Verschiedene: Die Gartenlaube (1863) | |
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würde zu viel Raum beanspruchen, und außerdem war die Reichhaltigkeit desselben so groß, daß dem einzelnen Beobachter wohl auch Manches entgehen mußte.
Lange vorher ehe noch der Zug erschien, hörte man schon aus bedeutender Entfernung den brausenden Jubel, mit welchem er überall begrüßt wurde. Die Straßen, welche er berührte, waren gedrängt voll Menschen, so daß eben nur ein enger Raum übrig blieb, und alle Fenster, bis zu den Dächern hinauf, waren von Zuschauern besetzt.
Nach einer den Zug eröffnenden Reiterabtheilung schritten in prächtiger Haltung die Turner einher, als die Vertreter jugendlicher Kraft. Hieran schlossen sich, den Jubel der Zuschauer munter erwidernd, die oberen Classen der Schulen. Weißgekleidete Jungfrauen, mit Eichenkränzen geschmückt, bildeten die liebliche Ehrenbegleitung der nun folgenden Veteranen. Ein ergreifenderes Bild konnte man sich kaum vorstellen: hier die zarten Jungfrauen, an der Schwelle eines freudenreichen Lebens stehend, und dort diese würdigen Greise, denen vielleicht nur noch wenige und leider oft genug auch gar karge Tage zugezählt sind. Aber ein Lichtblick sollte dieses Ehrenfest gewiß für den Lebensabend der Veteranen sein, und der begeisterte Zuruf, der ihnen von allen Seiten zu Theil wurde, war ein vollgültiger Beweis, daß man heute dankbaren Herzens der Dienste gedachte, welche jene einst dem bedrückten Vaterlande geleistet hatten. Aus allen Fenstern wehten Tücher, und was in der vorgerückten Jahreszeit an Blumen noch aufzutreiben gewesen war, das hatte man herbeigebracht, um sie den greisen Helden zu weihen. Von allen Seiten flogen Bouquets und Kränze auf den Zug hernieder, und die alten Krieger wußten oft ihren Blumenreichthum gar nicht mehr unterzubringen. Eine lange Wagenreihe brachte zuerst zumeist die gebrechlicheren Veteranen, und da sah man denn oft die offenen Wagen fußhoch mit Blumen angefüllt. Die Gefeierten waren von dieser Theilnahme sichtbar ergriffen. Viele konnten ihre Thränen nicht zurückhalten, und den meisten versagte vor Rührung die Stimme, wenn sie den rings aufbrausenden Jubel durch dankenden Zuruf erwidern wollten.
Im Publicum hatte sich das Gerücht verbreitet, in einem der Veteranenwagen befinde sich auch die alte, achtzigjährige Wittwe Häusser, die Pflegerin Körner’s, als dieser sich nach dem unglücklichen Gefechte bei Kitzen im Dorfe Großzschocher bei Leipzig einige Tage von seinen Wunden erholte. Wie ein Lauffeuer war dies Gerücht durch die dichtgedrängten Zuschauerspaliere geflogen, und sowie ein neuer blumen- und kranzgeschmückter Wagen kam, war immer der erste Blick darauf gerichtet, ob nicht die wackere Alte in ihm sitzen würde. Allein Equipage auf Equipage rollte in langsamem Schritte vorüber, schon erschienen die Droschken und hinter ihnen gar mächtige Omnibus, alle voll theurer Festgäste – allein nirgends wollte sich die Erwartete zeigen, wenn auch ab und zu einmal ein freundliches bejahrtes Mütterchen, das die Veteranen in ihre Mitte genommen hatten, schon das Geflüster in den harrenden Reihen entlockte: „Das ist sie!“
Unmittelbar hinter den mit Veteranen besetzten Wagen erschien eine lange Reihe der alten Krieger, welche sich noch stark genug fühlten, das ziemlich entfernte Ziel des Festzuges zu Fuße zu erreichen. Wohl stützte sich dabei Einer und der Andere auf seinen Nebenmann, der als treuer Camerad so viel als möglich dem Schwächeren Hülfe leistete, allein Mancher war auch im Zuge, der noch heute wie vor fünfzig Jahren denselben Weg mit Flinte und Tornister zurückgelegt hätte. Trat übrigens einmal unter dieser Abtheilung hier und da ein Augenblick der Ermattung ein, so brauchten die ihnen beigegebenen Musikchöre nur den bekannten Pariser Einzugsmarsch wieder anzustimmen, bei dessen Klängen neues Feuer und neue Kraft in die Reihen der Greise zu kommen schien. Fester schloß man sich an einander an, und mit frischem Muthe wurde dann dem Commandowort: Vorwärts! Folge geleistet. Manche Veteranen hatten sich die ihnen zugeworfenen Kränze auf das Haupt gesetzt und glichen den mit dem Preise gekrönten Siegern. Die originellste Idee aber hatte ein alter Invalid, der überall, wohin er nur kam, durch seine wahrhaft jugendlich muntere Laune der Liebling des Publicums und seiner alten Kriegsgefährten wurde. Sein hölzernes Bein verhinderte ihn, den Festzug zu Fuße mitzumachen, und man hatte ihm deshalb in einem der festlich geschmückten Wagen, welche den Veteranenzug eröffneten, seinen Platz angewiesen. Die Kränzespenderinnen hatten nun aber den alten freundlichen Invaliden ganz besonders reichlich bedacht, und er kam sehr bald in Verlegenheit, wo er diese Blumengaben bergen sollte. Allein er wußte sich rasch zu helfen, denn plötzlich schnallte er sein Stelzbein ab, schmückte dasselbe mit den Kränzen und schwenke diese nun jubelnd in der Luft.
Auf die Mehrzahl der Veteranen machten die ihnen von allen Seiten gespendeten Ehrenbezeigungen jedoch einen tiefernsten Eindruck, und viele sah man, denen fortwährend helle Thränen über die gefurchten Wangen rollten. Wie Mancher gedachte der Cameraden, die vor fünfzig Jahren auf dem Schlachtfelde, welches jetzt das Ziel des Zuges war, ihr Leben aushauchten, um durch ihren Tod die Auferstehung des Vaterlandes zu besiegeln! Wie viele andere Cameraden, die jene Kämpfe glücklich überstanden, waren seither vom Leben geschieden, und wie mancher der Braven, die man hier mit Jubel begleitete, sagte sich in denselben Augenblicken mit Wehmuth, daß dieses Fest wohl die letzte Freude sei, welche ihm der Rest seines Lebens noch geboten habe!
Große Theilnahme wandte sich auch einer im Zuge befindlichen Matrone zu, welche die volle Anwartschaft hatte, das große Jubelfest mitzufeiern, wie die auf ihrer Brust erglänzenden beiden Ehrenzeichen zur Genüge bewiesen. Ein kleines an ihrer Seite hängendes Fäßchen trug die Aufschrift: neuntes Infanterieregiment Colberg – und klärte Jeden sofort über die ehemalige Stellung der Greisin auf. Wir hatten eine Marketenderin vor uns, welche den vielen sich herbeidrängenden Fragern berichtete, daß sie heute vor fünfzig Jahren auch ihren Einzug mit den Truppen in Leipzig gehalten habe. Einzelnheiten des Kampfes wußte sie jedoch nur wenig anzugeben, weil sie – so lautete ihr Bericht – den furchtbar ermatteten Soldaten nun auch habe fleißig einschenken müssen. Die bescheidene Matrone zählte jetzt 73 Jahre, doch setzte sie trotz ihres vor Altersschwäche unaufhörlich zitternden Hauptes eine Ehre darein, wenigstens eine lange Strecke, auf den Arm eines jüngeren Mannes gestützt, an der Seite der Veteranen im Zuge zu wandern, bis sie allzuermüdet von dem ihr angebotenen Platz in einem der Wagen Gebrauch machte. Louise Kowaschütz war der Name der Greisin, welche durch die ihr allseitig bewiesenen Aufmerksamkeiten innig gerührt versicherte, daß ihr dies Alles wie ein Traum vorkäme, umsomehr als sie an ihrem Wohnorte – Berlin – so ganz kümmerlich und unbeachtet lebe.
Außer Stande, alle die rührenden Einzelnheiten des Festzuges zu melden, um so weniger, als Zuschauer und Theilnehmer des Zuges fortwährend noch neue Thatsachen berichten, die von dem erhebenden Eindrucke des Ganzen Zeugniß geben, wollen wir nur noch erwähnen, daß unmittelbar hinter den Veteranen der Leipziger Schlacht Mitglieder der ehemaligen Freischaar des sächsischen Banners marschirten. Ihnen reihte sich der Leipziger Schützenbund an mit der prachtvollen mit einem Gemälde von Bleibtreu geschmückten Fahne, welche die Frauen und Jungfrauen Berlins gestiftet haben.
Der Festausschuß endlich ging den anwesenden Vertretern der deutschen Städte voraus, welche nicht minder begeisterter Jubelruf begrüßte.
In unabsehbarer Reihenfolge schlossen sich nun die Studirenden und Professoren der Leipziger, sowie Deputationen auswärtiger Universitäten, die Landgemeinden, die Sänger, Künstler, Buchhändler, Kaufleute, Gewerke und geselligen Vereine an, bis die Turner aus den benachbarten Ortschaften das Ende des Riesenzuges bildeten, dessen Theilnehmerzahl, wohl nicht zu hoch gegriffen, auf 20,000 geschätzt wurde.
Eine Anhöhe bei dem Dorfe Stötteritz, etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, war das Ziel der festlichen Wanderung. Man hatte diesen Platz nicht nur gewählt, weil hier vor fünfzig Jahren der Kampf furchtbar gewüthtet, sondern auch, weil man von diesem Punkte aus das ganze weite Schlachtfeld vollkommen übersehen kann.
Wohl mancher der Veteranen mag sich hier die furchtbaren Stunden des Kampfes vergegenwärtigt haben, welchen er damals auf dieser Stelle oder in nächster Umgebung beiwohnte. Sinnend schweiften jetzt die Blicke der alten Krieger umher, und die sie gleichsam als Ehrenwache umgebenden Jungfrauen erschienen in ihrer weißen Kleidung mit den Eichenkränzen wie Siegesgöttinnen, welche die Helden zu krönen gekommen waren.
Noch während der unendliche Festzug heranwallte, begann die Feier der Grundsteinlegung zu einem Denkmal, welches ein dauerndes und würdiges Erinnerungszeichen an den Sieg Deutschlands über schmachvolle Fremdherrschaft werden soll.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_732.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)