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Seite:Die Gartenlaube (1864) 417.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 27.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Bettler vom Capitol.
Eine Erzählung von Franz W. Ziegler,
Verfasser des „Nondum“.


„Ein abscheuliches schmutziges Nest, dies Rom,“ sagte zu mir ein deutscher Kaufmann, mit dem ich mich durch die Bevölkerung arbeitete, die, einer feierlichen Ausfahrt des Papstes wegen, die Straßen füllte. „Und diese Menge von Bettlern,“ fuhr mein Begleiter fort, „ich verstehe es nicht, daß Sie aus Ihrem früheren Amte her nicht eine Wuth auf dies Gesindel haben und nicht eine stete Lust empfinden, es in eine Zwangsarbeitsanstalt zu stecken.“

„Anders lesen Knaben den Terenz, anders Hugo Grotius,“ dachte ich und schwamm, während mein wackerer Landsmann von mir getrennt wurde, gelassen in den Wogen der buntesten Menge weiter, bis ich jenseits der Tiber eine Höhe erreichte, von der ich die ewige Stadt zu meinen Füßen übersehen und mich ungestört den Gedanken überlassen konnte, die ein Rückblick auf Jahrtausende an dieser Stätte in ungeheurer Fülle hervorruft. Wer nicht Rom von Jugend auf im Herzen getragen, seine Riesengeschichte nicht auf sich wirken lassen, wer nicht mit seiner ganzen Bildung in dieser Stadt wurzelt, von deren Hügeln ein gewählter Herrscher zum zweiten Male seinen Blick über mehr als zweihundert Millionen Menschen gebietend schweifen läßt, der kann nicht anders empfinden, als mein guter Kaufmann.

Der enge Gesichtskreis, den ihm eine auf das Nächste, auf das, was zum Erwerbe erreichbar ist, gerichtete Bildung, den ihm der moderne Polizeistaat mit allen seinen Bedürfnissen und Anstalten gelassen, hat ihm den Blick, den Sinn für das Allgemeine abgestumpft; er begreift darum auch nicht, wie eine Regierung das Nächste und Nothwendigste übersehen kann, weil er eben von den ungeheuren Interessen keine Ahnung hat, die weit über diese engen Mauern hinausliegen und ihre Ketten um den Erdball schlagen.

Was soll er dazu sagen, wenn die geistlichen Richter gegen einen Vermiether, der zwei Jahre lang keine Miethe bekommen, auf einjährige Nachsicht erkennen? Muß er nicht „Gewalt“ rufen, wenn einem Cafétier die Concession entzogen werden soll, weil er in seinem Local einen Zettel angeschlagen, wonach er erklärt in demselben keine Bettler dulden zu wollen, und weil er damit gegen die christliche Liebe gesündigt? Wie kann ein Regiment, das die christliche Tugend zum Ausgangspunkt nimmt, deren öffentliche Verleugnung dulden! Für die Millionen Scudi, die noch heute zu allen möglichen Fonds nach Rom fließen, Fonds, an denen sogar die hinzurichtenden Delinquenten Theil nehmen, welche ihre letzten Stunden in einer Stiftung und unter einer Brüderschaft zubringen, die sie als Familie auf dem letzten Gange begleitet, für diese Millionen, welche wesentlich ein Tribut sind, den die Gemüthswelt steuert, lassen sich nicht polizeiliche Anstalten in unserem Sinne gründen. Mit deren Errichtung würden auch jene Fonds versiechen. In dem „non possumus“ ist eine Wahrheit; dies reizende Stück Unordnung trägt seine Rechtfertigung in sich selbst, und dies Rom ist der einzige Fleck Erde, auf dem sich Ruhe finden läßt vor den Nöthigungen der Gegenwart, der einzige Ort, an dem sich alle Mühseligen und Beladenen zusammenfinden und, Rang, Ehrgeiz, Kampf und Streit hinter sich lassend, im unmittelbaren Anschauen der Vergänglichkeit aller Herrlichkeiten dieser Welt die Gebrechlichkeit unseres Daseins fühlend, sich als Mensch zu Menschen finden können.

„Das ist ein frecher Geselle,“ würde man in jeder nordischen Residenz ausrufen, wenn ein Bettler sich in einem Café pfennigweise einige Groschen zusammen bettelte und dann, mit bescheidener Würde eine Tasse fordernd, unmittelbar neben dem Mildthätigen seinen Trank schlürfte.

In Rom geschieht das alle Tage. In der alten Race seiner Bevölkerung sind körperlich sogar die Abstufungen mehr ausgeglichen; es giebt keinen wesentlichen Unterschied außer dem zufälligen des Vermögens, der hier nicht drückend ist, wo der Nachfolger Christi weilt, welcher den Reichen das Himmelreich so weit rückte, ja fast unmöglich machte. Man lernt hier Rückert’s Worte verstehen:

„Ich bettelte bei dem, der bettelt heut’,
Und unser Beider mag sich Gott erbarmen.“

Diese Andeutungen werden genügen, sind aber, wie ich glaube, nothwendig, um dem Leser etwas von der Stimmung zu geben, die an einer einfachen Geschichte Interesse und sogar Glauben an sie finden läßt, so unbedeutend auch in ihrer heutigen Stellung die Person ist, an der sich das Stück Leben abwickelte, und so dunkel und räthselhaft selbst diese Geschichte für uns Nordländer bleiben muß, die immer Gesetz und Recht, Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Hand haben und sich darum von der Kritik und der Anzweiflung solcher Erlebnisse nicht lossagen können wenn auch jedes Jahr ein Kaspar Hauser erschiene und, aller geordneten Sicherheit zum Hohne, unter ihren Augen ermordet würde. –

Wer im Laufe des Jahres 1861 ein Café, das ich nicht näher bezeichnen will, in der Via Condotti in Rom besuchte, dem muß, so wenig er auch geneigt sein mag, unter der Menge von Bettlern in dieser Stadt dem einzelnen besondere Aufmerksamkeit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_417.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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