihr Flugorgan. Auch sie hat auf jeder Seite des Leibes eine große Hautfalte, einen Schirm, der von Knochenfäden gespannt wird, und bei der anatomischen Untersuchung ergeben sich diese Knochen als die letzten sogenannten falschen Rippen. Die Rippen haben doch eigentlich den Zweck, die Lungen im Brustkasten zu schützen und die zur Athembewegung dienenden Muskeln aufzunehmen, sie gehören also zum Respirationsorgan, und doch reißt die Natur dem Drachen einen Theil derselben, und zwar den unbedeutendsten, die kürzesten und falschen Rippen, förmlich aus dem Leibe heraus, vergrößert sie und verwendet sie als Bewegungsorgan. Das ist doch wahrlich noch verkehrter und wunderlicher, als wenn die Hausfrau in Ermangelung eines Durchschlags gleich das Sitzbret eines Rohrstuhls statt dessen gebraucht. Aber die Natur macht sich aus solchen Gewaltthaten nichts. Reißt sie doch den Schildkröten sogar sämmtliche Rippen aus dem Leibe, um sie zur Verstärkung des knöchernen Panzers zu verwenden; dadurch werden dieselben natürlich unbeweglich und somit auch die Thoraxmuskeln zur Athembewegung überflüssig, die Schildkröten sind deshalb genöthigt die zum Athmen bedürftige Luft schluckweise zu trinken. Noch eine Gewaltthat ganz anderer Art mußte sich der Elephant gefallen lassen. Die Nase ist bekanntlich Geruchsorgan, allein der Kopf des Elephanten ist doch zu groß und schwer, um auf einem langen beweglichen Halse sitzen zu können, der Leib zu massig, als daß die Beine zu andern Verrichtungen als blos zur beweglichen Stütze dienen könnten; was thut die Natur, um dem Koloß das Ergreifen und Auswählen der Nahrung und die Vertheidigung zu erleichtern? sie verlängert seine Nase in einen ungeheuer langen, überaus beweglichen, muskelstarken und sehr fein tastenden Rüssel. Das Geruchsorgan des Elephanten ist zugleich Tast- und Greifapparat und Waffe geworden. Ich könnte noch viele derartige Beispiele aus der heutigen Thierwelt aufführen, die nach menschlichen Ansichten wahrhaftige Wunder sind, in der Natur aber, die dem Grundsätze huldigt, daß der Zweck das Mittel heiligt, die Bedeutung der Wunder verlieren.

Kann uns nun nach solchen wundersamen Einrichtungen bei lebenden Thieren der Flugfinger der vorweltlichen Pterodaktylen noch in Staunen versetzen? Gewiß nicht, der Finger ist ja an sich schon Bewegungsorgan und übernimmt hier nur eine andere und zwar eine mehr untergeordnete Bewegungsweise, als die übrigen Finger. Wir finden ein fast ähnliches Verhältniß bei dem Pinguin, der seine Flügel nicht wie andere Vögel zum Fluge, sondern nur als Ruder beim Schwimmen gebrauchen kann, also auch keine Schwungfedern daran hat.

Eigenthümlich ist allerdings der Flugfinger ausschließlich den vorweltlichen Flugechsen, ebenso sehr wie dem lebenden Drachen die von den falschen Rippen gespannte Flughaut; andere Bewohner der Lüfte fliegen und flattern mit anderen Organen. So haben die Käfer, Fliegen, Schmetterlinge, kurz die Insecten überhaupt, ein oder zwei Flügelpaare, welche den Beinen gegenüber an der Rückseite der Brustringe eingelenkt sind, und wenn auch nur bloße Hautausbreitungen, sind dieselben doch in Anlage und Ausführung durchaus eigenthümliche Organe, welche andere Thiere schon vermöge der Anlage ihres Körpers gar nicht besitzen können. Eine Eidechse mit Flügeln, wie der Drache dargestellt wird, oder eine menschliche Gestalt mit Flügeln am Rücken, wie in den Abbildungen von Engeln, sind vom zoologischen Standpunkte aus betrachtet wirkliche Wundergestalten, denn nicht einmal Andeutungen dafür sind in der Natur aufzufinden. Alle Thiere mit innerem Knochengerüst, alle Wirbelthiere können höchstens nur zwei Paar Gliedmaßen zur Bewegung haben; wollen sie also fliegen, so müssen sie das eine Paar, und zwar das vordere, in Flügel verwandeln. So vergrößert unter den Fischen der fliegende Hecht zu diesem Behufe seine Brustflossen und schwingt sich damit hoch über das Wasser empor. Der Vogelflügel gleicht in der Anlage ganz den Beinen, und besonders den vorderen, der Säugethiere, d. h. er besteht im Knochengerüst aus Schulterblatt und Schlüsselbeinen, aus Oberarm, Unterarm und Handtheil mit Finger, zweien oder dreien. An diesen Knochen sind die großen Schwungfedern befestigt, welche, wie die Haare, bloße hornige Hautgebilde, also äußerlich angefesselt sind und den Fächer des Flügels bilden. Der eingliedrige Daumen hat bei vielen Vögeln noch einen wirklichen, unter den Federn versteckten Nagel und beweist damit auch äußerlich, daß er an einer Hand sitzt. Es ist also der Vogelflügel nur in der Ausführung, nicht in der Anlage seiner Theile von den Vorderbeinen der Amphibien

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_072.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)
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