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Seite:Die Gartenlaube (1864) 457.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

einst eine locale Überschwemmung, welche durch das Platzen der Wasserleitungsröhren entstand und aus einem in der Alexanderstraße befindlichen Verbrecherkeller den wirthlichen Hehler und seine verborgenen Gäste gleich nassen Mäusen an’s Tageslicht und in die Hände der darüber selbst erstaunten Polizei trieb. Merkwürdig ist die Anhänglichkeit, welche die Verbrecherdirnen zu dem Gegenstand ihrer Neigung entwickeln. Sie greifen zu allen möglichen Mitteln, bringen jedes Opfer, um mit ihrem Geliebten in Verkehr zu treten, wenn er „Unglück hat“ und in Untersuchungshaft geräth; sie nehmen vor der Abführung der Verurtheilten im Gefängnißhof den rührendsten Abschied, sie berechnen Tag und Stunde, wenn derselbe seine Strafe überstanden hat, und wallen an den Ort seiner Haft, um ihm bei seiner Freiheit die offene Hand und in derselben die mühsam ersparten Pfennige entgegenzubringen. Wehe dem Unglücklichen aber, wenn er sich dieser Opfer unwürdig macht, wenn er Grund zur Eifersucht giebt! Aus der heiß Liebenden wird eine rachsüchtige Megäre, welche zuerst die tiefsten Geheimnisse des Verbrechers der Polizei offenbart. Gewiegte Criminal-Commissäre benutzen diese erfahrungsmäßige Leidenschaft, lassen dieselbe auf geschickte Weise durch schlaue Vigilanten zur hellen Flamme anfachen, um sich da Licht zu schaffen, wohin sonst kein Späherauge eindringen kann.

Aehnliche Anstalten, wie die „Kitzelpelle“, sind der „Todtschlag“, ein düsteres Local in der Ackerstraße, zu welchem man über einen langen Hof gelangt. Der „Todtschlag“ hat auch sein eigenes Liebhabertheater, und die Künstler nehmen es sehr übel, wenn ihren Leistungen nicht die gehörige Aufmerksamkeit gewidmet wird, ja vorlaute Unterbrechungen werden von dem Darsteller oder der Darstellerin sogleich mit einem sehr empfindlichen „Ich verbitte mir dergleichen“ gerügt. Die „Linde“ vor dem Cottbusser Thore hat ihr Spitzbubenpublicum verloren und wird, seit die Säle umgebaut und vergrößert worden, nur von Handwerkern besucht. Der „Schmortopf“ vor dem Stralauer Thor, ein furchtbar heißer kleiner Tanzsaal im ersten Stockwerk, wird meistens von Schiffern, Holzarbeitern und nur sporadisch von Personen frequentirt, die schon über irgend einen Paragraphen des Criminalgesetzbuches gestolpert sind.

Die Berliner Criminal-Commissäre sind schon so vertraut mit der Art und Weise, in welcher berüchtigte Verbrecher bei ihren Manipulationen vorzugehen pflegen, daß sie aus der Art und Weise der letzteren die Personen errathen, welche bei Hauptanschlägen beschäftigt waren. Vor längerer Zeit setzten z. B. einige mit beispielloser Frechheit ausgeführte Einbrüche die Geschäftswelt der Residenz in Angst und Schrecken. So wurden in der Brüderstraße bei dem Seidenwaarenfabrikanten Magnus für zehntausend Thaler Stoffe gestohlen, bei einem Eisenhändler in der Friedrichsstraße ward das Geschäftslocal gewaltsam eröffnet und die schwere eiserne Geldspinde, worin sich ungefähr zweitausend Thaler befanden, ganz ungescheut auf einen Handwagen gepackt und weggeführt. Wenige Tage darauf fand man diesen eisernen Schrank auf dem Köpnicker Felde, seines Inhaltes beraubt, mit einem kreisrunden, künstlich eingeschnittenen Loche in der Thür. Hierdurch wurde der Verdacht der Mitbetheiligung auf einen viel bestraften flüchtigen Dieb, den Kunstschlosser Arnold, gelenkt, auf welchen jedoch die Polizei lange Zeit vergebens fahndete. Neun Einbrüche wurden in ganz kurzen Zwischenräumen mit gleicher Frechheit vollzogen; diese ging soweit, daß die Diebe zweitausend Thaler Wertpapiere, welche sie bei einem Gärtner in der Commandantenstraße gestohlen hatten und nicht unterbringen konnten, unter Couvert per Post an den Criminal-Commissarius Pick zurücksandten. Die amtlichen Recherchen ergaben, daß alle diese Einbrüche mit denselben Werkzeugen, in gleicher Weise verübt worden waren, ja man fand sogar nach einem dieser Einbrüche ein von den Gaunern zurückgelassenes Feuerzeug, welches einige Tage vorher bei Ausübung eines ähnlichen Verbrechens an einem anderen Orte gestohlen worden war. Da hinterbrachte ein Vigilant die Anzeige, daß in einem Blumenkeller in der Alexanderstraße sich verdächtiges Treiben offenbare. Der Eigenthümer, ein gewisser in der Hehlerwelt bekannter Liebscher, wurde in aller Stille aufgehoben, und bei einer Untersuchung der Wohnung fand man nicht nur viele Spuren offenbar gestohlenen Gutes, sondern auch, als Hauptbelastungsbeweis, das aus der Geldspinde des Eisenhändlers Renne ausgeschnittene kreisrunde Stück.

Nun wurde, wie es in der Kunstsprache heißt, „die Klappe aufgemacht“. Sobald die Criminalpolizei sich von der Schuld des Hehlers, einer längst berüchtigten Persönlichkeit, überzeugt hatte, wurde derselbe in Gewahrsam gebracht und in dessen Wohnung einige Beamte in Civilkleidung verborgen. Einer derselben übernahm das Amt des Verkäufers, gab sich bei den „alten Kunden“ des Hauses für einen Verwandten des „Vater Liebscher“ aus, der in Geschäftsangelegenheiten verreist sei, ihm aber ausreichendste Fonds und Vollmachten hinterlassen hätte. In kurzer Zeit waren in dieser Falle nicht nur eine ganze Reihe und zwar zweiundneunzig der bekanntesten Diebe Berlins, welche das gestohlene Gut zu verwerthen kamen, gefangen, sondern auch die unzweifelhaftesten Spuren einer weitverzweigten Einbruchsbande entdeckt, welche seit längerer Zeit die bemittelte Classe der Residenz in Angst und Schrecken gesetzt hatte.

Einmal im Besitze so starker Handhaben, war es den gewiegten Beamten leicht, die ganze Einbruchsbande in die Hände zu bekommen. Diese bestand, inclusive der Hehler, aus fünfzehn Personen, welche sich an den gedachten neun großen Einbrüchen betheiligt hatten. Fast alle Mitglieder dieser Genossenschaft wurden bei ihrer Verhaftung im Besitze scharfer Stichwaffen und geladener Pistolen gesfunden. Die geraubten Gelder, so weit selbe noch vorräthig waren, wurden in den verschiedensten Verstecken aufgefunden, in Vogelbauern, unter Spielkarten, in der Erde der Blumentöpfe etc. Die meisten der Verbrecher gehörten dem feineren Mittelstande an und bekundeten dies durch die Eleganz ihrer Ausdrucksweise in den Verhören und auf der Anklagebank, bei welcher freilich manchmal auch viel Verschrobenheit und Afterbildung hörbar wurde. Als der Criminal-Commissär Pick – einer der tüchtigsten Beamten der hiesigen Sicherheitspolizei – u. A. den erwähnten Schlosser Arnold frug, warum er bei seinen Fähigkeiten nicht auf ehrliche Weise sein Brod verdienen wolle, entgegnete er ihm: „Ich stehe mit der Welt im Kriege und habe das Recht, zu nehmen, was ich bekommen kann, denn schon Moses sagte beim Auszug nach Canaan: ,Nehmt Alles, was den Ungläubigen gehört.“ Auf die Frage, wie er es angestellt habe, das kreisrunde Loch aus dem eisernen Spinde herauszuschneiden, antwortete das Diebsgenie mit Stolz: „Archimedes schon machte sich anheischig, die Welt aus ihren Angeln zu heben, wenn man ihm einen festen Punkt gebe.“

Wenn je das Sprüchwort: „Wie gewonnen, so zerronnen“, seine richtige Anwendung findet, so ist es bei diesem Gelichter. Nach den angestellten Ermittelungen hatten die Gauner das gestohlene Gut auf die tollste Weise verschwendet und zwar durchgehends mit den Damen ihrer Herzensneigung, welche alle der Demi-monde angehörten. Einer der Diebe jener Bande verschleuderte z. B. an einem Tage über tausend Thaler; unter anderen Gegenständen zarter Aufmerksamkeit hatte er seiner Geliebten zwei falsche Haarzöpfe für achtundzwanzig Thaler gekauft.

Das Drama hatte kaum mit der Verurtheilung aller Betheiligten geendet und die Gemüther etwas beruhigt, als neue ununterbrochen stattfindende Einbrüche neues Entsetzen verbreiteten. Diesmal hatten sich die Gauner die am Thiergarten gelegenen vornehmen Straßen zum Schauplatz ihrer Thätigkeit ausersehen. Die Physiognomie der letzteren war stets dieselbe: Uebersteigen der Balcons und Ausschneiden der Thürenfüllungen. Endlich wurde indeß auch diese saubere Sippschaft in einem Weinlocale in der Friedrichsgracht bei dem Hochzeitsfeste eines Spießgesellen überrascht, wo die Bande bereits für 125 Thaler Wein verzehrt hatte. Sämmtliche Gäste dieses Freudenfestes hatten zusammen eine Zuchthausstrafe von 300 Jahren theils hinter sich, theils waren sie dem auf ihre Personen kommenden Antheil durch Flucht aus dem Wege gegangen.[1] Unterstandslose Diebe treiben sich in der Nacht im Thiergarten und zwischen dem Landsberger- und Königsthor herum. Der


  1. Die Verbrecher gegen das Eigenthum zerfallen in verschiedene Abtheilungen, von denen keine der anderen in’s Handwerk greift. Die gefährlichste Sorte derselben, die Einbrecher, bilden die Aristokratie des Standes und befassen sich nie mit Taschen- oder Nachschlüsseldiebstählen. Zufallsgänger heißen in der Diebssprache die Gauner, welche eben ohne Plan und Vorausbeschluß das nehmen, was ihnen der Zufall in die Hände spielt; Kittenschieber sehen es auf Silberzeug in den unbewachten Küchen ab; der Flatterfahrer besucht die Böden, nach Wäsche fahndend; der Schlafstubendieb sucht den Bewohner entweder im Schlafe auf, um, dessen Ueberraschung benutzend, schnell Uhr und Börse an sich zu reißen, oder, sich mit irgend einer Frage um beliebige Auskunft eindrängend, die Gelegenheit zu einem Fang zu erspähen; die unterste Sorte, die Blamdiebe, scheuen sich nicht, sich wegen eines Gewinnes von einigen Groschen zu blamiren – kurz, Jeder hat seinen streng abgezweigten Geschäftskreis im Diebeshaushalte.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_457.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
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