verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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der Frescomalerei ausführen zu lasten, was ich denn wohl mit einer etwas verfrühten Freude aufnahm.
Für den 9. November war ich von Goethe zu Mittag geladen. „Ich hoffe,“ sagte er mir beim Eintritt, „Sie heute mit den Männern bekannt zu machen, die bei uns die Kunst repräsentiren.“ Und in der That war bald eine zahlreiche und höchst interessante Gesellschaft versammelt. Goethe stellte mich dem Oberbaurath Coudray vor, der den Gedanken des Großherzogs in Betreff der Fresken begierig auffaßte und, von Goethe lebhaft secundirt, alsbald die neue Begräbnißhalle als den Ort bezeichnete, wo der Malerei eine bedeutsame Thätigkeit angewiesen werden könne.
Man setzte sich nach angewiesenen Plätzen zu Tisch. Der meinige war zwischen Oberbaurath Coudray und Hofrath Heinrich Meyer bekannt bei den Künstlern unter dem Namen „Kunschtmeyer“, den ihm seine alemannisch-schweizerische Aussprache zugezogen. Weiter links saß Goethe’s Schwiegertochter Ottilie, mir gegenüber ihre reizende Schwester, eine junge Dame voll Geist und Lebendigkeit im Gespräch, zwischen Goethe Vater und Sohn. Kein Wort und keine Miene des Mannes konnten mir entgehen, der heute mir bald wie der olympische Zeus, bald wie der Musengott erschien, der alle Herzen fesselte und alle Gedanken entfesselte. Er lenkte zuerst das Gespräch auf den Maler Asmus Carstens, und als ich das Entzücken nicht zurückhielt, das mir dessen Zeichnungen eingeflößt, die ich in der großherzoglichen Kunstsammlung gesehen, sagte er: „Es geht Alles seinen geordneten Gang, und so war es gewiß von guter Vorbedeutung, daß dieser Genius, mit dem man so gern die neue Epoche deutscher Kunst beginnt, sich vor Allem an die Dichter und Denker des klassischen Alterthums gehalten hat.“
„Das hat ihn auch,“ fiel der Hofrath ein, „vor der unglückseligen Nachahmung der altdeutschen Manier bewahrt, die seine Nachfolger sich zur angelegentlichen Pflicht gemacht haben.“
„Und doch,“ bemerkte ich, „ward er angefeindet wie seine Nachfolger; ja, er blieb fast unbekannt im Vaterlande, und erst Cornelius wußte das Herz des Volkes zu treffen, indem er ihm den ,Faust’ vor Augen stellte.“
Goethe nahm die Bemerkung sichtbar wohlgefällig auf, doch fügte er hinzu, Cornelius habe recht gethan, die in seinem Faust gebrauchten, der altdeutschen Kunst entlehnten Formen freier zu verlassen, um sich bei seinen jetzigen mythologischen Aufgaben bewegen zu können. – Da Cornelius sich selbst einmal gegen mich dahin geäußert, daß der Styl durch den Gegenstand der Darstellung bedingt sei und daß er Faust und Nibelungen auch jetzt in keiner andern Ausdruckweise wiedergeben würde, als früher, so theilte ich diese Aeußerung mit. Aber Eckermann fiel mir in’s Wort: „Diese Ansicht scheint auf einer Verwechslung der dichtenden und bildenden Kunst zu beruhen. Bei der unmittelbaren Einwirkung der letztern auf die Sinne machen sich doch sicher andere Gesetze geltend, als wenn nur Phantasie und Vorstellungsvermögen beschäftigt werden.“
„Es ist ein Unterschied,“ bemerkte Goethe, „doch muß ich hier Cornelius beistimmen; denn auch ich hatte Iphigenie und Tasso nicht im Styl von Faust und Götz schreiben können – so wenig, wie umgekehrt.“
Das Gespräch wurde auf eine – vielleicht nur mich – überraschende Weise unterbrochen. An dem einen Ende der Tafel wurde es unruhig, man räusperte sich, gab ein leichtes Zeichen am Glas, und ein vielstimmiger Gesang ward angestimmt. Es gehörte die schöne Sitte, das Mahl mit Gesängen zu würzen, wie mir Eckermann vertraute, zu Goethe’s besonderen Tafelfreuden bei festlichen Gelegenheiten, und so folgte auch heute nach jedem Gange ein Gesang. Unter andern war das Lied angestimmt worden: „Mich ergreift – ich weiß nicht wie – himmlisches Behagen etc.“ Nach Beendigung desselben hub Goethe an: „Man schreibt sonst den Gerüchen die besondere Kraft zu, Erinnerungen zu wecken. Musik und Gesang wirken ebenso nachdrücklich in der gleichen Richtung. So steht jetzt lebhaft der Abend vor mir, für welchen ich das Lied, das man eben sang, gedichtet habe. Es war vor der Abreise unseres Erbprinzen nach Paris, als ein Freundekreis um ihn versammelt war. Schiller hatte für denselben Abend sein bekanntes Lied an den Erbprinzen geschrieben, das wir nach der Rheinweinlied-Melodie sangen; und nun steht der Abend, Schiller, der Kreis der Freunde, der Abschied – Alles, bis auf den kleinsten Zug vor meiner Seele.“
Fast hätte diese Erinnerung eine Adagiostimmung in die Gesellschaft gebracht, und dies zu verhüten, wie mir schien, richtete Frau Ottilie von Goethe die Frage an mich: „Sie haben dem Vater recht interessante, auch für uns interessante Mittheilungen über Ihre und Ihrer Freunde Kunstthätigkeit gemacht; nun erlauben Sie mir eine Frage, die uns Frauen doch noch näher an’s Herz geht: wie leben Sie mit Ihrem Meister, ich meine, wie ist das allgemein menschliche Verhältniß zu ihm?“
„Wie das der Söhne zum Vater,“ antwortete ich. „Viele von uns fühlen sich geradezu als Familienglieder. Viele Abendstunden bringen wir in seinem Hause zu; die Kinder hängen an uns, als wären wir ihre Onkel; wir am Munde des Meisters, der mit wunderbarer Klarheit und Schärfe spricht, von Rom erzählt, von seinen Erlebnissen und seiner Bildungsgeschichte, von alten und neuen Meistern, von allem, was das Herz bewegt und den Geist erhebt. Wir hängen Alle an ihm mit der innigsten Verehrung. Da er zu seinem Namenstag (Ende Junius) immer in München war, so haben wir den Tag des H. Sylvester am Jahresschluß gewählt, um ihm ein Zeichen unseres Dankes zu geben. Da sind wir denn jedesmal mit Fackeln, Musik und Gesang vor sein Haus gezogen und haben unser Herz ausgeschüttet, und ganz Düsseldorf hat daran Theil genommen, als wären wir eine Familie. Und jetzt,“ fuhr ich fort, „ist doch dieses Band zerrissen: Cornelius ist fortgezogen; wir Alle ziehen ihm nach, weil wir uns ein Leben ohne ihn nicht denken können, und Düsseldorf wird sich an Andere anschließen, wie es sich an uns angeschlossen hat.“
„Noch eins,“ nahm Frau Ottilie wieder das Wort, „Sie erwähnen die Frau von Cornelius nicht. Sie ist eine Römerin; hält sie sich vielleicht zurück?“
„Durchaus nicht,“ erwiderte ich, „sie ist freundlich und gütig gegen uns Alle, namentlich gegen die näheren Hausfreunde. Sie ist eine glühende Römerin, hat aber doch Deutschland so lieb gewonnen, daß sie jetzt schon ganz leidlich deutsch spricht. Wir verehren sie als die Frau unseres Meisters, und als sie im letztvergangenen Mai von einem langwierigen und sehr gefährlichen Krankenlager erstanden, haben wir ihre Genesung mit einem Waldfest gefeiert, bei welchem es ungewiß bleiben muß, ob poetische Jugendlust, ob freudige Theilnahme oder der Frühling das Haupttriebrad war. Hatten doch Mehrere von uns zur heitern Verherrlichung dieses ländlichen Festes schnell das Reiten gelernt!“
Das brachte denn selbst meinen gestrengen Nachbar, den Hofrath Meyer, in eine heitere Stimmung. Bisher hatte er die feindliche Stellung, die er der neuen deutschen Kunst gegenüber eingenommen, wenn auch nicht aufgedeckt, doch behauptet. Ich weiß nicht, mochte ihm der Gedanke gekommen sein, daß doch nicht Alle, die der neuen Fahne folgen, zu den verhaßten „Nazarenern“ gehören dürften; mochten die letztern Mitteilungen ihn milder gestimmt haben – kurz, als jetzt Champagner eingeschenkt wurde, Goethe das Glas erhob und gegen mich gewendet sagte: „Lassen Sie uns auf das Wohl Ihres Meisters und einen segensreichen Erfolg seines Wirkens anstoßen!“ und nun Eckermann und mehrere der Nahesitzenden dem gegebenen Beispiele folgten, und da Goethe hinzufügte: „Grüßen Sie Ihren Meister herzlich von mir und sagen Sie ihm, daß mich Alles gefreut habe, was ich durch Sie von ihm und seiner Schule erfahren,“ wandte sich auch Meyer mit seinem Glase zu mir, stieß an und fügte – wie mir schien, in einem andern als dem bisher gebrauchten trockenen und harten Tone – hinzu: „Sagen Sie’s Ihrem Meister, daß ich mit Ihnen hier auf sein Wohl ein Glas Champagner geleert, ’s ist ernstlich gemeint!“ (was ich denn natürlich nicht nur versprochen, sondern auch gehalten habe.) Und so hatte es den Anschein, als ob es der Rede und Widerrede gelungen sei, Vorurtheile zu zerstreuen, wo sie am festesten Fuß gefaßt. Nach dem Dessert setzte sich Hummel an’s Instrument und gab dem kleinen Feste mit einer heitern und reichen Phantasie einen glänzenden Schluß.
Goethe hatte mir von seinem Teller eine kleine Paste mit einer Minerva gereicht, „zum Gedächtniß der Gottheit, in deren Tempel wir uns begegnet“; nach Tische aber sagte er: „Ich habe Ihnen ein etwas zerbrechlich Andenken geboten; es dürfte besser lassen, wenn ich es mit einem dauerhafteren begleitete.“ Und damit legte er eine Medaille mit seinem Bildniß (von Bory) in meine Hände.
Schon über Tische hatte es mich vielfach beschäftigt, wie ich mich wohl für so viel auszeichnende Güte dankbar beweisen konnte,
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_423.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)