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Seite:Die Gartenlaube (1864) 412.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Generaladjutanten des Kaisers erhoben, geht er 1847 mit einer ähnlichen Mission nach Kostroma, wo er einige Zeit als Militärgouverneur fungirt, bis er im Jahre 1848 den Posten eines Militärgouverneurs von Riga und Generalgouverneurs der Ostseeprovinzen erhält, in welcher Stellung er das auf ihn gesetzte Vertrauen nach allen Seiten hin auf’s Glänzendste rechtfertigt, und sich in gleichem Maße die Liebe der Bevölkerung erwirbt, trotzdem, ein großer Theil derselben, der deutsche, von der damaligen Zeitströmung ebenfalls ergriffen und fortgerissen wurde.

In dieser schwierigen Lage, einerseits inmitten deutscher Elemente, welche den größten Antagonismus gegen alle Russification hegten, andererseits durch die unabweisliche Verpflichtung gebunden, im Sinne und nach dem Willen der russischen Regierung zu handeln, gelang es ihm dennoch, diese Gegensätze zu vermitteln durch das Einzige, womit sich alle feindlichen Elemente überwinden lassen: durch Gerechtigkeit, Maß, wahre Menschlichkeit und Ehrfurcht vor dem Geiste jeder Nationalität. Was Suwarow für Riga durch die Niederwerfung der die Stadt früher einengenden Wälle, gegen die sich der Kaiser Nicolaus so lange gesträubt hatte, durch Begünstigung der Hafenbauten, durch Förderung der Gewerbthätigkeit etc. gethan, das wissen die Rigenser am besten. Dieselben Eigenschaften bewährt er mit gleich glänzendem Erfolge in seiner jetzigen Stellung als Generalgouverneur von Petersburg, ein Amt, das er unter so außerordentlich schwierigen Verhältnissen übernahm, daß man sich kaum der Hoffnung hingeben durfte, im ganzen weiten Rußland einen Mann zu finden, der ihm gewachsen wäre. Er hat es verstanden, in einer Epoche wilder Gährung, wie sie kaum jemals wiederkehren dürfte, den Erwartungen aller Wohlgesinnten zu entsprechen, und sich eine Popularität zu erwerben, die nur mit dem Namen eines russischen Gouverneurs zu verbinden, als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen mußte; denn das Wort Popularität stand ebensowenig wie das Wort Humanität in dem Wörterbuche der meisten seiner Vorgänger, welche die starre Gewaltherrschaft ihres „vergötterten“ Nicolaus als das einzige richtige Regierungssystem erkannten und daher jede neue Wendung der Dinge, mochte sie selbst von dem milden Nachfolger des „Vergötterten“ kommen, mit Argusaugen betrachteten. Den Gnadenmanifestationen Alexander’s II. grollte der gesammte nationale Adel (an dessen Spitze die Grafen Adlerberg stehen, die Häupter der russischen Camarilla) nicht minder, als den gleichzeitigen kaiserlichen Kundgebungen, „von nun an vorzugsweise die socialen und materiellen Zustände der niederen Volksclassen zu verbessern“ – Alles, was mit der neuen Aera auftauchte, erschien ihnen als ein schnöder Angriff auf ihre unantastbarsten Vorrechte, als ein Umstoß ihrer heiligsten Traditionen. Und wenn dieser schlecht verhaltene Groll hier und da sich selbst gegen die Person des Herrn zu richten wagte, um wieviel schärfer mußte er nicht gegen den Diener hervortreten, der offen und aus Ueberzeugung den neueu Maximen huldigt, indem ihre Grundzüge, Gerechtigkeit und Menschlichkeit, ihm bei all seinen Handlungen als leitende Richtschnur dienen.

So sehen wir Fürst Suwarow bei Ausübung seines Amtes auf einer Seite beargwohnt und Schritt bei Schritt gehemmt von jener Partei, die durch alte verrostete Ueberlieferungen ihre vermeintlichen Vorrechte geltend zu machen sucht, die in ihren geheimsten Stunden noch gern von der Restauration eines Strelitzenthums träumen mag und deren größter Ruhm darin besteht, die „altrussische“ Partei zu heißen, während auf der andern Seite das Volk und alle Freunde des fortschreitenden Rußlands ihn wie einen Vater betrachten, der das Glück seiner Kinder sich zur Lebensaufgabe gestellt hat, unter der Devise: „Vorwärts und Sieg!“ Sein Freund aber, der Kaiser Alexander, dem die Wohlfahrt seines Volkes mehr am Herzen liegt, als zweideutiger Schlachtenruhm, oder den Herrn und Protector des übrigen Europa zu spielen, der sehr gut weiß, daß die Schienenwege, die jetzt sein Reich durchziehen, mächtigere Hebel der Civilisation sind, als Kriegsgeschrei und Schwertergerassel, der sich durch Aufhebung der Leibeigenschaft eine Krone aufsetzte, wie sie nie zuvor das Haupt eines Czaren schmückte – Alexander steht ihm als mächtiger Schirmherr zur Seite, um zu unterstützen, zu vermitteln, niederzuschlagen, oder auch, erheischen es Würde und Nothwendigkeit, zu bekämpfen, und wäre es mit eiserner Faust.

In dem ergreifenden Drama „Nur eine Seele“ hat der bekannte Verfasser den Typus jener orthodoxen, allrussischen Partei in der Gestalt des „Fürsten Michel“ auf’s Vollendetste personificirt. Mit einem ingrimmigen Fluche über die neue Aera sehen wir da, zu nicht geringer Genugthuung und unter dem Beifall des Publicums, den alten moskowitischen Bojaren die Segel streichen. Ein ähnliches ohnmächtiges Fluchen und Fußstampfen mag auch jetzt von manchem russischen Großen auf der Bühne des Lebens gehört werden, doch es verfliegt im Rauschen der Zeit und unter dem Lächeln des Publicums.

Die Machtstellung eines General-Gouverneurs von Petersburg ist beinahe unumschränkter Natur, obwohl der Verfassung nach in administrativen Dingen der General-Gouverneur dem Minister des Innern – gegenwärtig Walujew – untergeordnet ist; nur in außerordentlichen Fällen behält sich der Kaiser seine höchste Entscheidung vor. Der persönliche Charakter eines solchen Mannes ist demnach ein hochwichtiger Factor, indem von ihm das Wohl und Wehe einer ganzen Bevölkerung abhängt. Civil- und Militärsachen unterstehen seinem Gouvernement, und vom letzten Krämer bis zum Millionär, vom Muschik bis zum höchsten Staatsbeamten, vom gemeinen Soldaten bis zum General, von Künstlern, Gelehrten und von Frauen aller Stände ist allwöchentlich an bestimmten Tagen sein Audienzzimmer geöffnet, um Bittschriften zu überreichen, Beschwerden anzubringen oder sich in Danksagungen zu ergehen. Alles dies wird vom Generalgouverneur rasch entgegengenommen und mit lakonischer Kürze beantwortet, denn Zeit ist auch ihm Geld und der betreffende Entscheid erfolgt in den meisten Fällen auf der Stelle. Eine solche Audienz bei Suwarow wollen wir in ihren Hauptmomenten zu schildern versuchen; neben ihrem fremdartigen Gepräge dürfte sie noch das besondere Interesse für sich haben, den persönlichen Charakter des Fürsten in seinen prägnantesten Zügen zu veranschaulichen.

Die Treppen, Gänge und Vorsäle des Gouvernementpalastes sind schon von frühem Morgen an gefüllt. Goldstrotzende Uniformen mischen sich mit Kaftans, elegante Frauentoiletten mit groben Leinwandkitteln, Stutzerphysiognomien mit wettergebräunten Köpfen, modisch gepflegte Bärte mit struppigen, die einem Urwalde gleichen. Alle Dialekte, alle Jargons sind hier vertreten, die verschiedensten Sitten und Gebräuche begegnen sich – Aller Ziel ist aber ein gemeinsames: „beim Suwarow vorzukommen“ – „den Suwarow zu sprechen“ – „endlich vom Suwarow Recht zu bekommen!“ Nach hartnäckigem Drängen bis zum Audienzzimmer gelangt, sehen wir durch eine mächtige, offenstehende Flügelthüre, die militärisch besetzt ist, einen Mann in Generaluniform, groß und schlank von Gestalt, sich leicht an einen Tisch lehnend. Sein Blick ist sanft, der ganze Ausdruck seines Gesichts wohlwollend, sein Wesen hat nichts von der übelangebrachten Brüsquerie, wie sie leider so vielen Machthabern eigen, es trägt vielmehr jenes vornehme Sichgehenlassen an sich, das den Mann von Würde und Selbstgefühl charakterisirt. Dies ist Fürst Suwarow, den der unparteiische Ruf seiner Landsleute als einen der edelsten Männer in der Umgebung des Kaisers, als einen strengen, unbestechlichen Vertreter des Rechts, als einen wahren Freund des Volks bezeichnet.

„Iwan Dmitriewitsch Uschakow!“ ruft der Ordonnanzoffizier. Eine altersgekrümmte Gestalt tritt aus der Menge, neigt sich bald bis zur Erde, murmelt unverständliche Worte und will den Rockzipfel des Fürsten küssen. Dieser wehrt es unwillig lächelnd ab und spricht in gütigem Tone: „Lauter, Alterchen, ich verstehe Dich nicht.“ – Aber immer noch dasselbe unverständliche Murmeln des alten Mannes, wobei er heftig mit den Händen gesticulirt. Der Fürst beugt sich mehr und mehr zum Supplicanten herab: „So?“ fährt er fort, „das ist schlimm – und er will nicht – was, er will nicht?! Wie heißt der Schuft? – Aha!“ zum Secretair: „Streichen Sie mir den Burschen an! – Nun, Alterchen, soll geschehen (und er legt wohlwollend die Hand auf Uschakow’s Haupt), hole Dir übermorgen Bescheid.“ Der Fürst wirft einen sagenden Blick auf die Zunächststehenden. Eine Dame in tiefer Trauer tritt hervor – die Unterredung wird französisch geführt. In des Fürsten Mienen wechseln Theilnahme mit Zurückhaltung – die Angelegenheit scheint delicater und schwieriger Natur zu sein, denn wenig Hoffnung spiegelt sich auf dem Gesicht der Abtretenden, die auf einen Wink des Fürsten von einem dienstthuenden Officier bis zur Treppe geleitet wird.

Nun erscheint eine ganze Deputation, die sich in langen unnützen Tiraden ergehen will. „Kürzer, kürzer!“ unterbricht sie der Fürst schon nach zwei Minuten und stampft leise mit dem Fuße – doch die Deputation ist einmal im Zuge und nach unendlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_412.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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