verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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Und ohne alle Aussicht, so gar einsam ist die Glarner Landgemeinde nicht. Von der Landesversammlung zu Rendsburg ist ein verwandter Klang zu uns nach der Schweiz gedrungen, und wir geben die Hoffnung nicht auf, daß dereinst wieder einmal in West und Ost, in Nord und Süd freie Volksgemeinden, wenn auch nicht Speer und Schild zusammenschlagen, so doch mit erhobener Hand den nationalen Willen kundgeben und zur Geltung bringen werden.
Unter die halb wahnsinnigen Ausbrüche des englischen Aergers darüber, daß die deutschen Großmächte sich, unbekümmert um das Maulaufreißen des britischen Löwen, erkühnt hatten, den Elbherzogthümern zu helfen, unter diese ärgerlichen Ausbrüche gehörte auch der vor einigen Wochen in einer englischen Zeitung stehende, dahin lautend, daß jetzt kein Engländer mehr sicher in Deutschland reisen könne, ohne den Pöbelhaftigkeiten des von seinem Nationalhaß gegen die Engländer vollständig beherrschten deutschen Volkes ausgesetzt zu sein. Daran war zugleich die naive Aufforderung geknüpft, die Engländer möchten ihr Geld fortan lieber in England verreisen, worauf dann die Deutschen sehr bald durch die ihnen bevorstehende Aushungerung sich zu freundlicheren Gesinnungen bekehrt sehen würden.
Leider hatte das würdige Blatt vergessen hinzuzufügen, wie es diejenigen Engländer halten sollten, welche nicht sowohl bei uns reisen, um Geld zu verthun, als vielmehr, um es zu verdienen. Wäre diese Lücke nicht vorhanden und hätte die Zeitung ihren Racheschrei überhaupt eher gebracht, wer weiß, ob man dann in Hamburg, Berlin, Breslau, Leipzig und anderen deutschen Städten das schauerliche Vergnügen würde gehabt haben, Herrn Thomas Batty mit seinen fünf Löwen zu sehen. Indessen, unser Geld ist ja auch kein Blech, und darum handelt Herr Batty als vernünftiger Familienvater und steckt es ein.
Den vielen Lesern der Gartenlaube, welche Batty noch nicht gesehen haben, der vorher nur in London Vorstellungen gegeben und in Deutschland erst im September vorigen Jahres in Hamburg sich zu produciren begonnen hatte, bin ich wohl eine kurze Schilderung seines Auftretens im Käfig schuldig, da das beigegebene Bild natürlich nur eine Scene, nicht aber den ganzen Verlauf des Ballspiels darstellen kann und überhaupt das Ganze so weit von allem in dieser Art in Deutschland Gesehenen abweicht, daß man sich schwerlich eine richtige Vorstellung davon machen kann.
Nachdem die eigentlichen Mitglieder des Circus, die Reiter und Reiterinnen, ihre „Arbeiten“ beendigt und die Clowns ihre Späße ausgegeben und zur ferneren Verwendung wieder an sich genommen haben, wird von dem dienenden Personal ein an den vier Ecken gerundeter großer Wagen mitten in den Kreis gefahren. Die ihn rings verdeckenden hölzernen Läden werden weggenommen, und er erscheint jetzt als ein auf Rädern ruhender umfänglicher Käfig, bewohnt von fünf Löwen, welche, aus ihrer Ruhe gestört und geblendet von dem plötzlichen grellen Licht, sich gähnend strecken und dehnen. Sehr einig sind sie dabei nicht, und ein Vorspiel findet gewöhnlich gleich in so fern statt, als sie vorläufig unter sich eine kleine Hauerei im eigentlichen Sinne des Worts aufführen, indem sie gegenseitig mit Tatzenhieben auf einander losfahren. Große, langgemähnte Thiere wie die Schulbücherlöwen, sind es allerdings nicht; denn nur das eine der zwei männlichen zeigt die beginnende Mähne, und keins ist ganz ausgewachsen. Dafür sind sie aber um so lebhafter, und von der Faulheit eines alten Löwen ist keine Spur zu finden. Schon während des erwähnten Vorspiels werden Sägespähne in den Käfig geworfen, um das Ausgleiten des Löwenbändigers zu vermeiden, sodann wird der kleine Vorkäfig, durch welchen derselbe eintritt, angeschraubt, und nun erscheint Batty selbst.
Ein schwarzer knapper Rock mit Goldborde, knappe Beinkleider und eben solche, aber bis über’s Knie reichende Stiefeln sind seine Bekleidung. Man sieht sofort, daß diese sehr zweckmäßig gewählt ist. In der Hand trägt er die bedeutungsvolle Peitsche aus Nilpferdhaut, gemeinhin die Nilpeitsche genannt. Sie birgt den Zauber der Thierbändigung, und zehnmal eher wird der Thierbändiger auf die Wirkung seines Blicks verzichten, als auf die jenes Zauberrüthchens.
Gleich beim Eintreten von dem Aufbrüllen der Bestien begrüßt, fährt er wie der Blitz unter sie, mit geschwungner Peitsche sie hierhin und dorthin treibend, und Auge wie Ohr des Zuschauers sind jetzt vollauf beschäftigt. Zwar läßt der von den fünf Bestien umgebene Mann nur einzelne Ausrufe hören, desto lauter und zorniger ertönt aber das jedesmalige Gebrüll der Löwen, sobald ihnen ihr Meister zu nahe tritt. Jetzt sind sie alle, außer einer Löwin, in dem einen Winkel des Käfigs zusammengedrängt. Diese aber liegt in der entgegengesetzten Ecke. Batty streckt sich zu ihr hin und macht sich’s auf ihr bequem; er stampft mit dem Fuß auf den Boden, und mißmuthig, aber doch folgsam kommt endlich der eine Löwe heran und legt sich zu den Füßen Batty’s und seinen Kopf auf dessen Schooß. Eine kurze Liebkosung ist sein Lohn.
Aber schnell verändert sich die Scene. Aufspringend jagt Batty die Ungeheuer abermals im Käfig herum, ringsum von ihren Tatzenhieben bedroht. Flüchtend vor der immer drohenden Peitsche, drängen sie sich über einander, gegenseitig auf einander losfahrend und hauend. Jetzt liegt die Löwin abermals allein, in der andern Ecke. Schnell wirft sich Batty zu ihr hin, legt ihre Tatzen um seinen Hals, sich ganz in ihre Gewalt gebend. Alles bleibt ruhig. Er erhebt sich halb, öffnet der Löwin den Rachen und, seinen Kopf ganz in denselben steckend, kreuzt er die Arme auf dem Rücken und verbleibt in dieser Lage lange genug, um sich ein halbes Dutzend Köpfe abbeißen zu lassen. Die Löwin läßt ihm aber sogar den einen, und nachdem er sich über denselben wieder die Verfügung gewahrt, klappt er den Rachen der Bestie zu, mit einem Tone, als würde ein in Schweinsleder gebundener großer Foliant zusammengeschlagen.
Abermals springt Alles empor, und ein weiterer Abschnitt der Produktion entwickelt sich. Batty stellt sich allein an das eine Ende des Käfigs, die Bestien sind am andern versammelt. Er stampft mit dem Fuß, und plötzlich stürzt die eine Löwin auf ihn los. Statt aber ihn niederzureißen, springt sie blos an das Gitter über ihm an und schnellt sich in bogenförmigem Satze auf den Boden zurück. Auch einer der Löwen, dem nöthigenfalls von außen mit einer Stange zugeredet wird, springt in derselben Weise auf seinen Meister an, und dies wiederholt sich mehrere Male.
Von Neuem beginnt nun als Zwischenact das Zusammentreiben der Bestien, bis sie zur folgenden Scene richtig gruppirt sind. Jetzt ist es der gemähnte Löwe, welcher die eine Seite allein einnimmt. Während die anderen wüthend durcheinander brüllen und von rückwärts mit den Tatzen nach ihrem Herrn hauen, bemüht sich dieser, den Löwen zum Aufrichten am Gitter zu bringen. Der bei seinem Alter schon nicht mehr recht dienstwillige Löwe will erst seinen Herrn nicht verstehen, wenn dieser, sich bückend und mit ausgebreiteten Armen schnell erhebend, ihm auseinandersetzt, worum es sich handelt. Zähnefletschend erhebt er sich endlich auf die Hinterbeine, und nun wendet sich Batty zur anderen Gruppe, und eine andere der Bestien wird gleichfalls zum Aufrichten am Gitter genöthigt. Eine dritte liegt vor ihm, und sie zum Schemel seiner Füße nehmend, tritt er in drohender Haltung dieser aufgeregten und brüllenden Gruppe gegenüber. Dies ist die Scene unsers Bildes.
Die Vorstellung nähert sich nunmehr ihrem Ende. Indem die Thiere nochmals vor der Peitsche ihres Meisters, brüllend und nach ihm hauend, durcheinander flüchten, empfängt derselbe von außen ein geladenes Gewehr. In hochgehobener Rechte dasselbe haltend, tritt er mitten unter die wüthende Gruppe und feuert es ab. Zornig brüllen die Löwen dem Schusse nach; ihr Meister aber tritt zurück, macht sich nöthigenfalls mit der Peitsche Bahn und verläßt den Käfig, wobei es vorkommt, daß, nachdem er eben hinaus ist, eine der Bestien noch an das Gitter ihm nachspringt. Gewaltiger Beifall folgt natürlich jedesmal dem Schluß der Vorstellung.
Wodurch übt dieser Mensch solche Gewalt über die wilden Bestien? so fragt gewiß mancher unserer Leser. Darauf ist die einfache Antwort: Durch seinen persönlichen Muth und – seine Peitsche. Keines allein, aber beide zusammen bewirken ineinandergreifend das wunderbar Scheinende. Selbstverständlich ist dabei ein gewisses Verständniß des Thiercharakters vorausgesetzt, ein feines
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_428.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)