verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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wir schauen dem Fürsten der Bucht nach, der, mit den langen Schwingen klatschend auf die Fluth schlagend, tausend Perlen aus dem Gefieder stiebend, sich mit dem zappelnden Fische zu dem Weibchen erhebt, das krächzend auf ruhig gebreiteten Flügeln im blaßblauen Himmel schwebt und, von der Nachtsonne roth angeglüht, mit ihm im dunkeln Geklüft verschwindet.
Wir dampfen aus dem Ranenfjord hinaus zwischen den großen, zackige schneebekrönte Felsspitzen in die Wolken hebenden Scheereninseln Tommenoe, Kobberoe und Alstenoe und den eigentlichen Scheeren hindurch. Die Scheerenwelt ist ein heitres Wunder in Südnorwegen, das Chaos im Nordland. Dort reihen sich Perlenschnuren, kühngezeichnete Inseln, von der Größe eines kleinen Fürstenthums an bis zum wenig Schritte im Umkreise haltenden Fels, am stolzen Gebirgsufer hin. Und jede der größeren Inseln gleicht einem herrlichen Park mit sammetigem Rasen und hohem unbeschreiblich grünem Forst und von den edelerhabenen Bergspitzen weiß herabschäumenden Bächen, freundlichen Häusern und malerisch gekleideten Insulanern, deren Tracht, besonders in der Gegend von Resendel am Hardangerfjord, durch Reiz der Farbe und der Form die Gegend lieblich heiter staffirt. Die kleineren Inseln und Klippen aber, bis weit hinaus in den Ocean, so weit das Auge reicht, decken, wenn sie die Fluth nicht überspült, mit zauberischem Farbenschmelz goldner Ginster und rothes Haidekraut und purpurne Steinnelken und dichte Polster von Veilchen, so daß die aus dem tiefblauen Meer aufschäumende Brandung ihren Gischt wie weiße Federn zwischen Blumensträußen aufsprüht.
Aber im Nordland sind die Scheereninseln dem Ufer zunächst kahle riesige Felsenbollwerke mit Schnee und kleinen Gletschern in den Rillen, und immer niederer und niederer, aber auch immer trostloser, zerspaltener, abgewaschener, durch immer breitere Wasserarme getrennt, baut sich von ihnen aus ein Netzwerk einsamer nur von Robben und Seegevögel bewohnter Klippen in das rollende Eismeer hinaus. Die letzten dieser unheimlichen Felsen heben sich, flach und blank gespült, nur wie riesige Fischrücken oder blanke Kuppeln aus den durcheinander kochenden Brandungen, ja jenseits der sichtbaren Riffe kündet oft mitten aus dem Meere haushoch aufsprühender Brandungsgischt, daß das Felsenchaos noch weit, weit hinaus tückisch unter dem Wasserspiegel hin seine schroffen Gebirge schiebe.
Durch den Traenfjord steuert das Schiff hinaus nach der hohen See. „Jetzt werden Sie das Eismeer in seiner ruhigen Majestät sehen!“ sagt der Capitain und deutet nach dem Ocean hinaus, dessen ruhige Spiegelfläche im Orangegelb der im Norden tiefniedergehenden Sonne zu glühen beginnt und doch von den kahlen Klippenreihen gewaltigen Brandungsdonner hereinsendet. Wie ein traumhaft neckisches Spiel der Phantasie verschwinden vor unsern Augen ganze Reihen Riffe, die vor einer Minute zehn und zwanzig Fuß aus dem Meere ragten, um in gleicher Weise nach gleicher Zeit wieder aufzutauchen. „Das große Eismeer athmet Ruhe,“ sagt Capitain Knapp unser Erstaunen sehend. „Was vielleicht hundert Meilen entfernt Sturmeswoge war, kommt hier als glatte, meilenlange, kolossale, aber sanfte Schwellung an. Da! da! jetzt werden Sie sie fühlen!“ Das Schiff bog aus den Felsen hinaus – zwischen denen ein Wasserberg von einer gigantischen Größe, wie ich nie eine Meereswoge sah, hereinrollte. Das Herz stand uns still, unwillkürlich griff jede Hand nach Bollwerk oder Tau – aber sanft, fast ohne das Schiff schwanken zu machen, hob es der Wasserkoloß empor. Es stieg und stieg – neigte sich dann leicht nach vorn und glitt wie von einem Gletscher in die Tiefe – und die Scheeren hinter uns hüllten sich in Brandungsgischt und Donner – unsere Nußschale aber trug, sanft gehoben und gesenkt, wie auf der Brust eines schlafenden Weltriesen, das gewaltige Eismeer mit seinen unermeßlichen Wellenrücken nach Norden.
Die Sonne lag tief, es war fast Mitternacht, wie ein blutrother Ball am Horizonte. In mattgoldenem Nebel verschmolz dieser mit dem Meere, das sich durch Wellenthal und Wellenkamm mit unermeßlichen dunkelblauen und goldenen Linien schattirte, über die, gerade auf uns zu, ein purpurner Strahl von der Sonnenscheibe über die Wogenkronen hinzitterte. Gegen das blasse Gold und den tiefen Purpur des großen Bildes hoben sich dunkel und drastisch, Geschütz-Qualmwolken gleich, die thurmhoch von unterseeischen Klippen aufsprühenden Schaumgarben der Brandung oder hier und da, wie zarte Dampfbüschel, leicht verwehend, die Blasestrahlen der Wallfische empor, die oft an uns vorüber den Häringszügen entgegenwanderten, häufig ganz in der Nähe des Schiffs ihre gigantischen Körper wie grünglänzende bemooste Klippen aus der Fluth reckten und in diesen Breiten oft zu zehn und zwölf zugleich ihre Dampfwolken über die unermeßliche Meeresfläche emporsprühten.
Geblendet schauten wir auf die ernste, große Scenerie der „Stirne der Erde“; da trat Capitain Knapp an uns heran: „Ich zeigte Ihnen auf Lekoe den 1000 Fuß langen Steinspieß des Riesenreiters, den er durch den Fels Torgattan hindurch nach der Asajungfrau, die ihn verschmähte, warf. Dort sitzt er selbst, seine Schuld zu sühnen, als Wächter des Polarkreises, den wir eben passiren.“ Wir wandten uns um, und weit draußen im Meere hielt, von der purpurnen Brandung umgürtet, einsam in der Fluth des Eismeeres, 2000 Fuß hoch, die Felsengestalt eines riesigen Reiters! Der Mantel, mit Schnee bedeckt, fällt vom Haupte in gigantischen Falten über die Croupe des Pferdes, das den Kopf in stolzer Ruhe angezogen hält. Der Reiter aber richtet das Haupt, das ein Doppelantlitz trägt, hoch empor. Ernst blickt er mit dem einen hinaus auf das feindliche Meer, mit dem andern freundlich nach der Küste des geliebten Nordlands.
Das erschütternd gespenstische, riesengroße Bild ragte wie aus glühendem Eisen gegossen, und dahinter malte die Mitternachtsonne auf einem fernhinziehenden Regenschauer ein Stück Regenbogen, von dem nur der Purpurstreif sichtbar war. In tiefem Violett schimmerten im Ost die meilenlangen Schneebränen (Gletscher) von Meloe Fjerding und die Zackenkronen des Oxfind.
„Grad über das Haupt des Gespenstes geht der Polarkreis,“ sagte Knapp. „Sehen Sie, die Sonne steigt wieder, es ist Mitternacht vorüber.“
Schweigend hingen unsere jungen Engländer in dem leise wankenden Spierenwerk des Schiffes, lag der schöne Vogel in seinem Nest, schweigend blickten wir in das schnell seine tiefen Purpurtöne wieder mit goldenen Lichtern durchwebende Mitternachtsonnenbild hinaus.
Was soll aus unseren Ammenmärchen werden, aus den lieblichen Feengeschichten und dem „schwarzen Mann“, mit dem man deutsche Kinder, bald nachdem die Säuglingschaft ein überwundener Standpunkt geworden ist, in Schlummer zu schrecken sucht? Was soll aus alle dem werden, wenn die Kunst, „das Gruseln zu lernen“, so über alle Maßen erschwert wird, wie in unseren Tagen der Fall? Während alte Matronen und selbst denkende Leute mitunter noch an die Möglichkeit glauben, daß Kirchhöfe die Gespenster des verstorbenen Publicums herausgeben, sind zwölfjährige Bübchen so verwegen, – wenigstens in London – dies Alles für Sinnestäuschung und optische Spiegelungen zu erklären. Professor Pepper, der Gespensterfabrikant, hat ihnen das ja haarklein vordemonstrirt.
Der Gespensterfabrikant? Wer ist das kühne Individuum, das sich einer so unerhörten, so ungeheuerlichen Kunst befleißigt? so fragt, befremdet und verdutzt, sicher der eine und der andere unserer Leser.
Augenblicklich einer der Löwen des Tages in der Riesenhauptstadt des großbritannischen Reiches, antworten wir, wie es daselbst zu anderer Zeit die Sonntag oder Fürst Pückler-Muskau, der Kölner Männergesangverein oder Garibaldi, der Rossezähmer Rarey oder die Prinzessin von Wales, „die Rose von Dänemark“, gewesen sind.
Ursprünglich war der gegenwärtige Londoner Wundermann seines Zeichens ein hoffnungsvoller Jünger der ehrsamen Apothekerzunft, der sich, höheren Dranges voll, später auf das Studium der Optik verlegte und namentlich dem Geheimnisse der Spiegelungen nachspürte, welche nach den Gesetzen dieser Wissenschaft hervorgebracht werden können. Ein echter Sohn Albions erkannte
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_443.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)