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Seite:Die Gartenlaube (1863) 728.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Federzeichnungen aus Ungarn.
Gefangennehmung eines ungarischen Räubers – Schilderung einer Zigeunerstadt.
Von Franz Wallner.

Die Sehnsucht, einen Bruder nach dreißigjähriger Trennung zu umarmen, eine glücklich verheirathete Schwester in ihrer stillen Häuslichkeit zu besuchen, führte den Verfasser dieser Federzeichnungen diesen Sommer mit den Seinigen in das Innere eines Landes, dessen Culturzustände selbst dem gebildetsten Deutschen unbekannter sind, als die der Südseeinseln, und welches, trotz der reichsten Naturschätze, dem Vergnügungsreisenden verschlossen liegt, wie das Buch mit sieben Siegeln. Bis Pesth reichen dem deutschen Touristen noch heimische Bildung und behaglicher Comfort die Hand, von dort ab aber „laß,“ wie beim Eintritt in Dante’s Hölle „alle Hoffnung hinter Dir.“

Mit dem frischesten Eindruck, den das großartige Turnfest in Leipzig auf uns hervorgebracht, überwältigt von den bezaubernden Schönheiten der Alpennatur, vollständig befriedigt von der Sauberkeit und Ordnung auf dem Linzer Dampfboote, und entzückt von dem reichen Panorama der Donaufahrt, betraten wir in Wien das nach Mohacz führende Schiff, welches uns in das Herz von Ungarn tragen sollte.

Die Conversation auf dem Schiffe, insofern eine solche in der Gesellschaft zu ermöglichen ist, drehte sich fast lediglich um die neuesten Räubereien, von welchen in jenen Gegenden als etwas Selbstverständlichem und Unvermeidlichem gesprochen wird, wie bei uns von den Wahlen oder anderen Tagesereignissen. Wie in Deutschland ein Ministerwechsel zu langen Kannegießereien Anlaß giebt, so dort die Frage, ob der Räuber Bergam im Baranyer Comitat, oder der Banditenhauptmann Patko am Plattensee größer sei, ob Letzterer im Kampf mit den Panduren wirklich getödtet oder nur versprengt worden sei, ob Bergam wirklich in Bogdasa erschossen wurde. Da wir dem Schauplatze dieser Dramen entgegen eilten, so werde ich später Gelegenheit haben, die Scenen aus dem Wirken der Hauptacteurs, größtentheils nach Berichten von Augenzeugen, meinen freundlichen Lesern vorzuführen.

Vor der Hand sind wir auf dem Dampfboote und besehen uns die trostlos öden Ufer der unteren Donau, mit ihren einförmigen Staffagen, in welchen nur ab und zu eine lagernde Büffelheerde, oder ein Kanasz (Schweinehirt) mit seinen zahllosen Pflegebefohlenen, die nicht, wie unsere, sich träge im Schlamm wälzen, sondern spielen und lebhaft umher laufen, einigen Wechsel in die monotone Scene bringen. Auch unter den Viehhirten herrscht in Ungarn eine strenge Sonderung der Elemente: der Csikos, als Pferdehirt, sieht mit Stolz auf den Gulyase, den Rinderwächter, herab, der seinerseits den Kanasz mit Verachtung behandelt und nicht als seines Gleichen betrachtet, wie sich denn wirklich diese zahlreichen Classen der ungarischen Bevölkerung in Kleidertracht, Sitten und Lebensweise auf’s Strengste scheiden.

Wir athmen hoch auf, als wir vernehmen, daß die nächste Station das Endziel unserer Wasserreise bilden soll. Von Mohacz bis eine halbe Stunde vor Fünfkirchen nimmt uns die Eisenbahn auf, welche dort von der Direction der Donau-Dampfschifffahrt zur Beförderung des immensen Materials aus ihren großartigen Kohlenbergwerken in’s Leben gerufen worden ist. Der ganze Landungsplatz bei Mohacz ist mit aufgehäuften Kohlenhügeln bedeckt, der Boden, die Wege, die Luft damit geschwängert. Auf beiden Seiten lagern Raizinnen in ihrer pittoresken Landestracht, mit geschminkten Gesichtern, die den Ankommenden die köstliche Frucht der nahen Vyllianer Berge, die süßeste aller Trauben, für wenige Kreuzer in Massen zum Verkauf anbieten. Von der beispiellosen Billigkeit des Weines in diesen Gegenden kann man sich kaum eine Idee machen; das Gefäß, in dem das edle Naß aufbewahrt wird, sei es auch noch so einfach, kömmt viel höher zu stehen, als der Wein selbst; die untere Volksclasse trinkt daher seltner aus Glasgefäßen ihren täglichen Bedarf, sondern füllt damit flaschenähnliche Kürbisse, welche große Aehnlichkeit mit den amerikanischen Calebassen haben. Die Strecke, welche wir jetzt auf dem Schienenwege mit dem Gefühl persönlicher Sicherheit durchfliegen, war vor nicht langer Zeit noch der Schlupfwinkel der gefährlichsten Räuberhorden, welche dem Reisenden auflauerten und, wenn nicht sein Leben, doch sicher seine Habe als Tribut für die Schonung des ersteren einforderten. Nur wohbewaffnet und karawanenweise zogen die Bürger und Kaufleute von Fünfkirchen nach der ungarischen Hauptstadt diesen Weg entlang.

In den letzten Monaten erst haben energische Streifzüge den Heldenthaten der letzten Anführer der Szegén legény[1], den berüchtigten Strolchen Bergam und Patko, ein Ende gemacht, obgleich noch eine dunkle Sage geht, daß in dem Gefechte, welches der Laufbahn des Letzteren ein Ziel gesetzt, nicht er, sondern sein Adjutant getödtet worden sei, er selbst habe sich bis auf günstigere Zeiten „ins Privatleben zurückgezogen“. Aehnliches passirte mit dem bekannten Rosza Sandor, welcher sich während der ungarischen Revolution mit seinen „armen Jungen“ der Kossuth’schen Regierung zur Verfügung gestellt hatte und durch das Wegnehmen der Ochsenheerden, welche der österreichischen Armee zugeführt werden sollten, dieser unermeßlichen Schaden zufügte. Der kluge Bursche ließ das Bild seines Adjutanten – ohne einen solchen ist ein ungarischer Räuber von einigem Ruf nie – lithographiren und das wohlgetroffene Bild desselben mit der Unterschrift „Rosza Sandor“ versehen, worauf das Original nicht wenig stolz war. Freilich brachte ihm diese Eitelkeit den Strick um den Hals zum Lohne ein. Denn Rosza Sandor hatte mit schlauer List Sorge getragen, daß eine große Anzahl der Conterfey’s seines Stellvertreters in effiege den Weg in das österreichische Lager fanden, wo bei einem Ueberfall, zum Jubel der Machthaber, das Original eingefangen und trotz aller Protestation, „er sei nicht der Rechte“, sofort standrechtlich gehängt wurde. Während alle österreichischen Blätter die Nachricht brachten, daß den berüchtigten Räuber sein Schicksal ereilt habe, trieb dieser mit seiner Bande, die aus mehr als 300 Mann angewachsen war, autorisirt von seiner Behörde, in der Gegend von Szegedin nach wie vor die kaiserlichen Ochsen zu Hunderten und Tausenden fort, trug Briefe und Depeschen von der größten Wichtigkeit mitten durch das feindliche Lager von Komorn nach Debreczin, ohne daß irgend Jemand eine Ahnung hatte, daß der gebildete,[2] edelmännisch aussehende, mit den besten Pässen versehene Pesther Kaufmann der berühmte Parteigänger sei.

Sein in viel größerem Ansehen stehender College Bergam war kurz vor meinem Eintreffen in Fünfkirchen in dem Dorf Bogdasa von dem Panduren-Corporal Babarzi Janos erschossen. Aus dessen Munde habe ich die folgenden Mittheilungen, welche er mir auf mein Ersuchen, und durch klingende Bevorwortung unterstützt, in ungarischer Sprache niederschrieb, und zwar in Form und Ausdruck gewandter, als man es von einem deutschen Polizisten untergeordneten Ranges erwarten dürfte. Auf dem Amte in Sziklos werden noch mit Stolz die Kleider des Bergam gezeigt, bestehend in einem prachtvollen Schnürrock mit reicher Pelzverbrämung, rundem ungarischem Hut, engen Beinkleidern, Stiefeln mit schweren Quasten, Stock mit reichem Silberbeschlag. Den schönen Rock hat freilich die Kugel, die ihm der gute Janos auf den Pelz gebrannt, gar arg beschädigt.

Wir wollen der Erzählung des wackeren Babarzi folgen und die wichtigsten Details daraus den Lesern mittheilen. Der Schauplatz der Schandthaten des Bergam war früher die slavonische Grenze, dort verübte er viele Grausamkeiten. In Csagyavicz brach er mit seinen Gefährten am hellen Tag in’s Dorf ein und plünderte dasselbe, wobei drei Menschen erschossen und acht schwer verwundet wurden; dem Wirth Franz Weselsky, welcher den Ort nicht nennen wollte, wo er sein Geld versteckt hatte, wurden die Nägel von den Fingern gelöst. In Marianczán hielten die Räuber dem Pfarrer das Crucifix vor, worauf er einen Eid ablegen mußte, daß er wirklich nicht mehr Vermögen habe, als er den „armen Jungen“ abgeliefert. In Feliczány wurde der Notar erschossen und die ganze Umgegend in Angst und Schrecken versetzt, bis endlich die ganze Bevölkerung gegen die Geißel aufstand und Bergam

  1. Szegén legény: arme Jungen, nennt der Ungar die Buschklepper seines Vaterlandes.
  2. Rosza Sandor hatte das Gymnasium zu Szegedin absolvirt war einer der besten Schüler daselbst.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_728.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)
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