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Seite:Die Gartenlaube (1864) 434.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

für schuldig hielten, daß Ihre Energie durch die ungeheure Schwere des Unglücks, das Sie vermeintlich betroffen, so weit gebrochen war, daß Sie nichts mehr hören und sehen wollten und nun in jene schlaffe Passivität verfielen, welche Menschen, Alles hinter sich zurücklassend, wie ein Bankerottirer, in die Welt hineineilen läßt, ohne Plan und Ziel; aber bekennen Sie, daß in Ihren Worten: ,ich weiß nicht, wie es zuging, daß ich den Vorschlag annahm,‘ in sofern eine Ungenauigkeit liegt, als Sie sich nicht eingestehen wollen, daß die Baronin in Wien einen Antheil an Ihrem Entschlusse hatte, daß Sie, nachdem alle Stützen Ihres Daseins gebrochen, in ihr eine geistige Anlehnung suchten. Ich begreife, wie schwer dem Katholiken die Ohrenbeichte werden muß, aber, so sehr ich auch dagegen eingenommen bin, so erkenne ich doch heute und in diesem Augenblick, daß etwas Gutes an der Sache ist, nämlich die Nothwendigkeit, gründlich mit sich abzurechnen und volle Wahrheit zu sprechen.“

„Es ist nicht zu leugnen,“ erwiderte er nach einigem Schweigen, „daß die Baronin an meinem raschen Entschluß Antheil hatte, aber ich kann nicht zugeben, daß dies, wie Sie blos andeuten, Liebe zu ihr war; es war ein schwankendes Gefühl, in welchem ich, wie Sie richtig meinen, vorweg die Wonne fühlte, mich ihr entdecken, bei ihr Theilnahme und Trost für meine Leiden finden zu können.

War ich doch schon glücklich, auf der Reise an der Seite meines alten Bekannten zu sitzen, wie uns überhaupt das Unglück mit unwiderstehlicher Gewalt auf Alles zurückführt, was an frühere, glücklichere Tage erinnert. Ich will auch zugeben, daß die Baronin, als ich mich ihr entdeckte, es als ein Glück pries, daß ich den Legationssecretair nicht erreicht, oder gar an meiner Frau einen Doppelmord begangen hätte; daß sie es war, die es mir als eine Fügung des Himmels deutete, daß ich in halbbewußtlosen Zustand verfallen, daß mich der Kutscher und ich den Courier getroffen; daß sie es war, die mir bewies, wie es ganz natürlich gewesen, daß ich meine Gattin nicht wieder gesehen, daß diese ja auch nichts anderes werth sei, als verlassen und hülflos zu bleiben, und daß gerade darin die einzige, intensive, nachhaltige Rache liege. So redete sie mich in die Ueberzeugung hinein, daß ich ganz wohl gethan, und wie der Mensch sehr gern geneigt ist, sich selbst zu belügen, fand ich mich jetzt noch lobenswerth, daß ich so menschlich gewesen, ja, ich glaubte, daß Alles, was ich ohne Nachdenken gethan, doch im Grunde in Folge der still in mir wirksam gewesenen Vernunft geschehen sei. Eine innere Untreue war also nicht vorgegangen, jedenfalls keine äußere, die sich von selbst ausschloß, da die Baronin sich mit Plänen der Wiederverheirathung trug, die über meine Person, mit der ja doch eine Verbindung jetzt rechtlich nicht möglich war, weit hinauslagen. Aber ich will zugeben, daß die Sünde der Schwankungen in Paris wie jede Schuld, fortwirkte und zum Unglück führte.“

„Nun lassen wir das,“ fiel ich ein, „wo blieb Ihre Gattin?“

„Das Schicksal wollte, daß damals mein König auf längere Zeit in Wien zum Besuch war. Ich wurde ihm vorgestellt, gefiel und bekam die Aussicht, in einer unserer Legationen eine Stellung zu erhalten. Ich ergriff diesen Gedanken, schon weil er mir die Möglichkeit eröffnete, außerhalb Italiens zu leben, mit Begierde, und so kam es, daß unter den äußerlichen Zerstreuungen und den Studien für meine künftige Carriere mich die Nachricht, die Ungetreue sei bald nach mir verschwunden, fast theilnahmlos ließ, und dies um so mehr, als mir bald darauf gemeldet wurde, daß wenige Tage nach ihrer Abreise auch der Legationssecretair, angeblich um nach Frankreich zurückzukehren, den Ort verlassen habe. Alles, was je Leichtsinniges und Frivoles über die Frauen geschrieben und gesagt worden, nahm mein kranker Geist wie einen kühlenden Heiltrank auf. Sie sind Alle gleich, dachte ich, und es bildete sich bei mir zur Gewißheit aus, daß die Buhlerin sich mit ihrem Geliebten in der Welt ebenso umhertreibe, wie dies damals nach der in den politischen Convulsionen erfolgten Vermögenszerrüttungen vieler Familien an so mannigfachen Beispielen und in nächster Nähe zu sehen war.

Indessen konnten diese Erlebnisse und Erschütterungen auf meinen Organismus nicht ohne Einwirkung bleiben, der, so kräftig auch an sich, doch unter der Herrschaft der größten Leidenschaftlichkeit stand. Ich verfiel in eine Krankheit, ich glaube ein Nervenfieber, das mich auf Monate niederwarf und in bewußtlosem Zustande niederhielt. Als ich mich in einer der vortrefflichen Heilanstalten Wiens wiederfand, war mir das Leben zur Last, und die Theilnahme und schonende Aufmerksamkeit, die mir nach den ersten Ausgängen von meinen Bekannten zu Theil wurden, trösteten mich nicht, verstimmten mich vielmehr, ja erfüllten mich mit Mißtrauen, weil ich mir einbildete, die Baronin habe etwas von meinem Unglück verrathen, oder dasselbe sei auf anderem Wege der Gesellschaft bekannt geworden. So viel ist gewiß, daß ich mich seitdem nie wieder zu der alten, frischen Energie habe erheben können. Ich war damals, wie überhaupt die Menschen gern Alles außen suchen, was in ihnen vorgeht, sehr geneigt, die Umwandlung in mir auf das deutsche Klima, auf den Umgang mit den Deutschen zurückzuführen; denn mir konnte nicht entgehen, daß ich seitdem eine elegische Stimmung beibehielt, die den activen Muth in mir vermindert, den passiven aber vielleicht erhöht hat; und so lebte ich meine Tage still für mich hin und war in dieser Monotonie des Daseins kaum gewahr geworden, daß darüber zwei Jahre verflossen waren.

Da erhielt ich einen Brief von dem Russen, durch Vermittlung der russischen Gesandtschaft. Er war mit schwacher Hand geschrieben und meldete mir, daß sein Verfasser im Duell einen Stich durch die Lunge bekommen, daß er nur noch wenige Tage zu leben habe und daß er sich gedrungen fühle, mir zu gestehen, daß meine Frau bei dem Legationssecretair Zeichen-Unterricht genommen, um mich zu überraschen; daß er sehr wohl gewußt, wie die Unglückliche völlig unschuldig sei, daß er aber der Lust nicht habe widerstehen können, mich dem Franzosen auf den Hals zu hetzen; daß er eigentlich weder mir, noch meiner Frau habe wehe thun wollen und aufrichtig seinen Fehler bereue. Er meldete mir zugleich, daß Nazarena Alles bis auf die nothdürftigste Kleidung verkauft, daß sie seine Börse, sowie die des Legationssecretairs ausgeschlagen, sich mit der größten Hoheit und Würde benommen und, so viel er habe erfahren können, mit ganz geringen Mitteln die Reise nach Italien angetreten habe. Schließlich bat er um Verzeihung, und ich gestehe, daß dieser Schurke mir so sehr Schurke schien, daß ich Anfangs glaubte, das Ganze sei eine Erfindung des Ungeheuers, um mich auf’s Neue auf die Folter zu spannen. Ich lief auf die französische Gesandtschaft und bat dort einen der höheren Beamten unter Vorgabe literarischer Zwecke, mir darüber Auskunft zu verschaffen, wo sich jetzt der Legationssecretair aufhielte.

,Das ist leicht,‘ antwortete mir der Herr, ,Sie fragen nach Niemand Anderem, als nach meinem Schwager, der vor zwei Jahren seinen Abschied genommen, weil er mit dem jetzigen Gouvernement unzufrieden ist, sich damals sofort verheirathet hat und seitdem als Privatmann und bereits glücklicher Familienvater auf seinen Gütern in der Picardie lebt.‘

Ich bedurfte aller Anstrengung, um mich auf den Beinen zu erhalten und die Straße zu gewinnen. In meiner Behausung ergriff mich ein unendlicher Schmerz, der sich glücklicherweise in dem lindernden Balsam löste, welchen die Natur dem Menschen als Gesellin mitgab. Alle Liebe, die ich je zu meiner Frau gefühlt, drängte sich in die leidenschaftlichste Sehnsucht nach ihr zusammen, und so rüstete ich mich in der größten Hast zur Abreise nach Sicilien; denn da allein, bei ihren Brüdern, konnte die Unglückliche Schutz und Beistand gesucht haben. Wie immer, überflügelte die Hoffnung, ein Kind unserer heißen Wünsche, alle Befürchtungen. Ich hatte ja den Brief des Russen in Händen, ich konnte mich ja entschuldigen bei den Brüdern, ich mußte ja bei meinem Weibe Verzeihung finden, bei ihr, die alle meine früheren Verirrungen so liebevoll mit ihrem Herzen gedeckt hatte; sie mußte ja mich, den Reuigen, aufnehmen, denn ich war ja selbst elend geworden, ich hatte ja selbst gelitten, wenn auch durch meine Schuld, so doch im Grunde ihretwillen. So geneigt ist der gebrechliche Mensch, sich selbst zu entschuldigen, und als ich nach wenigen Tagen abreiste, erbauten sich in mir Vorsätze und Pläne, ja schon eine ganze Zukunft auf dem schmalen Grunde der mir gebliebenen Mittel, die ich sparsam schonte und ängstlich zusammenhielt. Endlich betrat ich in Messina sicilischen Boden. Es war dies zu der Zeit, als die Reaction noch ihre Opfer aus der voraufgegangenen Revolution suchte, und da ein Namensvetter von mir zu den Compromittirten gehörte, ich überdies einige Aehnlichkeit mit ihm haben sollte, reichte dies hin, mich eine Woche dort aufzuhalten, indem man mir den Paß abnahm; indessen weil bei einer Sperrung aller Häfen eine Flucht nicht möglich war, man auch wohl halb und halb an der Identität mit dem Gesuchten zweifelte, gestattete man mir freie Bewegung im Orte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_434.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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