verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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sich an fremde Herrschaft geschlagen etc. „und sonst mängerley ungebürlich Handlung geübt“ etc. – zu rechtem Erblehen gnädiglich verliehen. Bei näherer rechtlicher Nachforschung aber habe der von Megkaw selbst erkundet, daß eigentlich „unser und des Reichs lieber getreuer Bürgermeister und Rath der Stadt Reutlingen dasselb Dorf mit seiner Zugehörung lang Jahr und Zeit her ohn mänglichs Irrung ingehabt“ etc. etc., daher er von seiner Lehenschaft auf solche Erkundigung, auch fleißig „Fürbett“ des Erzbischofs Bertholden zu Mainz, des Cammer-Richters Eytel Friedrichen Grafen zu Zollern und der Hauptleute des Schwäbischen Bundes frei lediglich abgestanden sei etc. Somit wird schließlich das Dorf Betzingen für jetzt und alle Zeiten der Reichsstadt Reutlingen zugesprochen, in deren Besitz es auch verblieb, nachdem ihre durch den Schwäbischen Bund vorübergehend erlangte Bedeutung längst erloschen war. Die Betzinger scheinen sich jedoch nicht ganz freiwillig in die definitive Ordnung der Dinge gefügt zu haben; denn schon am 8. August 1497 findet es der Kaiser für nöthig, der Stadt Reutlingen das Strafrecht über alle und jegliche Frevel und Unzucht (Unfug) in Betzingen „Hinfür in Ewigkeit“ zu bestätigen. Der Geist der Unabhängigkeit regte sich wieder im Jahr 1652, in welchem das Dorf seinen Pfarrherrn, der Ursache zur Unzufriedenheit gegeben hatte, eigenmächtig zu verstoßen Miene machte. Im Jahr 1796 endlich – „in jenen unglücklichen Tagen, als das Heer der Franken durch eine übel verwahrte Lücke in unser Vaterland einbrach,“ wie Goethe, sagt – hatten die Betzinger den anerkennenswerthen, aber tollen Einfall, sich diesem Strome entgegen zu stellen. Nicht abgehalten durch den Schrecken und den Anblick der Menge von Flüchtlingen, die vor den Franzosen her eilten, empfingen sie eine von Tübingen auf Reutlingen ziehende Heersäule mit der Sturmglocke und warfen sich mit Flinten, Heu- und Mistgabeln auf die Vorhut, die sofort erschrocken zurückwich. Die Franzosen nahmen den Angriff sehr ernsthaft, pflanzten ihre Artillerie auf den Hügel, der hart neben der von Tübingen führenden Straße das Dorf beherrscht, schossen hinein, beschädigten Kirche und Pfarrhaus, tödteten einen Mann und verwundeten mehrere. Nun aber erhob sich das ganze Dorf und floh in die regierende Stadt, so daß Männer, Weiber und Kinder das Feld bedeckten. Dies besänftigte die Franzosen; sie griffen einzelne Nachzügler auf und ließen die Flüchtigen auffordern, getrost heimzukehren, denn es werde ihnen nichts geschehen. Und dabei verblieb es auch.
Sieben Jahre später war der Kleinstaat Reutlingen mit Einwilligung von Kaiser und Reich, welche bald genug nachfolgen sollten, aus der Reihe der Souverainetäten gestrichen, und die vormaligen Unterthanen der Reutlinger – Betzingen nebst vier andern Dörfern – standen als würtembergische Mitbürger neben ihnen. Im socialen Leben aber dauerte das alte herrschaftliche, obwohl sehr patriarchalische Verhältniß fort. Die Stadt fuhr fort, ihre Knechte und Mägde aus ihrer einstigen Landschaft zu holen, wobei Betzingen immer bevorzugt blieb, und da ihr Hauptvermögen von je in Gütern und Weinbergen bestand, so gewährte sie auch den Verheirateten Gelegenheit zum Feldtaglohn im Sommer und Herbst. Erst die neuere Zeit hat mit industriellem Aufschwung und Erhöhung des Bodenwerthes auch dem Betzinger reichere Erwerbsquellen geöffnet, deren wahrer Segen aber – Bildung aus Wohlstand – hier, wie fast überall auf dem Lande, wohl erst künftigen Geschlechtern zu Theil werden wird.
Von Max Maria v. Weber.
Schönes Wetter ist überall ein herrlich Ding, aber auf dem Meere ist es ein Lächeln von Gott, das die Creatur mit seliger Heiterkeit füllt. Und nun gar in hohen Breiten, wo auch durch die Sommerluft der Welt ein so tief melancholischer Abendton zittert und das Auge der niedrig am blaßblauen Himmel hinwandelnden Sonne wie müde sich immer nur halb erschließt! Wir spürten den Zauber des Sonnenlachens am Bord des „Prinz Gustav“ nach zehn Tagen Wellenkampfes und aus tiefgrauem Himmel herabströmenden Regens. Wir spürten ihn Alle, Jeder nach seiner Weise. Und das war verschieden genug, denn ein bunteres Völkchen kann das Meer nicht zusammenspülen, als wir auf dem achtzig Schritt langen und vierzehn Schritt breiten tüchtigen norwegischen Plankenwerke waren, das seine Eigenthümer, die Normänner, Finnen und Lappen von Nord-Trondjems-Amt und Helgelands Fogderie bis Finmarks Amt hinauf, mit eben genanntem fürstlichen Namen getauft hatten.
Die Einwohner der Felsen- und Wasserwelt weit jenseits der ultima Thule haben sich den kleinen wackern Dampfer, ein stark gezimmertes, gutes Seeboot, das lustig und wie ein Kork, aber langsam schwamm, im gut norwegischen Geduldstakt die Ruder drehend, vor fünfundzwanzig Jahren gekauft. Sie ließen die auf Tod und Leben den Klippen und der Brandung beim Plündern des Vogelnestes und beim Aufwinden des unendlichen Heringsnetzes abgerungenen Speciesthaler nach England wandern, um selbst ein Schiff zu haben, das sie, kraft ihrer eigenen That, mit der Welt in Verbindung brächte. Sie sind stolz auf das alte Schiff! Es gehört ihnen, den armen Fischern. Sie sagen: „Es war ungefähr drei Jahre, nachdem der ,Prinz Gustav’ seine Fahrten begann!“ Die Zeit wurde wichtig und palpabel für sie, seitdem ein Etwas, das an Zeit gebunden war, an ihrer Küste verkehrte. Sie lieben das unzeitgemäß gewordene Fahrzeug, es ist ihr Sohn! Ueber dreihundert Mal hat es sich durch ihre Scheeren und Klippen, von Trondjem nach Hammerfest hinaufgewunden, hat an langen Sommertagen ohne Nacht das Rauschen seiner Ruder mit dem Murmeln der Brandung und dem Donner der Katarakte gemischt, an den himmelhohen Felswänden ihrer Fjorden wiederhallen lassen, in grauenhafter Winternacht ohne Tag bei Nordlichtschein und Brandungleuchten seinen Weg durch das Klippenchaos getappt. Ueber zwanzig Mal hat man nach ihm als einem Verlornen ausgeschaut, aber er ist wiedergekommen, er ist zur See wacker wie sie selbst, er ist ein lebender Theil ihrer gigantischen Welt – sie haben ihn lieb, den kleinen niederbordigen, unsaubern, breitbrustigen, qualmenden Gesellen!
Bei allem Respecte vor diesem berechtigten Empfinden der Nordländer war uns die Unzulänglichkeit der Einrichtung und des Raumes des Schiffes bei zehn Tagen böser See und Regen oft verteufelt unbequem geworden. Auf dem mit Segeltuch kaum mannshoch überspannten Vorderdecke drängte sich, von selbst an den ödesten Haltepunkten schaarenweis zurudernden, hochschnabligen, schwanken Booten zu- und abgeführt, eine verdrossene, rauchende, tabakkauende, dunkle Masse, von Regen und Sturzseen triefend und frierend, um den von Seesalz weiß incrustirten Schornstein. Mühsam unterschied das Auge unter den Fallen und Fellen und Decken aller Art, ausgestreckt auf Kisten und Koffern in Form riesiger Schachteln, die breitschultrige, gewaltige Gestalt des Nordlandbauern neben den Gnomenfiguren der Pärchen von Seelappen, die, in buntbenähte Seehundsfelle, Mann und Weib gleich, gekleidet, Beide aus kurzen Pfeifen rauchend, eng zusammengedrängt stehend,
- ↑ Als Probe aus dem Mitte August im Verlage der „Gartenlaube“ erscheinenden „Volkskalender von Berthold Auerbach für 1865“, der auch diesmal von dem geistvollen Griffel Paul Thumann’s mit vielen trefflichen Illustrationen geschmückt wird und, außer der hier veröffentlichten Skizze, den nachstehenden reichen Inhalt hat: Zunächst ein vollständigen Kalendarium, mit Monatsbildern von W. v. Kaulbach, sodann: Der gefangene Gevatter. Eine humoristische Erzählung von Berth. Auerbach. Mit Illustrationen von Paul Thumann. – Der hundertjährige Krieg gegen die Todesstrafe. Von F. v. Holtzendorff, Professor an der Universität Berlin. – Die Rheingrenze. Eine patriotische Erzählung von Moritz Hartmann. Mit Illustrationen von Paul Thumann. – Im Dampfwagen. Humoristische Erzählung von Friedr. Gerstäcker. Die Verlobung auf dem Rigi, oder wie man durch Strumpfstopfen einen Mann bekommt. Von Berth. Auerbach. Mit Illustrationen von Paul Thumann. - Naturleben im Winter. Von Berthold Sigismund. – Die schleswig holsteinische Frage und der Nord-Ostsee-Canal. Von Wilh. Wackernagel, Mitredacteur der Nationalzeitung in Berlin. – Der Silbergraue. Eine Erzählung von Franz W. Ziegler, Verfasser des „Nondum“. – Wie sollen wir unser städtisches Wohnhaus bauen? Von Alfred Woltmann.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_441.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)