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Seite:Die Gartenlaube (1864) 430.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Erkennen der Grenze, bis zu welcher bei jedem einzelnen Thiere gegangen werden darf.

Daß man einen bestimmten Blick dazu haben muß, ist allerdings eine sehr gangbare Redensart geworden, die, selbst in unsern Tagen aus scheinbar authentischer Quelle wieder aufgefrischt, jedenfalls noch lange gelten wird. „Bei dem Thierbändiger muß das Weiße des Augapfels über der Pupille sichtbar sein,“ so lautet die Phrase. Nun, wenn ein Löwe sonst keinen Respect vor seinem Herrn und dessen Muth hat, aus dem Weiß von dessen Augapfel macht er sich ganz gewiß sehr wenig. Wer solchen Vorstellungen aufmerksam beigewohnt hat, muß dies sofort begreifen. Oder kann Batty vielleicht durch Schielen seine fünf Löwen zugleich ansehen? Oder hat er, wenn er ihnen, wie dies oft geschieht, den Rücken kehrt, einen Blick von hinten mit Weiß über der Pupille? Ich wenigstens habe von beiden Kunststücken noch nichts wahrgenommen.

Daß Muth eine Hauptsache bei dergleichen Unternehmungen ist, braucht nicht weiter erörtert zu werden: er ist selbstverständlich unerläßlich. Deswegen hat noch nicht Jeder, welcher sich zu einem vielleicht schon dressirten Löwen begieht und einige friedliche Spielereien mit ihm ausführt, den hier gemeinten Muth. Zu einem Auftreten, wie das Batty’s, gehört er aber unbedingt. Dieser Muth muß indeß von einer tüchtigen Peitsche gehörig unterstützt werden, wenn er anerkannt werden soll. Es giebt allerdings unter diesen Bestien einzelne, welche, besonders wenn sie beim Einfangen nicht mehr ganz jung waren, schlechterdings nicht zu dressiren sind, solche muß eben der Thierbändiger einfach wieder verkaufen oder blos als Menageriethiere zeigen. In der Regel läßt sich aber mit jungen Thieren der Art schon viel anfangen. Die jugendliche Lebhaftigkeit und die noch nicht entwickelte Kraft, verbunden mit der dem Löwen innewohnenden Intelligenz, machen das Anlernen junger Thiere nicht zu schwer. Das Hauptgeschick dabei ist, wie ich dies schon früher erwähnt habe, den einzelnen Thieren ihre Neigungen und Angewohnheiten abzusehen und diese zum Kunststück auszubilden, sodann aber auch die genau wiederholte Aufeinanderfolge der einzelnen „Arbeiten“.

Batty hat zudem das Glück, in der einen Löwin ein so gutwilliges Thier zu besitzen, wie man unter zwanzig kaum eins finden wird. Mit ihr führt er auch die Hauptstücke aus. Da sie, was freilich nicht ausposaunt wird, ganz blind ist, so vermehrt dies jedenfalls ihre Brauchbarkeit zu der passiven Rolle sehr, welche sie hauptsächlich spielt. Sie ist daher so zu sagen die Hauptactrice und wird dies, selbst wenn sie alt wird, wohl auch bleiben, während es bei den übrigen Thieren immer fraglich ist, wie lange sie sich die ihnen zugemuthete Rolle gefallen lassen. Die männlichen Löwen insbesondere dürften, sobald sie sich erst den Löwinnen gegenüber als Männer fühlen, nicht nur unter sich, sondern auch gegen Herrn Batty noch anders auftreten, sofern ihnen die jetzige Rolle dann noch zugemuthet wird, denn vor seiner Frau läßt sich auch ein Löwe nicht gern blamiren. Indessen bis dahin wird sich wohl ihr Herr zur Ruhe gesetzt haben.

Als ich Batty in seiner Wohnung aufsuchte, um meine Bitte, daß er mir zu dem Bilde sitzen möge, vorzubringen, fand ich – es war kurz vor Beginn der Circusvorstellung – den Mann, der dem Publicum sich blos in Gesellschaft wilder Bestien zeigt, ganz gemüthlich neben seiner höchst netten Frau und seinem reizenden Kinde beim Abendessen sitzen. Er blieb auch, als ich mein Gesuch durch die Wirthin verdolmetschen ließ, vernünftigerweise sitzen, beschied mich aber abschläglich, da er wegen seiner am folgenden Tage stattfindenden Abreise bereits im Einpacken begriffen war. Der geneigte Leser wolle also die möglicherweise nicht ganz erschöpfende Aehnlichkeit nachsichtig beurtheilen. Sie wird ja wohl auch nicht die Hauptsache des Bildes ausmachen.

Von der Lebensgeschichte des berühmten Löwenbändigers und wie er zu seinem gefährlichen Handwerke gekommen ist, habe ich trotz aller Bemühungen leider nichts Authentisches erfahren können. Zwar ist unlängst in Berlin eine Broschüre unter dem Titel: „Thomas Batty der Löwenbändiger, kurze Lebensbeschreibung nebst Mittheilung über das Einfangen und Zähmen der fünf dressirten Löwen“, erschienen, in welcher Verschiedenes über die Jugendschicksale und Abenteuer des merkwürdigen Mannes mitgetheilt wird. Jedenfalls beruht ein Theil des darin Erzählten auf Wahrheit, da ich aber nicht weiß, von welchen Stellen der Schrift dies gilt, so wage ich nicht Einzelheiten daraus mitzutheilen. Dergleichen Dinge, wie z. B. daß Batty in Hamburg von dem einen Löwen mit der Tatze einmal wirklich getroffen wurde, passiren jedem Thierbändiger und sind ja ohnedies für die Zeitungs-Feuilletons ein eifrig gesuchtes Futter. Nur schade, daß sie regelmäßig übertrieben werden. Nach einem andern neuen Schriftchen, für dessen Inhalt ich aber ebenso wenig einstehen möchte, hat Thomas Batty, ein geborener Irländer, früher gar nicht daran gedacht, als Schausteller von Löwen umherzureisen; er war vielmehr nur passionirter Löwenjäger und durchstreifte mit zwei Dienern das westliche Afrika. In Freetown mit seiner todten und lebendigen Beute eintreffend, erhielt er von einem Speculanten, Namens Staal, den Antrag, diesem die Hälfte seiner Löwen zu verkaufen, die zu Kunststücken abgerichtet und in den größeren afrikanischen Städten, Marokko, Arib, Fez, Tanger, gezeigt werden sollten. Nach sechs Monaten sollte der damit gewonnene Erlös getheilt werden. Batty ging auf den Vorschlag ein. Als er nach länger als einem halben Jahre Herrn Staal in Oran wieder traf, überzeugte er sich, daß es viel einträglicher und minder beschwerlich sei, Löwen abzurichten, als zu schießen, und wurde von Stelle an aus dem Löwenjäger der Löwenbändiger.

Batty scheint übrigens bereits seine Nebenbuhler zu haben. Von der Thierbändigerfamilie Kreuzberg tritt schon jetzt der Eine mit acht Löwen auf; ich kann aber nicht aus eigener Anschauung über seine Leistungen berichten. Man sieht indeß, daß es bereits auf ein Ueberbieten abgesehen ist. Der Thierbändiger Herrmann, welcher einer neulichen Abbildung nach mit vier Löwen „arbeitet“, dürfte sich daher jetzt nothgedrungen noch einige zulegen. Den Preis wird jedenfalls derjenige davontragen, dem es zuerst gelingt (das Zuerst schöpft auch hier das Fett ab), Löwen, Tiger, Leoparden und Bären (alle in mehreren Exemplaren) zu vereinigen und ähnliche Scenen, wie Batty, aufzuführen. Möglich ist’s vielleicht, aber wahrscheinlich nicht. Sollte man diesen Gipfelpunkt einmal erreichen, so wird mir Herr Keil gewiß erlauben, auch davon den Lesern der Gartenlaube ein Bild vorzuführen.

L. 




Der Dichter in der Backstube.


Ein Bäcker und ein Dichter, das ist schon etwas; aber nun gar ein Bäcker, ein Arbeiter, ein Dichter und zugleich ein Legitimst, das war für die blasirte Pariser Gesellschaft mehr als nöthig, um den Kitzel zu fühlen, diesen Wundermenschen, der sich Jean Reboul nannte, in ihre Kreise hineinzuziehen. Nicht ohne Mühe gelang es auch, den Dichter nach Paris zu locken. Er wurde im Triumph herumgeführt, überall mit Weihrauch bestreut, überall in den Vordergrund geschoben und war bald des Pariser Getreides so satt, daß er mit dem glühendsten Heimweh nach seiner Vaterstadt Nimes in Südfrankreich zurückeilte, wieder in seiner Backstube Posten faßte und dann freilich auch von den Parisern nach und nach vergessen wurde, bis sein neulich erfolgter Tod ihn endlich noch einmal auf vierundzwanzig Stunden in den Literaturberichten der pariser Blätter von den Todten auferweckte, um ihn nun wohl für immer der Vergessenheit zu übergeben.

Ein Mann des Volkes, ein Sohn der Arbeit, der aus seiner Werkstatt heraus Geistesfunken in die große Welt hinauswirft, die sich die Aufmerksamkeit eines ganzen Volkes erzwingen, ist indeß immerhin eines Andenkens werth. Ueberdies aber liegt in der Geistesrichtung seiner Gedichte auch eine allgemeine Lehre, und dieser zu lieb wollen denn auch wir dem Todten sein Recht eines Nachrufes widerfahren lassen.

Wer war der Bäcker-Dichter von Nimes? Wie wurde er zum Dichter? Was wollte er mit seinen Gedichten? – Das sind die Fragen, die wir mit ein paar Andeutungen beantworten wollen.

„Er war ein Mann von beinahe arabisch brauner Gesichtsfarbe, mit schwarzen, glänzenden Haaren und perlmutterweißen Zähnen. Sein Blick war rasch und durchdringend, er hatte prachtvolle, indische, mächtige, sammetne Augen, gemacht um die Liebe wie den Zorn auszusprechen.“ So fand und schildert ihn, in der Vorrede zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_430.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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