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Seite:Die Gartenlaube (1865) 474.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)


Net Glück net Stern.

„Du, lieber Gott, will’s denn auf Erde,
      Wo Jedes doch sei Plätzle findt,
Mit mir net au’ mol anderst werde?
      Bin doch a recht verlasse Kind!

Geht’s Herz mir au von Hoimweh über,
      Gibt’s doch für mi koi Noh und Fern,
An jeder Freud’ muß i vorüber,
      Mit mir ischt weder Glück no Stern.

Mir blüht koi Blümle allerwege,
      I stand in weiter Welt allei’,
Und Keiner streckt mir d’ Hand entgege,
      Heist herzlich mi willkomme sei’.

Mei Vatter ischt im Krieg verkomme,
      Weiß net wie mir um’s Herz so weh,
Und d’ Mueder hot der Dod mir g’nomme,
      Jetzt han i Liebs koin Mensche meh.

’s ischt traurig auf der Welt, zum Sterbe,
      Wenn’s Herz so ganz an Lieb’ verarmt,
Und i muß sterbe und verderbe,
      Wenn Gott sich meiner net erbarmt.

Thal auf und ab in Sturm und Rege,
      Und doch koi Hoimet weit und breit!
I wollt, i könnt mi schlofe lege
      Und schlummre bis in Ewigkeit.“ –

Leis rauscht’s im Laub, ’s will Obed werde
      Und Vögele singet wie im Traum –
Jetzt ruhst au Du in kühler Erde
      Wol unterm grüne Lindebaum. –

I woiß derhoim a friedlich Plätzle,
      Grad wo der Weg um’s Kirchle biegt,
Sucht’s Mancher heimlich mit sei’m Schätzle,
      Doch Keiner weiß, wer drunter liegt.




Verkümmerte Existenzen.
Aus den Aufzeichnungen eines alten Wanderers.
Mitgetheilt von Roderich Benedix.
3. Halbes Talent.

Man hat gesagt, der Lorbeerkranz eines Dichters sei eine Märtyrerkrone, man hat umgekehrt diesen Ausspruch als unrichtig angegriffen. Je schärfer man von einer Seite das Loos des Dichters als ein Märtyrerthum zu schildern versucht hat, destomehr ist man von anderer Seite beflissen gewesen, diese Schilderungen in’s Lächerliche zu ziehen, und namentlich hat man bestritten, daß Dichter und Künstler andere Ansprüche an’s Leben zu machen hätten und anders beurtheilt werden müßten, als andere Leute. Die Wahrheit mag hier wohl wie immer in der Mitte liegen. Allerdings hat der Dichter und der Künstler Kämpfe zu bestehen, die Leute in anderer Lebensstellung gar nicht oder nicht in dem Maße kennen, Kämpfe gegen Mißgunst, Gleichgültigkeit des Publicums, Vernachlässigung, der deutsche Dichter insbesondere noch die Kämpfe des leidigen Broderwerbs, und oft mögen diese Kämpfe bittere, bittere Stunden erzeugen. Allein auf der andern Seite hat der Dichter und Künstler gewiß auch Stunden der Erhebung, des Schaffens, die ihm einen Genuß gewähren, welcher durch Nichts zu ersetzen ist. Hier wird also wohl Eines das Andere ausgleichen, und demnach ist das Geschenk des Genies oder der bedeutenden schaffenskräftigen Kunstbegabung eines der schönsten und edelsten, das die Natur einem Menschen verleihen kann. Ein gefährliches, ein unglückliches Geschenk aber ist das eines halben Talents.

Ein halbes Talent ist eine mehr als gewöhnliche Empfänglichkeit für die Kunst, der aber die Fähigkeit des Erzeugens mangelt; ein halbes Talent ist die Lust, ja der Drang Etwas zu schaffen ohne die Kraft dazu. Solcher halben Talente giebt es viele, sehr viele, mehr als man gewöhnlich glaubt. Sie mühen sich ab, sie schaffen, sie erzeugen, aber ihren Erzeugnissen fehlt nicht nur der Stempel der Vollkommenheit, es fehlt ihnen meistens das, was das Talent überhaupt kennzeichnet. Seitdem in den Künsten die erlernbare Fertigkeit (Technik) so ungemein ausgebildet ist, seitdem in Bezug auf die Dichtkunst unsere Sprache die hohe Stufe der Bildung erreicht, die wir der classischen Zeit unserer Dichtung verdanken, ist das Erzeugen an sich viel leichter geworden. Menschen mit halbem Talent werden durch diese Leichtigkeit wiederum weit mehr zum Erzeugen angeregt, fast möchte man sagen verführt, als es sonst der Fall sein würde. Wenn nun halbe Talente irgend einen Beruf, ein Amt des bürgerlichen Lebens haben und nur in den Mußestunden, zu ihrem Vergnügen sich mit der Kunst beschäftigen, wenn sie nur Dilettanten sind und nichts weiter sein wollen, so mag sich ihnen durch die Kunst das Leben vielfach verschönern und es mögen sich ihnen Genüsse bieten, die edler und reiner sind als die gewöhnlichen Vergnügungen. Sobald indeß solche Menschen auf ihr halbes Talent ihre Lebensstellung gründen wollen, sobald sie als Künstler von Fach auftreten und eben durch die Kunst auch den Lebensunterhalt erwerben wollen, entsteht ein trauriges Mißverhältniß.

Die Kämpfe, die dem begabteren Künstler nicht erspart sind, der Unmuth über das Mißlingen, die Verbitterung über den Mangel an Anerkennung hat der ungenügend begabte Mann doppelt und dreifach durchzumachen. Die Folge davon ist, daß Neid, Verbitterung, tiefer Unmuth sich seiner bemächtigen. Und sonderbar ist es, daß die Fehler, die man den Künstlern, einigen mehr, andern weniger, mit Recht vorwirft, Selbstüberschätzung, Eitelkeit etc., bei den wenig Begabten immer im vollsten Maße sich vorfinden. Der Mangel an Anerkennung ist ein Wurm, welcher am Gemüthe nagt und die edelsten Blüthen desselben zerstört. Wenige sind ehrlich genug, kennen sich selbst genug, um die Ursachen dieser mangelnden Anerkennung in der Schwäche ihrer Werke zu suchen, die meisten – und dazu gehören alle Menschen von halbem Talent – suchen sie in der Ungerechtigkeit des Publicums, in dem Vordrängen anderer Mitstrebender, in deren Neid und Ränken, kurz überall, nur nicht da, wo sie liegen.

Ich habe viele derartige Menschen gekannt, die in dem fruchtlosen Streben, Künstler sein zu wollen, zu Grunde gingen, indem sie entweder zur tiefsten Verbitterung gelangten, oder auch gar dem Kampfe mit Mangel und Noth erlagen. Ich will eines dieser Beispiele aufzeichnen.

Als ich im Anfange der vierziger Jahre nach **** kam, fand ich eines Tages im Feuilleton der dortigen Zeitung eine kleine Ballade im niederdeutschen Dialekt, die mich ungemein ansprach. Im echten Volkston, kurz und bündig, stellte sie eine kleine geschichtliche Anekdote dar, und zwar war Alles in ihr, Ton, Darstellung, Form, so treffend, daß ich mich nicht enthalten konnte sie als ein Meisterstück in ihrer Art zu betrachten. Ich fragte nach dem Verfasser. Er war in **** ziemlich bekannt und nicht schwer war es, ihn kennen zu lernen. Bei einem Glase Maitrank traf ich zuerst mit ihm zusammen. Mittelgroß, etwas beleibt, war Holder eine anspruchslose Persönlichkeit. Leicht erregt, mit vielem Sinn für Kunst war er lebhaft im Gespräch, und wenn er auch seine Meinung standhaft verfocht, war er doch harmlos gutmüthig und weit entfernt Jemanden zu beleidigen. Ich ward rasch mit ihm bekannt und besuchte ihn bald darauf. Dabei zeigte er mir mehrere kleinere lyrische und epische Dichtungen, die indessen jener Ballade sehr weit nachstanden. Nur ein Vaterlandslied machte eine Ausnahme, das voll Feuer und Schmerz den besten Liedern dieser Art an die Seite zu setzen war, an denen jene Zeit so reich sich erwies. Jene Ballade und dieses Lied halte ich noch heute für ein paar Perlen deutscher Dichtung. Sie hatten damals nicht nur mir, sondern allgemein gefallen, Holder bekam viel Schmeichelhaftes darüber zu hören, sie wurden componirt, gesungen, in vielen Zeitschriften nachgedruckt, kurz, Holder’s Name wurde damals genannt. Das war sein Unglück.

Einige Monate nach unserer ersten Bekanntschaft kam Holder eines Tages zu mir und begehrte meinen Rath zu hören. Er theilte mir mit, daß er ein kleines Geschäft besäße, das ihm wenig Arbeit mache und ihn, wenn auch nicht glänzend, doch anständig ernähre. Allein er fühle sich nicht behaglich in seinem Wirkungskreise, die Dichtkunst sei es, die ihn anziehe. Nun wisse er wohl, daß es ihm an classischer Bildung fehle. Diesem Mangel müsse er allerdings abhelfen, ehe er wirklich Schriftsteller werden könne, das fühle er wohl. Indessen müsse das gehen, obwohl er schon dreißig und etliche Jahre alt wäre. Er wolle sein kleines Geschäft verkaufen, mit dem dafür erhaltenen Gelde nach Heidelberg gehen und dort studiren.

Ich erschrak über diesen Vorsatz. Lebenslustig wie er war, besaß er durchaus nicht die Ausdauer, um in seinem vorgerückten Alter nachzuholen, was er an wissenschaftlicher Bildung in der Jugend versäumt hatte. Ich sagte ihm das offen. Ich stellte ihm

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_474.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)
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