Verschiedene: Die Gartenlaube (1863) | |
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– die deutsche Jugend drängt es in’s Weite, das deutsche Herz pflegt erst ruhig in der Heimath zu schlagen, wenn seine Pulse die Mattigkeit beschleicht, wenn der Verstand ihm predigt, daß viele Dinge nicht zu ändern sind.
Was ich drüben suchte, das hatte ich noch nicht, das Uebrige, was ich dort zu finden glaubte, vielfach anders gefunden. Ein Jahr später, am Unabhängigkeitsfeste, donnerten die Kanonen wieder, diesmal in zwei feindlichen Kriegslagern der – Union, die keine Union mehr war. Bald mordeten sich die, welche sich bereits seit Jahrzehnten gehaßt, wie eben nur entzweite Brüder sich hassen können, innig, grimmig, bis zur Vernichtung.
Auch ich focht mit. Auf welcher Seite? Der Deutsche haßt die Sclaverei, muß es. Die deutschen Freiwilligen schaarten sich in New-York. Unter Blenker rückte das achte Regiment – nur Deutsche – unter ungeheurem Jubel am 27. Mai 1861 aus, 1040 Mann mit 15 Hunden, die ihre Herren nicht verlassen wollten, wie die Herren sie nicht. Deutsche Treue! Ich zog mit.
Was ich in diesem fürchterlichsten der Bürgerkriege erlebt, davon Einiges.
Von Straßburg (Virginien) bis acht Meilen hinter Harrisonsburg, unter fortwährenden Gefechten und Neckereien zwischen seiner Arrière- und unserer Avantgarde, hatten wir den Feind vor uns hergetrieben, begierig zur Schlacht. Er stand nicht. Fast brach am 7. Juni 1862 die Nacht herein, als mein Regiment, an diesem Tage der Nachtrab, nach mühevollem, langem Marsche das Lager bezog. Vor uns, so weit uns Waldung und Hügel Ausschau gönnten, glühten und blitzten die Wachtfeuer der Unserigen; darüber hinaus, kaum einige hundert Schritte spiegelten sich die der Armee Stonewall Jackson’s in den Gewässern des Shenandoah. Die Gewehre waren in Pyramiden gestellt. Bald loderten auch unsere Feuer. In den Kesseln brodelte der Kaffee. Ein heißer Schluck feuchtete den trockenen Schiffszwieback an. Dies unsere letzte Thätigkeit, unser einziger Genuß. Die Müdigkeit warf uns hin. Fest in die Decken gehüllt lag bald schweigend und regungslos die – Kaffeegesellschaft. O Heimath! – Schwere Athemzüge ringsum, nur hier und da leises Murmeln und Flüstern, ein gedämpftes Lachen, ein halblauter Soldatenfluch. „Sie werden doch nicht ewig laufen.“ – „Bis ihnen die Beine zu kurz sind, eher kriegen wir sie nicht.“ – „Hoho! morgen haben wir sie – der Shenandoah ist angeschwollen, wie der übermüthige Frosch, er platzt aber nicht – hinüber können sie nicht, da platzen wir sie!“ – „Stille dort, laßt mich schlafen wenigstens, wenn ich nicht essen kann!“ – „Willst Du etwas voraus haben? seit vier Wochen habe ich meine Zähne nur zu Zahnschmerzen.“ – „Blas’ den Dampf auf die andere Seite, Heilbronner – Dein verdammter Pfälzer könnte die Alligators vertreiben.“ – „Deshalb qualmt er immer im Gefecht, selbst die Kugeln nehmen Reißaus davor, und die Wolken zerhaut kein Säbel.“ – „Schwatzt, was Ihr wollt, besser schmeckt er doch, als Eure Witze, und vertreibt den Appetit.“ – „Und den Schlaf – verdammt, nun fängt der Leipziger auch noch an, Stötterico zu rauchen – na, morgen könnt Ihr mich zum Frühstück genießen, so gut wie geräucherter Lachs muß ich schon um Mitternacht schmecken, nicht, Hamburger?“ – „Ich werde mich an Deine Zunge halten und dabei Hamburg nicht vermissen.“ – „Ruhe dort!“ gebot der Sergeant. Auch das Flüstern verstummte, die Pfeifen verglühten, die Gedanken verschwammen. Tiefer Schlaf auf Aller Sinne, nicht gestört durch das Rauschen des Windes, durch den Ruf der Nachtvögel, die Schritte der Schildwachen, das Anrufen der Vorposten und einzelne weit durch die nächtliche Stille hallende Schüsse.
Auch ich schlief traumlos – eine halbe Stunde. Ein derber Stoß in die Seite ermunterte mich. Mein Freund und Camerad Moritz hatte mich geweckt. „Reich ist fort, weißt Du wohin?“ fragte er mich leise. „Nein! Du?“ erwiderte ich ebenso. „Wo wird er hin sein? Wie gewöhnlich!“ – „Aber hier, wo Alles zu den Secessionisten hält! Statt Hühner und Ferkel wird er eine Kugel haben, wenn er überhaupt wieder kommt.“ – „O, er ist schlau, Du kennst ihn doch – ihn fängt man nicht, und trifft ihn auch nicht.“ – „Weiß, weiß! hol’s der Kuckuk, mir läuft das Wasser schon im Munde zusammen, und das Lachen kitzelt mich in der Kehle über seine Fahrt – aber ich wollte doch, er wäre wieder da! sonderbar, ich habe Angst um ihn, wie noch nie.“ –
„Geht mir eigentlich auch nicht anders.“ – „Hilft uns und ihm nichts – laß uns hoffen und schlafen!“
Wir legten uns zurecht. Mit dem Schlaf aber war es nichts. Reich war „der Dritte in unserem Bunde“, ein wackerer, rühriger Bursche unseres Alters, trotz seiner Jugend ausgewettert durch manchen Lebenssturm, voll unerschöpflich heiterer Laune, der Liebling, der Schatz der Cameraden und ihr „Proviantmeister“. Wie Säbel und Haubajonnet und Kugel ihm nichts anhatten, so kannte auch sein schlanker breitbrustiger Körper und sein Geist keine Ermüdung. Gefecht oder Marsch, wenn sie vorbei waren und wir Uebrigen erschöpft da lagen, schienen nur da gewesen zu sein, die Lebendigkeit seiner Augen, die Stärke seiner Nerven und Sehnen, die Beweglichkeit seiner Glieder zu erproben und zu erhöhen. Kaum einige Minuten warf er sich hin und sah in den Himmel, dann sprang er sicherlich auf, lächelte verschmitzt, nickte uns freundlich zu und verschwand. Wenn er wieder kam, geschah dies nicht allein. Er kam stets in Begleitung, lebendiger oder todter. Gar oft hatte er ein Rind am Horn zu uns bugsirt, ein Schwein hinter sich hergeschleift, einige Ferkel auf dem Rücken, Geflügel aller Art unter den Armen oder über der Schulter, kurz, er brachte uns Etwas für unsere ausgehungerten Magen. Woher? Das war ihm und uns gleichgültig, wie das Soldatenmagen im Feld, aller sonstigen Moral zum Hohn, wohl immer zu sein pflegt, wenn harter Zwieback und ein Schluck Kaffee nur kärglichen Ersatz für verlorene Kräfte bieten und „Feinde ringsum“ sind. Nicht gleichgültig war es dem Obersten unseres Regiments. Diese Art Fouragiren hatte er streng verpönt. Schon zwei Mal hatte er deshalb Reich mit Löhnungsabzug bestraft und für das dritte Mal arg bedroht. Reich lachte, trieb es fort und verließ sich, mit Recht, auf die Verschwiegenheit der Cameraden. Sein gutes Herz, seine „Strategetik“ ließ ihn nicht ruhen. Er selbst bedurfte des Fouragirens nicht, kaum einen Bissen genoß er von seiner Beute, und „hätte ich die Engländer in der Krim und die Oesterreicher in Italien verpflegt,“ äußerte er öfters, „Sebastopol hätte sich nur vier Wochen halten sollen, und auf einen Herzog von Magenta hätte die Welt noch zu warten. Essen, gut essen, das ist die Hauptsache, die Mutter des Sieges für – Euch armen Kerle, die Ihr es Euch nicht abgewöhnen könnt.“ Sie hatten ihn Alle lieb, außer dem Obersten in diesem Punkte.
Was Wunder, wenn die Besorgniß um ihn uns nicht schlafen ließ. – „Vielleicht liegt er verwundet, hülflos im nahen Gestrüpp, hofft auf uns, und – verblutet, ehe es lebendig wird!“ – Kaum gesprochen erhoben wir Beiden uns, wie ein Mann. Wir krochen, schlichen und glitten umher, wie die Rothhaut auf der Kriegsfährte – stundenlang. Umsonst, keine Spur von Reich. Erschöpft, todtmüde kehrten wir endlich zu unserer Lagerstelle zurück. Dort tyrannisirte uns der Schlaf.
Appell! – Wir sprangen auf, die Ersten. Der Platz zwischen uns – Reich’s Platz – war leer. „Reich fehlt, mindestens seit Mitternacht – weiß keiner von ihm?“ Keiner hatte sein Gehen bemerkt, Keiner wußte von ihm. „Ist nicht zu verwundern, daß endlich einmal ein Ochse seine Brüder gerächt hat – wer weiß, wo er ihn hingeschleudert!“ – „Das thut ihm nichts, er kommt immer wieder auf die Beine.“ – „Wenn’s gar so hoch gewesen, hat er sich noch ein Bischen höher geschnellt, und wir werden ihn heute Abend an den Hörnern des Mondes hängen und uns auslachen sehen.“ – „Wird ihm auch nichts helfen! wenn er beim Verlesen fehlt, läßt ihn der Oberst auch dort herunterholen, und dann mag ich seine Suppe nicht essen.“ – So die Cameraden. Keiner glaubte an einen ernstlichen Unfall. So fest trauten sie seiner Kraft, seiner Gewandtheit und List. Ihre Scherze machten auch uns, seinen Freunden, Muth, ebenso der Tag.
Auch beim Verlesen fehlte Reich. Es mußte dem Obersten gemeldet werden, allein – es kam nicht dazu. Unsere ganze Armee begann langsam vorzurücken. Von der Avantgarde her hörte man bereits starkes Gewehrfeuer, dann und wann einen Kanonenschuß. „Hurrah, es geht los!“ „Vorwärts!“ „Hurrah!“
Obergeneral Fremont hatte in seiner Begleitung gegen dreißig Kundschafter (scouts), meist Halbindianer, Texaner, Californier, verwegenste, schlaueste Gesellen, darunter auch einige Frauen, fast noch verwegener, die Schlauesten. Eben rückte das Achte – eine halbe Stunde vom Lagerplatz – einen Hügel herunter, an dessen Fuße vor einer einsamen Farm Stellung zu nehmen, da jagte in Carriere, die Beine nach Männerart über dem Rosse,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_745.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)