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Seite:Die Gartenlaube (1864) 422.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Empfangzimmer. Wußte ich doch, daß der erhabene Dichter des Faust zugleich der kühle Beurtheiler des Cornelius’schen Faust war, der diesen mit dem von Netzsch, ja fast mit dem von Delacroix auf eine Stufe gestellt, und der an den Nibelungen meines großen Meisters nur „den alterthümlich tapfern Sinn und die unglaubliche technische Fertigkeit“ zu rühmen gewußt. Und doch war er der große, von tausend und abertausend Zungen gepriesene und von mir mit tiefster Ehrfurcht bewunderte Dichterfürst!

Ich hatte erwartet, ihn auf einem Stuhle, wie den König auf einem Throne, sitzend zu finden, und war darauf gefaßt, in bescheidener Entfernung an der Thür stehen bleiben zu müssen. Wie war ich überrascht und plötzlich aller Sorgen ledig, als er mit offenen Armen mir entgegenkam, mich mit beiden Händen erfaßte und auf das Herzlichste willkommen hieß! Nach den Vorfragen über d’Alton’s Befinden ging er sogleich auf die Kunstunternehmung in Bonn über und war hocherfreut, daß ich meine Antwort mit einer Zeichnung begleiten konnte.

Es war ein eigenthümlicher Zug im Charakter Goethe’s, daß er die vornehme Zurückhaltung, die er in Gesellschaft und Fremden von Auszeichnung gegenüber beobachtete, vor jüngern Leuten gänzlich fallen lassen, sich so zu sagen mit ihnen auf eine Linie stellen, ja sogar von ihnen Belehrung erbitten konnte. Auf mich machte dies Verhalten den wohlthuendsten Eindruck, alle Befangenheit war verschwunden, meine Zunge war gelöst.

Ich setzte ihm nun den von Cornelius angeregten, von der preußischen Regierung genehmigten Plan, die Universiläts-Aula in Bonn mit historischen Darstellungen der vier Facultäten – Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medicin – in Fresco auszuschmücken, auseinander, berichtete, wie mit der Theologie der Anfang gemacht worden, die Cornelius dem Maler Carl Hermann aus Dresden übertragen, wobei er mich und noch einen seiner Schüler jenem als Gehülfen beigegeben, in der Art, daß uns in der Ausführung einzelner Gruppen eine Art Selbstständigkeit gewahrt blieb; ein Umstand, den Goethe mit einem fragenden „So?“ anhörte. Darauf gab ich, zuweilen von Goethe durch ein „Hm!“ oder „So, so!“ unterbrochen, die Erklärung der Zeichnung, wie die allegorische Figur auf dem Postament in der Mitte die Theologie vorstelle mit den Genien des Forschens und Glaubens; wie neben ihr, gleich Säulen, die Evangelisten ständen, an die sich, in zwei Reihen sitzend, die Kirchenväter anschlossen, die ich, wie alle dargestellten Personen, namentlich bezeichnen mußte. Dann zeigte ich auf die hervorragenden Erscheinungen in der älteren Kirchengeschichte, auf Sectirer, auf Ordensstifter, die Repräsentanten der Hierarchie (Gregor VII. und Innocenz III.), auf die scholastischen Theologen und den frommen Thomas a Kempis; dann auf der andern Seite auf die Verbreiter des Christenthums, auf die Vertreter der Kirchenreformation von Petrus Waldus, Huß und Wiklef bis auf Luther und seine Zeit- und Kampfgenossen, und die Theologen des 17. Jahrhunderts. Endlich machte ich auf die beiden Gruppen im Vordergrunde aufmerksam, in welchen die Richtung der Gegenwart auf eine Ausgleichung katholischer Gläubigkeit und protestantischen Forschersinns ausgesprochen sein sollte, wozu der alte Herr die allerfreundlichste, aber auch allerungläubigste Miene machte.

„Ein rühmliches Unternehmen,“ sagte nun Goethe, „und mit Eifer und ernstem Studium angefaßt. Man wird sich um die Kirchengeschichte bekümmern müssen, um Sie zu verstehen. Ich habe aber noch mehr Bedenken,“ und damit wandte er sich, um im Saal auf und abgehend weiter zu sprechen. „Die Allegorie ist in der bildenden Kunst nicht zu entbehren, so wenig wie in der Dichtkunst. Es fragt sich aber doch, ob sie hier an der rechten Stelle, oder wenigstens, ob sie in der rechten Form aufgeführt ist. Ist sie farbig, d. h. mit dem Schein des wirklichen Lebens dargestellt?“ Und als ich dies bejahte, fuhr er fort: „Das würde mich stören. Eine Marmorgruppe an diesem Platze würde den Gedanken aussprechen, ohne in Conflict zu gerathen mit der Gesellschaft wirklicher Personen, die sie umgeben. – Auch bei der Gegenwart habe ich einige Scrupel. Das Werdende entzieht sich der unbefangenen Wahrnehmung; nur das Gewordene fällt in die verläßlichere Anschauung. Die Gruppe der ausgesöhnten Confessionen gleicht mehr einem frommen Wunsche, als einer Thatsache.“

Wohl über eine Stunde war im Sehen, Sprechen und Hören vergangen, als Goethe das Zeichen der eingetretenen Eßzeit und damit der Besuch sein Ende erhielt. Freundlich reichte er mir zum Abschied die Hand und fügte hinzu: „Morgen erlebe ich mein fünfzigjähriges Dienstjubiläum. Ich weiß nicht, was die Freunde vorhaben, und will es denn in aller Bescheidenheit erwarten. Ich werde mich freuen, Sie unter ihnen zu sehen.“

Wie ich den Gasthof erreicht, wußte ich nicht. Ich war auf einmal in meinem Zimmer und wiederholte mir das Erlebte von Minute zu Minute, um sicher zu sein, es sei kein Traum. Also Goethe gesehen, gesprochen und von ihm sogar zum Wiederbesuch aufgefordert! Für das Glück war mir das Zimmer zu eng: ich stürmte hinaus in und durch den Park, vielleicht der beseligtste Mensch damals in Weimar.

Ich hätte gern meine Freude Andern mitgetheilt, hätte ich nur gewußt, wem. Da fiel mir ein, sie in eine Form zu fassen, in der ich sie auf den Jubiläumstisch legen könnte. Wir hatten – eine heitere Gesellschaft in Bonn - im August d. J. Goethe’s Geburtstag auf dem Drachenfels gefeiert, und davon ließ ich den Vater Rhein dem Altmeister Bericht erstatten und nahm das Gedicht zu mir, als ich am Morgen des 7. November in’s Haus des Jubelseniors ging.

Hier fand ich eine auserlesene Gesellschaft: Frauen und Jungfrauen Weimars im Festkleid, ausgezeichnete Männer aus Weimar und Jena, und in der Tiefe des Saales einen Tisch mit kostbaren Geschenken, vornehmlich weiblichen Arbeiten. Hier sah ich auch Eckermann wieder, der mich während des Sommers in Bonn besucht und mir nun mit großer Freundlichkeit seine Dienste für Weimar anbot. Als Goethe – wenn ich mich recht erinnere, begleitet von seinem Sohn, seiner Schwiegertochter und seinen beiden Enkeln – eingetreten, empfing ihn ein vierstimmiger Festgesang, in welchem Frau Eberwein als Ilm die Chorführerin war. Und danach begrüßte er uns Alle einzeln mit Wort und Händedruck und besah mit kindlicher Freude die Bescheerung.

Wo war nur der große, unnahbare Mensch hingekommen, als der er nach so vielen Berichten vor meiner Seele gestanden? Selbst den Zug göttlicher Ironie in Rauch’s Büste suchte ich vergebens im lebendigen Original. Ist es schon hocherfreuend und unter Umständen innig rührend, wenn Menschen, die durch Geburt und Rang weit über uns stehen, sich mit der Aeußerung ihrer Empfindungen und Gedanken, mit Neigungen und Gewohnheiten uns gleichstellen, so steigert sich die Freude zur andächtigen Bewunderung, wenn ein Mann, der durch sein Verdienst, durch seinen selbsterworbenen Werth ein Fürst geworden im Reiche der Geister, dem Alle huldigen, sich giebt wie der Aermsten einer, seines Reichthums wie seiner Vorzüge unbewußt. So war Goethe an diesem Festmorgen, so menschlich liebenswürdig, daß man weder an den Minister, noch an den gefeierten Dichter erinnert wurde.

Dem Festessen im Stadthaus, bei welchem ich zwischen Frau von Ahlefeldt und Eckermann meinen Platz hatte und wo kein Mangel an Gedichten und Toasten war, folgte eine Aufführung der Iphigenie im Theater, wie ich sie allerdings selbst in Berlin nicht gesehen, so vollkommen in Wahrheit und Lebendigkeit des Ausdrucks wie im richtigen Maß poetischer Haltung; die herrlichste Festgabe für den Dichter.

Eckermann hielt Wort. Er machte mich mit mehreren Künstlerinnen und Künstlern Weimars bekannt und führte mich zuletzt in die großherzogliche Kunstsammlung. Ich sollte aber alle Glanzseiten Weimars kennen lernen. D’Alton hatte mir einen Brief an den Großherzog Carl August mitgegeben, auf dessen Übersendung sogleich eine Einladung erfolgte. Das war nun eigentlich, so zu sagen, eine alte Bekanntschaft, wenn auch nur von einer Seite, von meiner nämlich. Ich hatte den fürstlichen Herrn während meiner Studienzeit in Jena oft genug am Fenster seines Freundes, des Hofapothekers, gesehen und mit meinen Genossen ihm Körner’sche Lieder gesungen; ich war auch mit der gesammten Burschenschaft zur Taufe seines Enkels, des jetzt regierenden Großherzogs, sein Gast gewesen – unbekannter Weise! – und hatte ihn, wenn auch nur in bescheidener Ferne, in Bonn gesehen, als er die Aula besuchte. Nun interessirte er sich sehr für unsere Malereien, und ich mußte ihm mit Hülfe meiner Zeichnung ausführlichen Aufschluß geben. Was ich vorher in Bezug auf Goethe gesagt, fand in vollstem Maße Anwendung auf den Großherzog, bei dem der Fürst so hinter dem Menschen verborgen war, daß man ihn nur im eignen Gedächtniß aufsuchen mußte. Sehr große Lust bezeigte er, auch in Weimar ein Werk

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_422.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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