verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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No. 28. | 1864. |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
Verfasser des „Nondum“.
(Schluß.)
Nach einer kurzen Pause fuhr der Bettler in seiner Erzählung fort: „Ich hatte die italienische Gewohnheit behalten, nach dem Essen meinen Kaffee in einem Kaffeehause oder öffentlichen Garten zu nehmen, dort die Zeitungen zu lesen oder literarisch und politisch zu verkehren, und diese Stunden benutzte meine Frau zum Unterricht. Zum diplomatischen Corps gehörte auch ein Russe, der eben so häßlich als verliebt, eben so boshaft als feig war. Dem Franzosen war er schon lange feindlich gesinnt, und in seiner tückischen Manier gründete er seine Rechnung auf meinen sicilianischen Charakter, auf die sprüchwörtliche Eifersucht meines Volkes und, was gewissermaßen eine Religionsforderung in solchen Fällen ist, auf einen raschen Dolchstoß, der ihn ohne Gefahr, in aller Unschuld von seinem verhaßten Feinde befreien konnte.
Der Franzose, wie ich nunmehr weiß, war eine durchaus harmlose Natur, der als verlobter Bräutigam mit idealer Treue an seiner Braut hing, der aber, Jedermann gern gefällig, so unangenehm ihm auch die Forderung meiner Gattin durch die Heimlichkeit der Ausführung war, zum Unglück der schönen Frau nichts abschlagen konnte, mit französischer Liebenswürdigkeit und dem Leichtsinn seines Volkes auf die Sache einging und sich auf den guten Ausgang des Unternehmens im Voraus freute.
Der Russe hatte es vortrefflich verstanden, mich nach und nach von fernher aufmerksam zu machen. Immer entschuldigend, wußte er mich mit Nadelstichen zu reizen, und da meine Frau ein paar Mal rasch Papiere versteckt hatte, wenn ich unvermuthet in ihr Zimmer trat, war mein Gemüth den Insinuationen des Menschen so weit zugänglich, daß ich eines Tages meine Kaffeestunde unterbrach und auf Nebenwegen nach Hause eilte. Als ich mich durch die Gärten rasch näherte, bemerkte ich noch, daß eine Dienerin meiner Frau, die wir aus Italien mitgebracht, schnell und wie erschrocken von einem Fenster zurücktrat und in die inneren Zimmer eilte. Mein Verdacht ging nun zur Ueberzeugung über. In größter Hast erreiche ich das Haus, stürme die Hintertreppe hinauf und höre, als ich das leere Arbeitszimmer meiner Frau erreichte, die Vorderhausthür auf- und zugehen. Ich stürzte an’s Fenster und erkannte den Legationssecretair, der das Haus verließ und um die Ecke verschwand. Der nächste Gegenstand meiner Rache, die heiße Lust, sie sofort zu kühlen, ließen mich an gar nichts Anderes denken. In wenigen Sätzen war ich meinem Opfer nachgesprungen, aber als wäre es von der Erde verschlungen, war es verschwunden und auch nicht in seiner Behausung aufzufinden. Noch heute ist es mir unerklärlich, wie es zuging, daß ich mich indem allerdings kleinen Orte gegen Abend in freiem Felde wiederfand, daß ich erst dort an Nazarena selbst dachte und Rachegedanken in mir aufloderten.
Sie zur Rede zu stellen, das fiel mir nicht ein; ihre Schuld war für mich so klar, daß sie anzuhören mir gar nicht in den Sinn kam und ich sie unbedingt niedergestoßen haben würde, wenn mich nicht die Sucht den Franzosen zu opfern ganz und gar erfüllt hätte, so daß alle meine Sinne, zunächst von ihr abgelenkt, darauf gerichtet waren, ihn zu erreichen. Je mehr ich Nazarena geliebt, je höher stieg nun in mir die Wuth, ich sah sie im Geiste vor mir, die ich so rein und unschuldig in die Arme genommen, ha! und ich erblickte sie schon blutend zu meinen Füßen, ich raffte mich, als ich bald fluchend, bald lachend sie an meinem inneren Gesichte vorüberführte, zur That auf und sank wieder zurück, wenn das Bild vor mir auftauchte, wie sie mit ihrem freundlichen Gesicht mir die Juwelen reichte.
Durch das Spiel, durch die Sorge um meine künftige Existenz durch die anhaltenden Studien der letzten Zeit mußten meine Nerven gelitten haben; ich war wie vernichtet, brach, als ich eine kurze Strecke gegangen, wieder zusammen und war weinend auf einen Grabenrand niedergesunken, als eine Chaise leer vorüberfuhr und der Kutscher mich fragte, ob mir etwas fehle und ob ich nicht aufsitzen wolle. Wohin? Der Kutscher nannte eine naheliegende große Handelsstadt. In Gottes Namen, rief ich, saß auf und langte Abends an. Die Nacht hindurch schüttelte mich ein Fieber, und ich wäre vielleicht in eine längere Krankheit verfallen, wenn nicht am Morgen ein herbeigeeilter Arzt mir zur Ader gelassen hätte. Meine ganze Habe trug ich schon seit längerer Zeit in Wechseln bei mir und wollte eben einen derselben realisiren, als ich auf dem Posthofe einen alten Bekannten, einen Attaché vor der spanischen Gesandtschaft in Paris, traf, mit dem ich dort studirt hatte. Er sagte mir, daß er als Courier nach Wien gehe, und setzte scherzend hinzu: ‚Wenn Sie den leeren Platz neben mir benutzen wollen, sind Sie in wenig Tagen in Wien.‘ Gott weiß, wie es zuging, daß ich den Vorschlag annahm.“ Er schwieg ein Weilchen.
„Mein Lieber,“ unterbrach ich ihn, „Sie sind, wie ich glaube, bisher wahr gewesen. Sie gestehen mit Schmerz, aber Offenheit Ihr Spiel und die davon untrennbare Zerrüttung ein, ich kann mir auch denken, daß Sie in blinder Leidenschaft die junge Frau
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_433.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)