verschiedene: Die Gartenlaube (1862) | |
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No. 1. | 1862. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Thränen der Rose.
Willst Du im Blumenschmuck der Au’n
Des Frühlings Bild, das schönste, schau’n,
O, wolle zu der Rose gehn,
Wenn ihr im Aug’ die Thränen stehn.
Sie kennt auch Deine Himmelsfreud’,
Und sie, der Blumen schönste Zier,
Theilt gerne Leid und Freud’ mit Dir.
Sieh’ dorten unterm Lindenbaum
Davor, allein mit seinem Schmerz,
Ein gramgebrochen Mutterherz.
Die bleiche Mutter, ganz verarmt,
Sie hält das kleine Grab umarmt,
Hat man versenkt ihr einzig Kind.
Der Abend thaut aus Himmelshöh’n –
Rings blühn die Rosen wunderschön –
Wie sie den Schmerz der Mutter sehn –
Des Vaterlandes schönster Tag –!
O Gott, wer ihn erleben mag!
Der alte Traum seit tausend Jahr
Ist Wahrheit worden golden klar;
Begrüßt zum allerersten Mal
Vom Nordmeer bis zur Alpenwand,
Vom Elsaß bis zum Dünastrand
Ein freies deutsches Vaterland;
Im ganzen Reiche fallen ein –
Es ist ein Morgen, dessen Freuden
Im Himmel Gottes Engel neiden,
Es ist ein Morgen, eine Pracht
Daß das urältste Herze lacht
Und allen Rosen wunderschön
Vor Freuden die Thränen im Auge stehn.
Der Letzte seines Stammes.
Es ist, seit die Dampfwagen und Dampfschiffe die Welt durchsausen, eine ganz neue Art des Reisens unter die Menschen gekommen. Sie sind aus Maßlosigkeit sehr genügsam geworden. Sie sehen das Meer, die Gebirge, die Flüsse, die ausgedehnten Eisenbahnlinien, auf denen die lange Reihe der Wagen sich wie eine geflügelte Riesenschlange dahin bewegt, sie sehen breite Landstraßen, große Städte mit hervorragenden Monumenten, Gebäuden und Gasthöfen, und kleinere Städte und Dörfer mit etwas kleineren Gasthöfen, aber sie sehen das Alles nur wie aus der Vogelperspective. Sie behalten die Physiognomie eines Mitreisenden im Gedächtnisse, dessen Namen sie nicht wissen, lernen den Namen eines Andern kennen, von dem sie nicht viel mehr als eben den Namen erfahren, sie kennen die Einrichtung, die Preise, die Wirthe und Kellner in den Hotels, sie haben verschiedene Kirchen und Gallerien durchlaufen, verschiedene Berge und Thürme erklettert, und ist dann die Reise zurückgelegt, so haben sie Nichts gewonnen, als eine Reihe von äußeren Anschauungen und von Vorstellungen, welche sie sich vollkommen eben so gut und weit weniger beschwerlich und kostspielig in einem Panorama und durch eine illustrirte Zeitung hätten aneignen können. Sie bringen es zu
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_001.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)