verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
|
No. 7. | 1865. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
Wer in den letzten Jahren Nordschleswig bereist hat und die
Insel Sylt durchstreifte, dem wird ein einsam liegendes Haus aufgefallen
sein, das sich nicht allein durch seinen Baustyl vor den
andern Häusern der Insel auszeichnet, sondern auch durch seine
Umgebung, den Garten und die darangrenzende kleine Parkanlage
sich als etwas Besonderes, etwas Anderes kundgiebt, als man auf
Sylt und den friesischen Eilanden überhaupt zu sehen gewöhnt ist.
Jenes Haus, das „Haus der Gestrandeten“, wie das ursprünglich namenlose Gehöft einst auf der Insel genannt wurde, das jetzt so öd und verlassen inmitten der farbenreichen Hügelketten der wunderbar geformten Meeresdüne dasteht, zeigte sich vor zehn Jahren noch als kein so stiller, kein so verwilderter Ort. Eine von Menschen bewohnte, durch die verschiedensten Gestalten belebte Stätte, deren ganze Umgebung gehegt und wohlgepflegt war, zeugte es dazumal nicht nur von ordnender Hand und einem gebildeten Sinn, der geschmackvoll das vorhandene Material zu benutzen verstanden hatte, – nein, es verrieth dem denkenden Geiste hinlänglich, daß hier die Macht des Goldes in Schranken getreten war mit der Macht wilder Naturgewalten, die sich vielleicht nirgend so fessellos zeigen, wie auf diesem von Stürmen umbrausten Eiland der Nordsee.
Der dunkle Kranz der Erlen und Rüstern, die das Haus umgeben und sich so effectvoll vom schimmernden Hintergrund der weißzackigen Düne abheben, machte zwar immer einen etwas ernsten, vielleicht melancholischen Eindruck; doch das an den Fenstern und der offenen Veranda mit Blumen und Schlinggewächsen aller Art reich verzierte Gebäude, der bunte seltene Blumenflor des davorliegenden Gartens, die sauber gehaltenen Kieswege, das gastlich geöffnete Thor mit seinem durch Dunkel und Nacht stets hell strahlenden Licht im darüber erbauten Thürmchen – das Alles gab einst dem einsamen Hause Leben und freundlich, wohnliches Ansehen.
Jetzt sind Fenster und Thüren mit Läden fest verwahrt, der Garten ist verwildert, die Wege sind mit Unkraut überwuchert, an den dürren Rosenstöcken rankt sich hie und da eine wilde Schlingpflanze empor, wie wenn sie das vorschreitende Werk der Zerstörung verhüllen wolle, Seevögel machen kreischend Rast auf dem Giebel, dessen Schornsteinen kein Rauch mehr entsteigt, und Schaaren von Möven ziehen mit leisem Flügelschlag hin über das verödete Gebiet; das Thor des Gartens, durch welches kein Mensch mehr schreitet, ist ewig geschlossen und längst auch erloschen das Licht, das einst als freundlicher Leitstern dem Küstenfahrer geleuchtet. Trostlos ist’s namentlich anzusehen im Herbst, wenn der Sturm die schwanken Zweige der Erlen beugt und bricht, die gelben Blätter der Rüstern über den verwilderten Garten treibt, an den geschlossenen Läden rüttelt, wie wenn er sie jetzt endlich wieder öffnen wolle, und mit dem wilden Windsgeheul sich das laute Brausen der gegen die nahe Küste brandenden See eint und in ersterbenden Lauten und Klängen über das verödete Gebiet dahinzieht.
So jetzt! – einst anders. – –
Noch nicht volle zehn Jahre sind’s, da trat aus der Thür des Gartens eine kleine fröhliche Gesellschaft und schlug den Weg nach den Dünen ein. Sie bestand aus einigen jungen Mädchen, der Tochter des Hauses und ihren vier Freundinnen. Letztere waren Eingeborene der Insel, drei der Mädchen Kinder von Schiffscapitainen, die Vierte die Tochter eines sogenannten Deichgrafen, die von ihren Gefährtinnen nach der Stellung ihres Vaters den hochtönenden Titel „Deichgräfin“ erhalten hatte und vermöge ihres schönen, stolzen Aeußern demselben auch alle Ehre machte.
Zwischen diesen fünf Mädchen bewegte sich die elegante aristokratische Gestalt eines jungen Officiers mit ebensoviel Grazie wie Leichtigkeit. Er trug die Uniform eines schwedischen Gardeinfanterie-Regiments, hieß Baron Oscar Fordenskiöld und war in Kleidung und Manieren ein vollkommener Cavalier. Unter Scherz und fröhlichem Lachen suchte er den Platz an der Seite des Mädchens zu behaupten, welches unstreitig die Krone des kleinen Kreises war, ein Platz, der ihm voll Schelmerei und Muthwillen bald von den Seemannstöchtern, bald von der schönen Deichgräfin streitig gemacht wurde, wenn auch von dieser, wie es schien, mit nicht so harmlosem Sinn, wie von den Andern.
In ihrer lauten Fröhlichkeit bot die Gruppe ein hübsches Bild glücklicher Jugend. Sie gewann jedoch an Leben und Reiz, wenn „schön Ingeborg“, wie man das Fräulein des Hauses nannte, mit gewandter Bewegung und hellem Lachen dem jungen Officier entglitt, dann im schnellsten Lauf davoneilte und, wieder eingefangen, mit glücklichem Lächeln und heißem Erröthen eine Secunde lang in seinen Armen ruhte. Nicht mit Unrecht hieß Ingeborg Fordenskiöld, „schön Ingeborg“. Sie war eine reizende Erscheinung, anziehend und fesselnd, und stand in der ersten zarten Blüthe der Jugend; denn heute, am Tage ihrer öffentlichen Verlobung mit Oscar Fordenskiöld, ihrem Vetter, war zugleich ihr siebenzehnter Geburtstag.
Des Mädchens leichte, schlanke Gestalt erhob sich nur wenig
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_097.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2022)