Verschiedene: Die Gartenlaube (1863) | |
|
allen diesen Unternehmungen das Königreich Westphalen am meisten gefährdet war, so hatte Herr v. B. Gelegenheit genug, sich durch eine unrühmliche Thätigkeit bei den Chefs der französischen Polizei beliebt zu machen. Schon früher hatte er im Auftrage Bercagny’s alte Verbindungen unter der Junkerpartei in Berlin wieder angeknüpft, um das Thun und Treiben der dortigen Patrioten auszukundschaften. Namentlich war der Freiherr von Stein dieser Clique ein Dorn im Auge, und mit Freuden ergriff dieselbe die Gelegenheit, den großen Staatsmann dermaßen zu compromittiren, daß Napoleon auf seine Entfernung dringen mußte. Herr v. B. wurde von Potsdam aus benachrichtigt, daß an einem gewissen Tage ein Hausirer auf der Straße zwischen Marburg und Gießen zu arretiren sei, der einen Brief an den zu Homburg weilenden Fürsten von Wittgenstein zu übergeben habe, in welchem Stein seine Pläne enthülle. Dieses aufgefangene Schreiben war denn auch der Grund zu des großen Ministers Entlassung. Bei dem Dörnberg’schen Aufstande spielte die Verrätherei des Herrn v. B. wieder eine große Rolle, da er sich durch seine aalglatte Natur das Vertrauen der Verschworenen zu verschaffen gewußt hatte. Unter dem Vorwand der Jagdliebhaberei trieb er sich auf den Gütern des Herrn von Malsburg umher, von wo aus er über die Pläne der Patrioten und über ihre Organisation mehrfache Berichte an den Grafen Fürstenstein (le Camus) und an den General Reubell schickte. Ja er hatte die Frechheit, mit dem Insurgentenheere bis zu der Knallhütte zu reiten, und bei dem unglücklichen Gefechte und der Auflösung der Patrioten ward es ihm leicht genug, Kassel auf Umwegen zu erreichen, wo er die Proscriptionslisten mit ausarbeiten half. Schlau, wie er war, hatte er alle Spuren seiner Verrätherei zu verwischen gewußt, so daß die Feinde der Regierung wirklich der Ansicht waren, dieselbe sei von dem ebenso patriotischen als klugen Herrn v. B. gründlich düpirt worden. Auch war letztere vorsichtig genug, die Thätigkeit ihres Agenten nicht durch officielle Gunstbezeigungen anzuerkennen, denn das hätte Argwohn erzeugen können, im Gegentheil wurde derselbe ganz im Geheimen durch eine bedeutende Geldsumme belohnt, während er nach wie vor seine unbedeutende Hofcharge bekleidete. –
In der westphälischen Armee herrschte damals ein eigenthümlicher Geist; die meisten Officiere waren bürgerlicher Abkunft und gewannen die militärischen Institutionen, welche aus der französischen Armee stammten, deshalb lieb, weil der frühere Gamaschendienst mit dem alten Zopfe beseitigt war und das Avancement nach Verdienst und Tüchtigkeit ging. Auch war der König Jerôme wegen mancher versöhnenden Eigenschaften nicht unbeliebt, jedoch blieb man im Herzen deutschgesinnt, und wenn man auch Krawalle und Putsche sogleich mit den Waffen zu unterdrücken bereit war, so war doch der größte Theil der Führer und Soldaten entschlossen, bei einem ernstlichen Aufstande auf die Seite des Vaterlandes zu treten. Nichts beleidigte aber den esprit de cops mehr, als die geheime Aufpasserei der französischen Generäle am Kasseler Hofe, die freilich die eigentlich schmutzige Arbeit durch Renegaten, wie v. B., verrichten ließen. So konnte es denn nicht fehlen, daß man diesen Spitzeln, hoch oder niedrig, auf die Spur zu kommen suchte, und der Zufall fügte es auch, daß ein patriotisch gesinnter Secretair, der in dem Bureau der höhern Staatspolizei angestellt war, Abschrift von gewissen Papieren nahm, welche den Herrn v. B. ganz besonders incriminirten; auch gelang es ihm, einen eigenhändigen und nicht in Chiffren geschriebenen Brief des schlauen Junkers, in welchem derselbe sich auf das Höchste compromittirte, ohne Aufsehen zu erregen, bei Seite zu bringen. Diese Documente wußte der Beamte auf sichere Weise in die Hände eines Officiers der Gardejäger (früher Dörnberg’s Corps) zu spielen, von dem er mit Sicherheit voraussetzte, daß er ein Mitglied des patriotischen Zweigcomité’s war, das damals heimliche Sitzungen in Kassel, fast unter den Augen der Regierung, hielt.
Der Sylvesterabend des Jahres 1810 füllte die Straßen von Kassel mit regem Leben. Tausende strömten vor dem Palais des Königs zusammen, um die glänzenden Equipagen vorfahren zu sehen, aus denen reichgeschmückte Masken stiegen, welche schnell zwischen betreßten Lakaien die hohe Schloßtreppe hinauf verschwanden. In den Sälen oben wogte ein buntes Leben auf und ab, da Alles, was zu den höhern Kreisen gehörte, eingeladen war, und Jerôme es vortrefflich verstand, solche Feste zu arrangiren. Der König selbst, im Costum Franz des Ersten, schritt an der Seite der schönen Gräfin O. durch die hohen Gemächer und gab hin und wieder näher bekannten Personen ein freundliches Erkennungszeichen. Auch Herr v. B. trieb sich im schwarzen Domino unter der Menge herum, behutsam schleichend, um etwaige Liebesintriguen zu erlauschen, mit denen er dann den andern Tag den Hofscandal bereichern wollte. Da berührte Jemand seine Schultern, und als er sich umdrehte, gewahrte er ein florentinisches Blumenmädchen, welches ihm ein Rosenbouquet überreichte. Als er dieses näher betrachtete, sah er ein sauber gefaltetes Billet darin stecken. Schnell gefaßt, entfernte er sich in einen stillern Corridor, wo er unbeachtet das Briefchen entfaltete und folgende Worte las:
„Theurer Herr v. B.! Eine schöne Dame, die von Ihnen bewundert zu sein glaubt und vor Sehnsucht nach Ihnen stirbt, erwartet Sie diese Nacht. Folgen Sie ohne Bedenken der Ueberbringerin, denn die Gelegenheit möchte sich nicht wiederfinden.“
Der eitle Junker, der sonst aus guten Gründen dergleichen einsame und risquante Abenteuer nicht liebte, überlegte eine kleine Weile, ob er die Einladung annehmen sollte oder nicht, indessen besaß er von seinem frühern Berliner Leben noch Leichtsinn genug, um derselben zu folgen. Am Ende des Corridors, am Eingang des großen Saales, sah er das Blumenmädchen vorsichtig winkend stehen und folgte demselben unbemerkt; doch als sich dasselbe durch eines der Hauptgemächer wand, wo gerade von einer Anzahl Masken ein Menuet getanzt wurde, traf er den König mit seiner Dame, der in der rosigsten Laune zu sein schien. „Heda, Maske! wohin? Die Larve herunter!“ Als dieses natürlich augenblicklich geschah, fuhr Jerôme fort: „Ah, Herr v. B. wieder auf Schleichwegen!“ und auf das Blumenmädchen deutend fügte er hinzu: „das scheint eine gefährliche kleine Hexe zu sein, nehmen Sie sich in Acht!“ Der durch ein vornehmes Kopfnicken entlassene Cavalier stieg nun an der Seite seiner Begleiterin eine Nebentreppe hinunter und gelangte so auf eine weniger frequente Gasse, wo der scharfe, eisigkalte Nachtwind ihn einen Augenblick stutzig machte. Doch das Blumenmädchen schritt unbekümmert weiter, sich nur von Zeit zu Zeit umsehend, ob er auch nachkäme. So gelangten sie auf den Friedrichsplatz und stiegen von dort in die schneeglänzende Aue hinunter. Herr v. B. wäre gern wieder umgekehrt, da er unheimlich zu fühlen begann, indessen fürchtete er den andern Tag wegen seines Kleinmuths ausgelacht zu werden, und außerdem beruhigten ihn die lustigen Gesänge der Gardechasseurs, welche in dem nahen Orangeriepalais einquartiert waren und auf des Königs Kosten die Neujahrsnacht feierten. Als nun seine stumme Führerin direct auf das bekannte Marmorbad zuschritt, welches zu jener Zeit häufig zu galanten Abenteuern benutzt wurde, folgte er unbedenklich, obgleich sie auf alle seine Fragen nur mit einem stummen Kopfschütteln antwortete. An einem kaum merkbaren Seitenpförtchen blieb das Blumenmädchen stehen und klopfte dreimal sachte an, worauf sich dasselbe leise öffnete und v. B. mit seiner Begleiterin eintrat. Dieselbe führte ihn durch eine enge Passage in ein dunkles Zimmer, worauf sie plötzlich verschwand, während er im Finstern um sich tastend fast bestürzt zurückblieb. Da öffnete sich plötzlich eine Thür und ein hoher Mann in Cürassieruniform trat ein, einen Armleuchter mit brennenden Kerzen in der Hand, den er auf einen mit Papieren bedeckten Tisch niedersetzte, ihm folgten noch zwei andere Officiere, nebst einem jungen Manne in Tracht eines Corporals der Gardejäger. Dem saubern Junker ging nun in der That ein Licht auf, und seine Zähne schlugen krampfhaft zusammen, als er sich in dem kleinen Ankeidezimmer des Marmorbades Leuten gegenübersah, an deren Verderben er planmäßig gearbeitet hatte. Zuerst kam ihn der Gedanke an Flucht an, doch wie er die lauernden Blicke seiner Gegner und deren Waffen sah, ließ er diesen fallen und beschloß sich durch unverschämtes Leugnen aus der Klemme zu ziehen. Er nahm die schwarze Sammetmaske herunter, kreuzte die Arme auf der Brust und fragte in arrogantem Tone, was die ganze Procedur bedeute.
„Das werden Sie gleich sehen, Herr v. B.,“ sagte der älteste der Officiere, indem er einen Blick auf die vorliegenden Papiere warf „Sind Sie nicht der Schurke, der im Dienste der geheimen Staatspolizei die besten Männer, um deren Freundschaft Sie heuchlerisch buhlten, verrathen und in das Unglück gestürzt hat? Haben Sie selbst nicht nach der Dörnberg’schen Affaire, als Alles wieder in das alte Gleis gekommen war, und der König selbst gern vergessen wollte, von Neuem wieder das Feuer geschürt und frische Denunciationen gemacht? Leugnen Sie noch? Hier sind die Conduitenlisten über die Garde du Corps, die Gardechasseurs und das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_271.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)