verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
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dichtem Schleier, ist daneben, wie auch später, nothwendig. Tragen die Kinder erst lange Kleider, so sind gestrickte wollene Strümpfchen und Schuhchen nicht wohl zu entbehren, da beim Sitzen auf dem Arme der Wärterin die Röcke und Kleider durch die Füßchen der Kinder selbst verhindert werden, unten genau zu schließen. Bei irgend windigem und kälterem Wetter ist es sehr zweckmäßig, das wollene Unterröckchen unterhalb der Hüfte zusammenzubinden, wodurch die Kinder vor jeder Zugluft geschützt sind, ohne in den Bewegungen ihrer Beinchen allzusehr beengt zu werden. Jedenfalls überzeuge sich die Mutter immer selbst, ehe der Ausgang beginnt, ob die Kleidung in Ordnung ist und ob die natürlichen Bedürfnisse des Kindes befriedigt sind, damit Durchnässung vermieden werde, die am allerleichtesten zur Erkältung führt, – und beim Nachhausekommen, ob das Kind überall warm und trocken ist.
Bei solcher Vorsicht wird man selten anders als bei sehr stürmischem und regnerischem Wetter oder strenger Kälte nöthig haben, die so wohlthätigen täglichen Spaziergänge zu unterbrechen. Gewöhnung an die Luft ist das beste Abhärtungsmittel. Ist aber ein Kind einmal unwohl, so wird es meistens besser zu Hause gehalten, denn dadurch, daß man mit einem kranken Körper von Neuem den krankmachenden Einflüssen trotzt, wird keine Abhärtung erzielt. Solche ist vielmehr, wie die Gewöhnung, nur dann zu erreichen, wenn die Wirkungen des einzelnen schädlichen Einflusses, sei dies nun Kälte oder was sonst immer, vollständig überwunden sind, ehe ein gleicher oder ähnlicher Einfluß wieder einwirkt. Sonst häufen sich die nachtheiligen Einflüsse oder die Anforderungen zur Ueberwindung derselben in rascherem Maße, als die Gegenwirkungen des Organismus jene auszugleichen und letzteren zu entsprechen vermögen, und dann ist nicht Abhärtung, sondern Schwäche und Gesundheitsstörung die Folge. Mit solchen grundverkehrten Abhärtungsversuchen, denen gar viele Erwachsene zu ihrem größten Schaden huldigen, ist es gerade so, als ob man durch unausgesetzte Arbeit suchen wollte stark zu werden, da doch Jedermann weiß, daß Arbeit nur dann stärkt, wenn sie in angemessener Weise mit Ruhe wechselt, damit der Körper neue Kräfte bereiten und sammeln kann. Wenn die Mutter zweifelhaft wird – und jede Veränderung in dem mit aufmerksamem Auge verfolgten Wesen und Gebahren der Kleinen muß sie zweifelhaft machen – sei sie lieber zu vorsichtig, als zu dreist, warte ab und frage einen verständigen Arzt um Rath. Denn bei Kindern kommt es, je jünger sie sind, destomehr darauf an, Krankheiten zu verhüten oder in ihren Keimen und Anfängen zu bekämpfen. Wie unendlich oft muß der Arzt, wenn er es auch den jammernden Eltern nicht zu gestehen wagt, sich selbst sagen, daß seine Bemühungen nur deswegen keine Hülfe bringen, weil sie zu spät kommen!
Falsch ist es also, die Kinder unter allen Umständen in’s Freie zu schicken. Ein Schnupfen oder Husten vergeht in der Regel leicht in gleichmäßig warmer Luft, während kalte Luft ihn immer von Neuem anregt, wodurch die Athmungswerkzeuge leicht bleibenden Schaden nehmen und bei Kindern jedenfalls in ihrer Entwicklung zurückgehalten werden. Aber gesunde Kinder müssen, warm gekleidet und vorsichtig behandelt, hinaus, um sich an die Luft zu gewöhnen und ihre wohlthätigen Einflüsse zu erfahren. Schutz gegen die Witterung ist für kleine Kinder viel leichter und vollständiger zu beschaffen, als für etwas größere, besonders im zweiten und dritten Lebensjahre, wo die Kinder zu schwer und zu ungeduldig sind, um sich tragen zu lassen, aber noch nicht kräftig genug, um sich bei kälterer Witterung durch eigene Bewegung gehörig zu erwärmen, noch auch so dichte Kleidung zu tragen, daß die Abkühlung nicht hindurchwirkt. Für dies Lebensalter ist es oft nothwendig, statt des Spazierganges im Freien, die Kinder warm angezogen in einem ungeheizten Zimmer oder einem andern trocknen und zugfreien Raume spielen zu lassen. Aufsicht ist aber um so mehr nöthig, weil kleinere Kinder, sobald sie anfangen zu frieren, sich erst recht keine Bewegung machen, sondern stillstehen oder sich hinkauern. Erst vom fünften oder sechsten Lebensjahre an haben sie Verstand und Kräfte genug, um sich, zum Spielen und Laufen angeregt, selbstständig der Kälte zu erwehren.
Zum Schluß noch ein Wort über die Kopfbedeckung. So
verkehrt es ist, den Kindern ihren Kopf übermäßig warm zu halten
oder immer gar zu ängstlich einzubündeln, so gefährlich ist
es, ihn ohne Schutz der Kälte auszusetzen. So lange er noch
nicht von Haaren bedeckt ist, welche die durch Wärmeausstrahlung
vor sich gehende Abkühlung des Kopfes verhindern, ist auch im
Zimmer ein leichtes Häubchen nothwendig. Der Kopf mit seinem
werthvollen Inhalt ist bei kleinen Kindern sehr empfindlich gegen
Kälte und Zugluft, und ein Schnupfen ist noch die leichteste, obwohl
bei ganz kleinen Kindern keineswegs ungefährliche Folge der
Unvorsichtigkeit in dieser Beziehung. Abhärtungsversuche möchten
aber leicht dem Gehirn mehr Schaden zufügen, als auf der andern
Seite Nutzen gewonnen wird. Eine so warme Einhüllung, daß
dadurch alle Ausdünstung verhindert und der Kopf erhitzt und zum
Schwitzen gebracht wird, ist aber ebenfalls nachtheilig, und wo
bei Kindern Neigung zum Schwitzen am Kopfe vorhanden ist, mag
man diesen lieber etwas zu kühl als zu warm halten, außerdem
aber durch Waschungen mit kühlem Wasser oder mit sehr verdünntem
Branntwein jener unangenehmen und gefährlichen Neigung
entgegenwirken.
Eine Bettler-Hochzeit. Auf meinen unzähligen Kreuz- und Querzügen durch Paris habe ich die mannigfachsten und seltsamsten Bekanntschaften gemacht, namentlich zähle ich unter den verschiedenen Straßenkünstlern aller Art, an denen Paris so unglaublich reich ist, eine große Menge von Freunden und Anhängern. Ich habe für diese armen Teufel stets eine gewisse zärtliche Schwäche gehegt; je demüthiger und bescheidener sie sind, desto mehr erwecken sie meine Theilnahme, je zerlumpter und verhungerter sie aussehen, desto weniger kann ich ihnen den bescheidenen Tribut versagen, den sie von meinem Geldbeutel erhoffen.
Einer meiner besondern Freunde dieser Kategorie war ein noch ziemlich junger Mann mit blos einem Arme, dessen Geschäft darin bestand, dem Publicum einen dressirten Hasen vorzuführen. Gewöhnlich war die Garderobe meines Schützlings nichts weniger als luxuriös; eines Tages aber hatte er sich prächtig herausgeputzt und strahlte vor Vergnügen. Seine neue, frischlackirte Sonntagsmütze glänzte auf seinem Haupte; sein Kinn versteckte sich zwischen zwei ungeheuren blendend weißen Vatermördern; ein unerhörter Luxus, den ich noch nie bei ihm wahrgenommen hatte, eine hochrothe Cravatte mit einer Riesenschleife, schlang sich kokett um seinen Hals, und eine ganz neue, weiße und sehr faltenreiche Blouse trug zur Vollendung des ganzen Anzuges vortheilhaft bei. Als er meiner ansichtig wurde, zwinkerte er mir zutraulich mit den Augen zu, und sobald er seine Hasenproduction beendet hatte, winkte er mich zu sich heran und flüsterte mir in’s Ohr: „Sie sind immer gut und theilnehmend für mich gewesen und ich habe schon längst gewünscht, Ihnen meine Erkenntlichkeit bethätigen zu können; heute bietet sich eine Gelegenheit, ich will Ihnen Etwas zeigen, was Sie vermuthlich in Ihrem Leben noch nicht gesehen haben und gewiß auch so bald nicht wieder sehen werden.“
„Und das wäre?“ fragte ich neugierig.
„Eine Bettlerhochzeit!“ entgegnete er triumphirend. „Der Bettler von St. Sulpice ist einer meiner Bekannten; ich kann eigentlich diese häßliche Race von Müßiggängern durchaus nicht leiden, aber man darf es nicht mit ihnen verderben. Heute heirathet der Glückspilz und hat mich zu seiner Hochzeit eingeladen; wenn Sie wollen, können Sie mich begleiten, ich führe Sie ein und verspreche Ihnen, daß Sie sonderbare Dinge sehen und hören werden.“
Schlag zwei Uhr fand ich mich am Haupteingange der Kirche von St. Sulpice ein, wo Monsieur Aristide, – so heißt Freund Hasenbändiger – zuverlässig und pünktlich wie immer, mich bereits erwartete. Paris ist eine sehr große Stadt, das weiß die ganze Welt. Wie in allen großen Städten, fehlt es denn auch hier nicht an Bettlern aller Art und aller Gestalt, die auf jede erdenkliche und mögliche Weise Theilnahme, Mitleiden und Almosen zu erhaschen suchen. Um jedoch der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich sagen, daß man in Paris verhältnißmäßig nur wenig von diesen widerwärtigen, müßiggängerischen Parasiten belästigt wird; die Polizei hält sie gewaltig im Zaume und überwacht sie streng. Die Kirchenthüren aber, wie überhaupt alle Zugänge zu den Gotteshäusern und namentlich auch die Kirchhofseingänge, sind in der Regel von zahlreichen Bettlern belagert, und man findet unter diesen wahrhaft abschreckende Gestalten; indessen sind es fast immer dieselben widerlichen Erscheinungen: zerlumpte Weiber, die elende kränkliche Kinder in ihren fleischlosen Armen halten, und verstümmelte Männer, die unbeweglich wie die Fakire dasitzen und nur mit den Lippen wackeln, um den ewig gleichen Bettelspruch zu stammeln. Das sind die Bevorzugten, die Privilegirten der Bettlerkaste; sie werden geduldet, die Stellen, wo sie betteln dürfen, werden ihnen angewiesen, sie sind patentirte Bettler. Diese Bettelstellen, die, namentlich wenn sie an besuchten Orten gelegen sind, eine ganz erkleckliche Einnahme ermöglichen, sind natürlich sehr gesucht, und die Herren Bettler setzen Himmel und Erde in Bewegung, um dazu zu gelangen; sie erben meist in den Familien fort oder werden von ihren glücklichen Besitzern, wenn diese sich genug erbettelt
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_127.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)