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Seite:Die Gartenlaube (1863) 743.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Felsengestalten, die auf der Roßtrappen- und Tanzplatzseite einander gegenüber ragen und sich, 600 Fuß auseinander, doch unheimliche Geschichten zuzuflüstern scheinen. Bis in ihre höchsten Klüfte und Spalten hinauf haben sich Eichen und andere kräftige Laubhölzer angesiedelt, wohlgenährt und geliebt als Stammgäste des sonst unwirthlichen Gesteins. Wenn die Sonne untergeht, kleiden sich die Wände und Höhengebilde der Roßtrappenseite in malerischen Abtönungen blau- und violethauchig, während die gegenüber unmittelbar vor unseren Augen empor mit der obersten, helleren Hälfte der Regenbogenfarben spielen. Die alten, grauröckigen Höhenriesen stehen plötzlich da, um den „Bischof“ herum, in goldenen Gewändern. Sie blicken mit verklärten Gesichtern in das ferne Abendroth, und der ungeschlachte, bärtige Baschkire, den mein Freund Lede am 25. August zuerst entdeckte, liegend und schnarchend auf einem bekannten Preußen-Profile, das ihm als eine Art Kopfkissen dient, scheint sich zu erheben, um seine häßliche Physiognomie auch etwas vom Abendroth verklären zu lassen. Dann bleichen und dunkeln allmählich die hellen Töne auf den lachenden Eichenkronen und den grauen Steinblöcken, und auch die Thürme und Wände ganz oben werfen ihren Goldschmuck der sinkenden Sonne nach über den Himmel. Man kommt wieder zu sich und ist ganz still, bis Freund Lede sich unserer Rührung schämt und einen Berliner Witz abblitzt gegen die Schwägerin „Emulie“, die gar nichts sagte und auch jetzt nichts sagt, sondern blos Thränen in den Augen hat und sie, abgewendet, hinunterträufeln läßt in den weißen Gischt des unten im Dunkel rauschenden Bergflusses.

Als wir einige Tage später vor dem „neuen“ Waldkater saßen, sprachen wir auch nicht, und selbst Lede’s Witz war verstummt, aber nicht aus Poesie, sondern wegen gar keiner Aussicht, wegen sauren Bieres und großthuend kleinstädtischer Geheimräthe, und vornehm nichtssagender Gesichter von Töchtern. Es schienen eine ganze Menge von kleinstädtischen Großmoguls mit Familie zu sein, die immerwährend vor einander Verbeugungen machten und allerhand Sorten von Hüten und „Angströhren“ vor einander weniger abnahmen, als vielmehr hoch in die Luft hielten, von einem Ohre bis zum anderen mehr oder weniger schadhafte Zähne wiesen und unzählige Titel männlichen und weiblichen Geschlechts hindurch lächelten.

Und da saßen sie denn vor der geleckten Fronte des vornehmthuenden, gewöhnliche Sterbende durch saueres Bier verscheuchenden neuen Waldkaters, der die ganze Aussicht nach der einen Seite vermauert und die andere durch kokett angepflanztes Baumgestrüppe unsichtbar macht, so daß man blos auf einer künstlich angelegten Kiesebene, auf der ganz kahlen Façade des Hauses und auf einigen Kutscherrücken und Pferdeschwänzen seine Augenweide pflegen kann. Das ist der „neue“ Waldkater, ganz wie ein „Hotel“ inwendig, und auswendig den Herrschaften die gemeinen Aussichten auf ungehobelte Felsen und ungezogene Bäume wohlthätig verhüllend, damit kein Bischof oder Baschkire über ihnen sie in dem Genusse ihrer exclusiven Erhabenheit und Froschperspective störe.

Verirrt sich nun gar Jemand krank in’s Hubertusbad, das vor Thale am Eingange zum Bodethale recht hübsch auf einer Insel des Bergflüßchens versteckt liegt, um sich aus den eisen- und jodhaltigen Soolquellen neue Gesundheit zu holen, so mag er nur eilen, um vor Tanzmusik und Rechnungen anderswo wieder Ruhe zu bekommen. Eine kranke Dame, die sich hier Genesung und Ruhe teuer erkaufen wollte, wurde hinter den Tanzboden einquartiert, wo sie fast die ganze Nacht unmittelbar vor ihrer Thür tanzten. Am Tage giebt’s oft Concert aus buckeligen Blaseinstrumenten. Außerdem leidet ein permanenter Bewohner stets an zu großem Durst und Mangel an Gleichgewicht.

Der alte brave Förster, Herr Daude, dem diese über 7 Morgen große Hubertuslandinsel gehört, möchte diese „Civilisation“ gern wieder los sein und als Bad an geeignete Personen verkaufen. Die Quellen sind vielfach chemisch und ärztlich untersucht und für sehr heilkräftig gegen allerhand Haut- und Verdauungsleiden erachtet worden. Außerdem ließe sich dort sehr ruhig und gesund wohnen, wenn die ganze Insel wirklich als Badeort eingerichtet und bewirthschaftet würde. Jetzt als Tanzkneipe und „Hotel“ und Tummelplatz von Bierfiedlermißtönen hat sie weder eine gute Gegenwart, noch eine angenehme Zukunft. Mögen Eisenbahnstation und Eigenthümer zusehen, wie sie das Hubertusbad in guten Ruf bringen. Erstere läßt es nicht an Anstrengungen fehlen, die verschiedenen Harzpartien für Fußgänger und Wagen immer zugänglicher zu machen. Mag sie sich vor Modernisirung, Hotelirung und Vornehmisirung hüten. Sie verscheuchen damit die Hexen, die Geister, die Wald und Quellnymphen, die Prinzessinnen Ilse und ihre Colleginnen, welche mit Heine den Gästen zurufen:

„Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well’,
Du sollst Deine Schmerzen vergessen,
Du sorgenkranker Gesell!

In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Brust,
Da sollst Du liegen und träumen
Von alter Märchenlust.“

Die Bode hat dazu eben so schöne Anlagen, wie die Prinzessin Ilse, wenn nicht reichere. Beide sind brockengeboren, aber erstere ist lustiger, neckischer, von dauernderer poetischer Laune und nach meinem Gefühl malerischer und märchenhafter, thalumsäumt zwischen Hexentanzplatz und Roßtrappe und weiter hinauf um die Teufelsbrücke, als die Ilse während ihrer kurzen Sprünge zwischen Westerberg und Ilsenstein, hinter welchem sie sich dann gleich nüchtern nach Wasserleben zu verflacht. Wir wollen die höheren Schönheiten der Vegetation, die Aussichten, die Wasserfälle dort nicht leugnen, aber wenn man sich mit den unzähligen kleinen, verstreuten und verwirrten Wasserfällen der Bode die verhältnißmäßig geringe Mühe geben würde, an zwei oder drei Stellen einige Felsblöcke wegzusprengen (viele kann man wegstoßen und schieben) und an andern etwas zu häufen, so gewönne man die schönsten, lustigsten Cascaden, die keine Spur von künstlicher Nachhülfe verrathen würden. Ich erinnere nur an den wunderhübschen Wasserfall der Selke, unweit des Mägdesprungs, der jedenfalls auch durch unsichtbar gewordene künstliche Nachhülfe so laut und so sprudelnd geworden ist und wie weißgekleidete Jungfrauen graciös und leicht zwischen bemoosten Steinen herabtänzelt. Das sieht durch den reichen Waldschmuck hindurch unvergeßlich heiter und herrlich aus.

Einige gute, muntere Sprünge der Bode zwischen den trotzigen Wänden und den „Bischöfen“, „Baschkiren“, „Mönchen“ und „Felsenthoren“ oben würden den Reiz dieses Thales ungemein erhöhen. Sie wäre dann eine silberfüßig harzmärchentanzende Taglioni, Pepita und Elsler zwischen den königlichen Logen oben, aus denen so ehrwürdige Herren herabschmunzeln. Diesen Vergleich vom Theater her verdank’ ich gewiß meinem braven Harz-Mentor und „unverwüstlichen Theaterfreunde“, im Uebrigen Berliner Buchhändler Lazarus Witzibold Lede. Ihm und seiner verehrten Frau verdank’ ich vor Allem das Forsthaus zu Thale. Sie hatten’s vorher entdeckt als Asyl gegen die modernen Hotelungethüme, welche mitten im Juli Gäste aus heißen, stickigen Städten auch im luftigen, duftigen Harze einfangen, in enge Schlafkasten sperren und sich dafür gute Preise und Trinkgelder bezahlen lassen. Im zurückgezogenen Forsthause der Frau Oberamtmann Metler braucht man nicht zu „logiren“, sondern kann gleich „wohnen“, sich häuslich einrichten, sich beim Erwachen von den Bäumen am Fenster Morgengrüße flüstern lassen und im Schlafrocke hinausgehen in den Garten unter beladene Obstbäume und eine luftige Riesenakazie und in würzigster Morgenluft bestellten oder eigen bereiteten Kaffee trinken und mit den Damen, Hunden, Hühnern, Pferden und Wagen des Hauses oder zufälligen Mitbewohnern freundliche, ungenirte Grüße wechseln, Ausflüge verabreden und den ganzen Morgen ruhig und heiter verplaudern. Hier im Forsthause darf man Mensch mit Menschen sein, im Hotel ist man blos eine von den vielen unbenannten Zahlen, die massenhaft heiß und schnell und lärmend abgefüttert werden und schlechten Wein für dreifachen Preis dazu trinken müssen. Im Forsthause hat man Wahl zwischen Wein, Wasser, Bier und gar Nichts. Und dann ist die ganze Wirtschaft so großmütterlich und altväterisch, wie Haus und Stuben. Das Haus hat dicke Wände und ist im Sommer kühl. Meine Stube, an dessen vier Fenster grüne Baumfinger klopften und mit dem Sonnenlichte spielten, hat eine große Säule in der Mitte und riesige Balken oben quer durch. Durch die Fenster lachen Blumen und Bäume, ländliche Ruhe und wirklicher Dorfcharakter herein. Die Leuten bieten Einem ’nen „guten Murrrrjen!“ vor dessen vielen R’s man anfangs allerdings erschrickt, aber man merkt schnell, daß es gut gemeint ist, und lernt sich bald darüber freuen. Und dann, wenn Abends und Morgens die prächtigen rothen Kühe so melodisch vorbeiklingeln und dabei so ehrwürdig und respectabel gerade ihres Weges ziehen! Die Klingeln an ihren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_743.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)
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