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Seite:Die Gartenlaube (1863) 267.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Abende bei Hippel zubrachte, nachdem ich die Haupthelden kennen gelernt. Von diesen erwähne ich nur noch Max Stirner, Verfasser und Erfinder der Haifischphilosophie: „Der Einzige und sein Eigenthum“, der sein erheiratetes Eigenthum verspielte und verpraßte und endlich selbst verhungerte, dabei aber immer der gutmüthigste und nobelste Mensch gewesen war.

Unter diesen chaotischen Massen von Staats- und Zukunftsgläubigern, die damals bei Hippel für Geld und auf Credit kneipten, zeichnete sich für mich bald ein junger, braver, körperlich und geistig ungemein elastischer Unbekannter durch An- und Uebermuth und unverwüstliche Schlagfertigkeit gegen jeden kritischen und persönlichen Angriff aus, wobei er nie ausfallend, nie persönlich, geschweige grob ward. Er war auch absolute Kritik, aber nur im Dienste wirklicher, praktischer Freiheit, die mir damals als „Handelsfreiheit“ zum ersten Male als neue, reizende, gewaltige Gottheit erschien und mich so packte, daß ich ihr sofort leidenschaftlich zu dienen begann. Ich haschte und packte die hingeschleuderten Blitze des elastischen, südlich-braunen Unbekannten, den sie immer Faucher nannten, mit mehr Eifer als Geschick und machte mir Lanzen daraus, die ich mit aller meiner Kraft in einem Localblatte gegen die Mahl- und Schlachtsteuer, gegen die Stadtmauer (die nun schon seit mehren Jahren wirklich wackelt) und gegen die Schutzzöllner im Allgemeinen so lustig brach, daß die Splitter und Spähne nur so herumflogen. Faucher selbst fing damals schon an, schwereres Geschütz gegen allerlei staatliche Verkrüppelungen der Industrie und des Handels, namentlich gegen das Staatsbanksystem und gegen den verbissenen Schutzzöllner Gustav Julius loszuprotzen, besonders in der Bruno Bauer’schen Literaturzeitung und den Börsen-Nachrichten der Ostsee.

So kamen Freihandels-Ideen in die Welt in Formen und wissenschaftlicher Schärfe, wie nie zuvor, und die, welche sie vertraten und für sie kämpften, fanden sich plötzlich einander und bildeten einen „Freihandels-Verein“, in dessen Versammlungen wir viel freier, viel glücklicher und viel solider waren auf unserm festen Boden, als die kritischen Absolutisten bei Hippel. Unser Verein war eine bestimmte, positive Gestalt aus dem Chaos heraus. Wir strichen unsere politischen Forderungen an den Staat und boten ihm im Gegentheil ein reiches, gebildetes, zufriedenes, steuerkräftiges Volk, wenn er nur so gut sein wollte, nicht mehr Leute zu cujoniren und sie ungeschoren arbeiten, verdienen, kaufen und verkaufen zu lassen. Wir baten blos für alle fleißigen Hände um Erlaubniß, ungebunden arbeiten und auch dem Staate viel Geld verdienen zu dürfen, und schenkten ihm dafür gleich im Voraus alle unsere landrechtlichen Ansprüche auf Constitution und Kammern, auf alle die elende, erlogene Freiheit, die nach Hansemann blos viel Geld kostet.

Dadurch unterschieden wir uns wesentlich von allen andern liberalen Bestrebungen und Parteien und waren geradezu überzeugt, daß Alles, was sie verlangten, nicht besser erreicht werden könnte, als auf unserm Wege. Wir wollen und können keine Partei sein. Adam Riese, Arithmetik und Naturgesetze sind weder königlich noch republikanisch. Ich weiß nicht mehr, wie dieser unser Freihandelsverein entstand. Jedenfalls war Faucher der genialste und anregendste Hauptfactor darin. Roback, Director der Handelslehranstalt, personificirte die liebenswürdigste, anekdotenreiche Jovialität und den Humor schutzzöllnerischer Verirrungen, J. Prince Smith, jetzt mit Faucher Mitglied der zweiten Kammer, in Vorträgen und in geharnischten, kurzen, schlagenden Broschüren, die ihm von England her angeborne Thatsachen- und Zahlen-Dialektik gegen die staatlichen Zwangsanstalten, der dicke Stein kladderadatschigen Hohn gegen die Handels- und Industrie-Künstler, die zu einander sagten: „Schlägst Du Deinen Juden, schlag’ ich meinen Juden“ (und das ist das wahre Princip aller Zollmaßregeln zwischen verschiedenen Staaten), Dr. Wiß, jetzt amerikanischer Consul in Amsterdam, die Kritik staatlichen Zwanges, und David, ein Berliner Kaufmann, die Nachtheile und Verwüstungen des Schutzzolls in ganz speciellen Gebieten des Handels. Ich selbst wurde auch nicht für überflüssig gehalten, da ich scharf aufpaßte, um die schlagendsten Thatsachen und Pointen immer gleich als kleine Münzen in Notizen und Correspondenzen unter’s Volk zu schleudern. Doch wir schreiben hier keine Schilderung der Freihandelspersönlichkeiten, sondern nur eine Skizze zu dem Portrait des genialsten und schlagfertigsten Apostels der Gewerbe- und Handelsfreiheit. Sein Leben bis zu der Zeit unseres Freihandels-Vereins ist in wenigen Zügen abzumachen.

Dr. Julius Faucher, Mitglied des preußischen Landtags, ist von Geburt ein Berliner und Franzose. Das erklärt viel in seiner vielfach unerklärlichen Individualität. Er wurde 1820 (den Tag hat er mir nicht genannt, sich wohl auch wenig darum bekümmert) – an der Berlinischsten Ecke geboren, unter den Linden und der Friedrichsstraßen-Ecke der Kranzler’schen Officier-Conditorei gradeüber. Das Haus gehörte, glaub’ ich, seinem Vater, der damals ein bedeutendes Ladengeschäft in Officier-Artikeln u. s. w. darin betrieb. Er gehörte zur französischen Colonie, deren Mitglieder Nachkommen der aus Frankreich vertriebenen Emigranten sind, welche inter Friedrich Wilhelm II. eine bereitwillige Aufnahme in Berlin fanden und eine Menge Cultur, Bildung und Industrie einbürgerten. Die Fauchers waren aus der Provence gekommen und sind noch jetzt in zwei Zweigen, in Berlin und Kassel, vertreten. Leon Faucher und die beiden napoleonischen Generale desselben Namens stammen aus derselben Familie.

Julius Faucher ist als echter Berliner zugleich noch ein echter Franzose und zwar ein Provençale. Seine Züge, sein Profil, seine Farbe, sein ganzes flinkes, elastisches, impulsives Wesen sind südlich romanischer Art und erinnern mit keinem Atom an deutsche Tugenden und Untugenden. Diese süd-romanische Flinkheit des Geistes und Körpers, unter scharfen Berliner Gamins an der scharfen Ecke aufgewachsen und täglich noch gewetzt und gewitzigt auf dem französischen Gymnasium und durch mathematische Studien auf der Universität, durch weite, übermüthige Ausflüge und Fußreisen, durch zweischneidigen Berliner Witz und die Alles in Grund bohrende absolute Kritik, durch allerhand Häkeleien und Hänseleien junger, übermüthiger Freunde, deren Witz und Spott er durch sein stets schlagfertiges, geniales Wesen auf die Mensur herausforderte und immer mit bewundernswürdiger Schonung und Kaltblütigkeit zu ertragen oder auf die Gegner so zurückzuschleudern wußte, daß es ihnen nicht weh that, – dies Alles und noch mehr, als ich weiß, gehört dazu, um uns diesen merkwürdigen Faucher als Person und Charakter einigermaßen zu erklären.

Damit haben wir aber freilich noch nicht den scharfen, kenntnißübermüthigen, volkswirthschaftlichen Jourualisten und cäsarischen Agitator, der, wo er sich auch hinstellt und den Mund aufmacht, Alles fesselt und mit sich fortreißt, sie mögen wollen oder nicht. Es ist wahr, daß er, von 1843 an in die Bewegung der Geister gerissen und nicht mit deutscher Gemüthlichkeit und Michelei am Boden kleben bleibend, besonders die praktischen Beziehungen verschiedener Völker zu einander mit scharfem Blick in’s Auge faßte, namentlich die Parteikämpfe in England, und dadurch zum Selbststudium der volkswirthschaftlichen Literatur Englands und Frankreichs geführt ward.

Das war just sein Feld und Fach. Das erfüllte und entzündete seine eigenste Natur und seine Specialität. Dazu kam der für die ganze deutsche Freihandelsbewegung günstige Umstand, daß der gediegenste und zugleich populärste volkswirthschaftliche Schriftsteller und Enthusiast, der geborne Engländer John Prince Smith, von Elbing nach Berlin übersiedelte, sich mit Faucher sofort befreundete und um ihn herum der Berliner Freihandelsverein zum freudigsten Leben und tüchtiger Wirksamkeit zusammenschoß. Wenn ich genau sagen sollte, wer ihn eigentlich gestiftet, würde ich mir damit helfen, die Stiftung ganz abzuleugnen. Wir kamen eben zusammen und disputirten und lachten über die ungeheuere Pfiffigkeit der Staatslenker und Handelsminister, die sich immer so fleißig über militärisch-zöllnerische Grenzen hinweg bedrohten und wirklich oft ihre eigenen Juden schlugen, wenn England oder Frankreich seine Juden schlug, d. h. die ihrem eigenen Volke künstlichen Mangel, künstliche Theurung verordneten, wenn die Zöllner und Sünder anderer Staaten ihren Unterthanen die Werte und Waaren anderer Völker vertheuerten. Man nannte das Repressalien, Gegenseitigkeit. Von der Heydt nennt’s am Ende noch so.

Also wir kamen eben zusammen und immer wieder zusammen und wurden ihrer immer mehr, und Noback erzählte in der trockensten, jovialsten Art seine volkswirthschaftlichen Anekdoten, und der dicke Stein machte volkswirthschaftliche Couplets und Kernsprüche dazu, und David sang Psalmen über Callico und Cotton, und John Prince Smith stand zuweilen auf und ereiferte sich und zerlegte mit dialektischer Schärfe irgend einen neuen Schutzzöllner-Unsinn des Tages, und Faucher schoß dazwischen hin und her, theils persönlich, theils mit Bemerkungen, die uns Alle überraschten, und war oft ebenso unerklärlich rasch verschwunden, wie er gekommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_267.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)
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