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Seite:Die Gartenlaube (1864) 435.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ich glaubte bald zu bemerken, daß man mich beobachte. Denn als ich Abends auf der Palazzata mich erging, trat plötzlich, und bevor ich noch ihr Gesicht sehen konnte, eine männliche Gestalt in ländlicher Tracht vor mir wie betroffen zurück, schien dann aber, indem ich von ihr unter allerhand ersichtlichen Vorwänden umkreist wurde, mich im Auge zu behalten. Im Gefühl meiner politischen Unschuld kümmerte mich das wenig, und als ich derselben Gestalt wieder in der Dämmerung auf dem Monte dei Capuccini begegnete, versuchte ich gar nicht unter den breiten, tief in die Augen gedrückten Hut zu sehen, denn ich hoffte, da mich ganz andere Dinge beschäftigten, mit den Agenten der Polizei, welche diese aus allen Schichten der Gesellschaft geworben hatte, außer Berührung zu bleiben.

Am folgenden Tage meldete sich bei mir ein Vetturin, der von meinem Wirth gehört haben wollte, daß ich nach Taormina zu reisen beabsichtige. Er sei, sagte er, von dort, fahre leer zurück und stelle mir deshalb einen sehr billigen Preis, ja er erbot sich sogar, da gegenwärtig wenig gereist werde, mich für eine geringe Summe nach Catanea und selbst nach Syracus weiter zu befördern. Es war mir dies wie ein gutes Zeichen des Schicksals; ich willigte freudig ein, und da ich noch an demselben Abend meinen Paß erhielt, fuhr ich am andern Morgen ab.

Ich hatte schon alle Himmel im Herzen, denn ich näherte mich ja meinem geliebten Weibe; ich hoffte sie zu finden, ein Kind im Arm, ich lag in Gedanken zu ihren Füßen, es wogte in mir auf und ab von Schmerz und Wehmuth, von Liebe und Lust.

Jedem, der nach langer schmerzlicher Trennung in die Heimath zurückkehrt, mag sie lieblich entgegenlächeln, zumeist dann, wenn ihm dort eine Hoffnung, eine Lösung von Schmerzen dämmert. Ich kam aus dem Siechhause, ich kam aus dem Winter, dem Eise und Schnee Deutschlands, ich betrat mit dem Frühling den Boden des Vaterlandes, das selbst dem Festland Italien gegenüber leuchtet wie ein vollendetes gefirnißtes Landschaftsgemälde im Vergleich zu einem Werke, das dieses letzten Glanzes entbehrt.

Als ich hinauskam in die Landschaft, dahinfuhr bald durch die haushohen Cactushecken, bald durch das Grün der Orangenwälder und der ewig durstigen Limonengärten, und dann plötzlich der weiteste Blick sich eröffnete links über das blaue Meer, rechts über Weizenfluren, die sich in den reichsten Geländen emporwinden von Thal zu Berge, strotzend von Segen, bekränzt von tausendjährigen Oelbäumen, die regellos ihre knorrigen Zweige hinausstrecken in das Veilchenblau des Himmels und in ihrem überschleierten, matten Grün alles Scharfe und Harte der Farben vermitteln: da jubelte es in mir laut, es wurde gewiß in mir, ich mußte noch einmal glücklich werden.

Man verläßt, wie Sie wissen, kurz vor Taormina den Wagen, der mühsam sich den Fahrweg emporwindet, um von der andern Seite rascher zu dem Orte emporzusteigen, über dem sein berühmtes altes Theater thront. Zwischen zwei Felskuppen eingebaut, werden von der natürlichen Böschung die marmornen Sitze gedeckt, von denen unsere griechischen Voreltern die gewaltigen Tragödien hörten, welche jeden Augenblick die dunklen Mächte, das düstre Geschick vor uns aufrollen, während das Auge des Zuschauers über Land und Meer bis in die unendliche Ferne dahinschweift und dann wieder dicht vor sich, so nahe, als könne man ihn ergreifen, den Aetna erblickt, in dessen Brust die Donner rollen und hereinzubrechen drohen, vernichtend wie der Zorn der Götter.

Ich hatte den Riesen schon einigemal vom Wege erblickt und hatte dann aufgejauchzt vor Freude, denn er war ja der Schauplatz meiner ersten Liebe; meine ganze Seele bebte, und ich eilte nach Taormina empor, weil ich wußte, daß ich von dort die Region sehen und unterscheiden konnte, in der mein Weib leben mußte.

Kaum war ich eine Viertelstunde gegangen und wollte einen schmalen Bach passiren, der in tiefem Einschnitte dahinströmt, als unerwartet, um eine Felsenecke hervortretend, zwei Männer mich faßten, den Unbewaffneten niederwarfen, ihm die Hände banden, ihn dann aufrichteten und schnell aufwärts in das Geklüft des Gebirges führten.

Alles war das Werk weniger Augenblicke, und ich fing kaum an, meine Lage zu begreifen, als ich erschreckt zusammenbebte, denn ich erkannte, an eine offnere Stelle des Weges gelangt, die Brüder meiner Frau, die Aetna-Bauern. Auf meine Fragen gaben sie keine Antwort; ich bat, mir nur zu sagen, ob Nazarena bei ihnen sei, aber sie blieben stumm. Um meinen raschen Tod konnte es ihnen nicht zu thun sein, denn die zum Morde geeignetsten Schlünde lagen schon hinter uns. Immer vorwärts trieben sie mich durch die bald eingebrochene Nacht über Geröll durch trockene Wasserbecken hinauf, über Felsen und durch Waldungen hinweg, durch Felder und Weingärten, bis wir gegen Morgen bei einer Hütte anlangten, die ich als Wohnung des ältesten Bruders erkannte.

Ich wurde hineingeführt, entfesselt, erhielt Brod und Wein und wurde auf ein Lager verwiesen, das die Brüder bewachten.

Gegen Mittag trat der älteste Bruder, der Geistliche, ein und fragte mich, ob ich zu beichten gedächte. Ich hielt nun meinen Tod für beschlossen und zwar einen langsamen, qualvollen Tod, weil man sonst wohl gleich ein Ende mit mir gemacht haben würde. Ich lehnte daher die Beichte ab und würde den Mördern kalten Trotz entgegengesetzt haben, wenn mich nicht die unendliche Sehnsucht, Nazarena und unser Kind zu sehen, auf das Heftigste ergriffen hätte. Instinctmäßig fühlte ich, daß bei diesen Leuten jede Bitte vergeblich sei; ich war auch dazu nicht geneigt, vielmehr erfüllte mich der Ueberfall an der Schwelle meiner Hoffnungen, das Tückische in meiner Behandlung mit Wuth, und ich konnte mich nicht enthalten, die härtesten Verwünschungen gegen die Brüder auszustoßen. ,Ihr seid Mörder, das weiß ich, verruchte Mörder, die nicht einmal Herz haben für ihre leibliche Schwester, die ihr nicht das Glück gönnen, zu wissen, daß ihr Gatte unschuldig war. Leset,‘ rief ich, indem ich dem Geistlichen den Brief des Russen gab, ,leset, durch welche Schurkerei ich getäuscht wurde, und dann, wenn Nazarena erfahren, wie ich dazu kam, sie für schuldig zu halten, dann schlachtet mich stückweise, so langsam Ihr wollt.‘

Der Geistliche, nachdem er gelesen, faltete die Hände zum Gebet und sagte dann jubelnd zu seinen Brüdern: ,Seht Ihr, unsere Schwester, wie sie es auf die Hostie uns geschworen, war unschuldig. Ich halte das Bekenntniß des Verleumders in der Hand, es betheuert diese Unschuld ihr eigener Gatte, er liegt bereuend zu unseren Füßen: sie, die Reine, ist aufgenommen von der heiligen Jungfrau und genießt dort den Lohn für ihr treues Märtyrerthum.‘ ,Sie ist todt?‘ rief ich aus und brach dann ohnmächtig zusammen.

Als ich wieder erwachte, richtete mich der Geistliche auf. ‚Meine Mission,‘ sagte er, ,ist die der Versöhnung und des Friedens, ich nehme keinen Theil an der Rache der Brüder, ich habe gefleht und gebeten, ich habe ihnen zugerufen: die Rache ist Gottes, in der Hand der Menschen ist sie ein zweischneidiges Schwert; aber sie haben geschworen, geschworen auf den Leib Christi, es ist keine Lösung möglich.‘ ,Ich will auch nicht leben,‘ sagte ich, ,ich will es nicht, laß sie bald ein Ende machen, bald, recht bald, mich fesselt nichts mehr an diese Erde.‘ ‚Nichts?‘ sagte er und winkte den Brüdern, die uns einen Augenblick verließen und dann eintraten, zwischen sich einen zweijährigen, goldgelockten Knaben, einen Engel an Schönheit und Unschuld unter diesen dunkeln Gestalten.

Im Augenblick begriff ich, daß dies mein Sohn sei, und schloß das Kind in die Arme, das weinend sich schließlich meinen Liebkosungen überließ. Die Brüder gingen an ihr Geschäft und ließen den Geistlichen und den Knaben bei mir, den ich nach und nach gewann. Ich hatte jetzt für nichts mehr Sinn und Ohr, ich lebte nur in dem Knaben, ich schenkte ihm, was ich Blitzendes an mir hatte, und man ließ mich nun volle vierzehn Tage mit dem Kinde leben und thun, was ich wollte, ohne mich sehr genau zu beachten, da man gemerkt hatte, daß mich das Kind mehr fesselte, als tausend Banden.

In dieser Zeit brachte mir der Geistliche die Geschichte Nazarena’s bei, und ich glaube, daß ich mir das Gehirn an der Wand zerschmettert haben würde, wenn mich nicht mein Kind an das Leben gefesselt hätte.

Die Unglückliche war mit der gewöhnlichen Post bis an die Alpen gefahren. Da schon waren ihre Mittel so gering geworden, daß sie den rauhen Paß zu Fuß überschritten und sich eine Erkältung zugezogen hatte, die, da sie solche nicht abwarten konnte, den Todeskeim in ihren jugendlichen Körper legte. Aber sie war soweit gelangt, daß die Gewässer abwärts liefen, dem lieben Heimathlande entgegen. Als freue sich das Kind des Vaterlandes, hatte sie zum ersten Male in dieser Verlassenheit, in diesem Elende, sein Leben empfunden; da hatte sie allem an dunkler Felswand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_435.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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