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Seite:Die Gartenlaube (1864) 442.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Beide mit gleich breiten Mäulern den Fremden angreinend, im Zweifel ließen, welches der Mann, welches das Weib sei. Dazwischen triefende, unsaubere Frauen, schreiende Kinder und rußige Maschinisten und fettige Köche und Ballen frischer Häute und getrocknete Fische und gedörrtes Fleisch, und über alledem, beim Uebersteuern jedes Fjordes, die Seekrankheit – es kam eine böse Atmosphäre unter dem Verdeckzelte hervor.

Wir waren aber auch in der Hinterdeckkajüte nicht auf Rosen gebettet. Der Salon, fünfzehn Fuß im Quadrat, niedrig, um kaum mit dem Hute darin zu stehen, kleine, trübe, mit Salz incrustirte Fenster, bei Hochsee mit Klappen geschlossen; der Schlafraum, zwölf Fuß im Geviert, mit sechszehn Kojen! Die meine hing lustig genug über den schrägen Fenstern des Sterns, ich sah, aus ihr den Kopf streckend, direct hinab in die kochende See. Wir waren vierzehn Passagiere langer Tour in den beiden Schubladen von Cabinen; oft kamen aber auch ab und an noch eben so viel Nordlandgestalten „in theer- und firnißduftenden Waterproof-Anzügen“ und gethranten Stiefeln, auf Nacht und Tag dazu. Da lagen dann Dielen und Sophas voll von Matratzen. Die Wäsche wurde Morgens bunt über Eck in eine Höhlung unter den Planken der Schlafcabine geworfen; Abends schlief der saubere englische Gentleman auf dem Tuch, in dem sich bis zum Morgen ein übelriechender Nordlandbauer gewälzt. Zwei Waschbecken hatten wir im Ganzen in der Cabine. Abends wurde geloost, in welcher Folge wir uns waschen durften. Puh! die Luft war auch hier furchtbar, wenn das Schiff kämpfte und die See an die dichtverrammelten Luken donnerte.

Das lag hinter uns! Die schräge Sonne lachte uns warm und behaglich an, die nur um Mitternacht ein Stündchen unter den Horizont tauchte. Unsere Flinten blitzten lustig unter die Schaaren tausendgestaltiger Seevögel, welche das Nahen des Schiffes aus dem bunten, weißumbrandeten Geklipp jagte, und ihr Knall kam leise wie Nixengelächter von den Wogen zurück. Die Mücken tanzten im Sonnenstrahl wie daheim, und die adlergroße, rothgeschnäbelte Weißmöve (Larus glaucus) und die schwarzgemantelte Heringsmöve (Larus fuscus) schossen hoch über der grau emporsteigenden Rauchsäule des Schiffes wie gewaltige blitzende Sterne durcheinander. Es war schönes Wetter. Heiterer Communismus machte die Reiseschätze der Gesellschaft gemein genießbar. Auf dem großen Tische unterm Zelt häufte sich ein bunter Berg deutscher, englischer, italienischer Literatur. Fernröhre, Distanzmesser glänzten da neben trefflichen Jagdgewehren und Angelgeräth; auf gewaltige, über die Planken des Decks gebreitete Karten streckte sich der junge Arthur Sykes lang auf dem Bauche, während seine Reisegefährten, Sir Victor B., ein junger reicher Edelmann, über den Natur und Glück alle ihre Gaben an Schönheit, Kraft und Reichthum ausgeschüttet, und Mr. Robert D., ein Jüngling wie eine Pantherkatze, turnend zum Entsetzen der Schiffsgesellschaft, mit einer Hand an einem Tau über der schäumenden See draußen hängend oder hoch im Spierenwerke sitzend, träumen. Auf „in Trondjem gekaufte“ , prächtige Polarbärenfelle ausgestreckt lag der liebenswürdige Amsterdamer Patrizier Herr ten Frate, den kostbaren Meerschaum schmauchend, immer behaglich heiter, nankinggekleidet in der Sonne; ich hatte mir eine Matratze auf den Radkasten geschleppt und ließ das Riesenpanorama der Nordwelt an mir vorüberwandern, oft vom Hofmeister der jungen Engländer, Mr. K, der alle Sprachen spricht und, auch unterm 65. Breitengrade in ledernen Gamaschen und Jägerhut auf dem Deck auf und abschreitend, dänische Vocabeln lernt, in barbarischem Deutsch auf Schönheiten aufmerksam gemacht.

Aber der Mittelpunkt des Lebens an unserm kleinen Bord ist eine zierliche Jolle, die hinten am Stern des Schiffes über der See hängt. Das kleine Boot ist ausgepolstert mit allem Weichen, was im Schiffe zu finden war. In ihm haust die einzige Dame, die wir am Schiffe haben. Es ist Miß Lytton’s Nest. Das junge, zierliche, muthige Mädchen, dessen wettergebräuntes, edles Gesichtchen so drollig gegen die weiße Hand absticht, auf die es den Kopf legt, indem es in einer dickleibigen Geschichte Norwegens liest, ist die Tochter des hohen englischen Geistlichen, der soeben das glänzend kahle Haupt entblößt, um sein Abendgebet zu sprechen. Er hat mit in den Norden gemußt, der arme, kleine magere Mann, weil die kühne Tochter das Eismeer sehen will!

Miß Lytton’s Nest, nicht auf grünen Zweigen, sondern von schwankem Schiff über brausenden Wellen gewiegt! Dahin wird jede Neuigkeit, wie jeder gefangene Fisch, jeder geschossene Vogel getragen! Um Miß Lytton’s Nest, in dem sie in Shawls und Mänteln weich begraben liegt, sitzt die Gesellschaft der Herren achtungsvoll plaudernd bei ihrem Toddy in heller Mitternacht. Wenn der schöne Vogel seine schwarzen Augen auf ihn richtet, turnt Sir Victor B. doppelt halsbrechend, singt Mr. D. doppelt falsch, erzählt unser prächtiger kleiner, breitschultriger Capitain mit doppelt jovialem Blinzeln seiner Falkenaugen unter dem schwarzlackirten Hute seine unglaublichsten Schnurren und Nordlandmären. „Das ewig Weibliche zieht uns hinan!“ Auch auf dem kleinen norwegischen Postdampfer auf dem rollenden Eismeer!

Es ist eine tiefernste, riesige Felsenkluft, der Ranenfjord, aus dem wir hinausdampfen. Das echte Klippenschloß von Aegir’s tückischem Weibe, der Meerkönigin Ran, mit ihren falschen, sinnberückenden Töchtern! Zehn Meilen tief im Zickzack scharf wie mit dem Beile in den Steinblock von Skandinavien gehauen, streckt er sich in’s Land. An seiner über 30,000 Fuß breiten Mündung halten rechts sieben himmelhohe, unersteigbare dunkle Felsspitzen wie sieben versteinerte Riesennonnen in schwarzen Mänteln und mit weißen Hauben, links, auf der Insel Donnaes-Oe, der dreizackig gekrönte Donnaesfjeld von rothem Granit, ein Fürst mit breit hinfließendem Purpur, die Wacht.

Dann fallen, eine halbe Tagereise lang, rechts und links fast ohne Kluft, ohne Seitenthal, fast ohne Spalt, dreitausend Fuß hohe schwarze Felswände in das dunkle luftklare Krystall der Fluth des Fjord. Wie mit weißen Marmoradern überspinnt sie netzförmig der auf langhingezogenen Vorsprüngen und in schmalen Rillen hingelagerte Schnee. Zwischen den schwarzen Felszacken quillt, blauer als der Himmel, das Eis der obenliegenden flachen Gletscher in weichen fast breiigen Formen hervor. Und von ihnen herab, zehnkirchthurmhoch, hängen die Schleier der Katarakte in’s Meer, stoßweis herabrollend, oder rasend, oder zerstiebend, oder nur in tausend Wasserfädchen über die unermeßlichen Wände herabrieselnd und doch die Chaosöde mit allen Lauten, vom leisen Plätschern bis zum sonoren Donner, unablässig füllend. Es ist ein erhabenes Bild ernster arktischer Felsennatur. Dennoch haben sich auf den Halden, die im Laufe der Jahrtausende von den ehernen Wänden herabgebröckelt sind, Hütten hier und da angesiedelt; selbst eine oder zwei Kirchlein, nach norwegischer Sitte einsam und von jeder Menschenwohnung entfernt, blinken weiß auf dem gigantischen dunkeln Hintergrunde.

Nur am Ende des Fjord, wo die brausende Ravenelf ein fruchtbares Delta von Moorland herabgeschwemmt, gegen Ost und Nord umhegt, liegt, wie eine Oase in Fels, Meer und Eis, mit Bäumen und Feld und Wiesengrün, die weithinleuchtende Kirche Mo.

Aber wenn die Kahlheit der überseeischen Welt uns drückte, da warteten wir auf die Augenblicke, wo die Ruderräder des Schiffs auf seinen zahllosen Haltpunkten die Spiegelfläche der Fjorden nicht trübten und es, regungslos mitten auf dem mächtigen Krystall ruhend, die herankommenden Boote erwartete. Dann hing aus Miß Lytton’s Nest der Kopf des schönen Vogels mit all unseren gebräunten Gesichtern über Bord. Was die schräge Sonne an Pflanzenpracht dem überseeischen Nordland versagt, das läßt die in den laulichen Gewässern des Golfstroms an diese Küsten übergeführte milde Sonnengluth des Busens von Mexico, als ein Spiegelbild des Pflanzenwuchses in den Tropen, auf dem Meeresgrunde sprießen. Das Wasser ist so klar wie Luft an diesen Felsenküsten; das Schiff schwimmt wie ein Aërostat im Aether, und die Sonne wirft seinen Schatten viele hundert Fuß tief auf den Meeresgrund. Und von diesem steigt es tausendgestaltig mit Wurzeln, Fäden, Stämmen und Ranken empor und breitet in der nie gestörten Ruhe dieses Krystalls Palmenkronen und Akaziengezweig und Lianenranken und dazwischen geheimnißvolle Netzwerke und unendlich lange knötchenreiche Fäden und langherabhängende grüne harte Schleier und faltige curiose Häute und tausendfingeriges Gezweig und Moosgefaser aus, ein Urwald, zehnmal höher als der höchste Palmenschaft. Und zwischen durch huschen breite blinkende Schollen und pfeilschnelle Delphine und schlängliche Seeaale und treiben athmend halbdurchsichtige purpurne und himmelblaue Quallen langsam dahin, und auf den Riesenblättern krabbeln Krabben und hängen Muscheln und langarmige Faserthiere – alles schweigend – Du hängst über der ungeahnten Märchenwelt, die Dich magisch umspinnt, thurmhoch über den Kronen des Urwaldes – da schlägt zehn Schritte vom Schiffe ein gewaltiger Seeadler nach einem Lachse in die Fluth – die Unterwelt verschwindet in den glänzend gekräuselten Wellen und

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_442.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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