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Seite:Die Gartenlaube (1865) 510.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Bocholtz getragene Burschenfahne voran, zogen sie paarweise in den Schloßhof und stellten sich dem Balcon gegenüber in großem Halbkreise auf, von Gagern als Generalanführer brachte „dem durchlauchtigsten Großherzog von Weimar, dem verehrten Erhalter der Jenaischen Hochschule, dem geliebten Beschützer deutschen Rechts und deutscher Freiheit, und dem ganzen großherzoglichen Hause ein freies, freudiges Hoch!“ Jubelnd stimmten all die Burschen ein, kräftig erschollen die Lieder von „Lützow’s wilder Jagd“ und „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Mit ungeheuchelter Freude sah vom Balcon herab der Großherzog und sein Hof dem frischen, fröhlichen Treiben zu, der Erbgroßherzog Karl Friedrich sprach den Studirenden warmen Dank aus und der Großherzog ließ sie auf dem Schloßhof an zwölf Tafeln fürstlich bewirthen. Erst gegen zwölf Uhr Nachts schloß das Fest, nicht ohne in den Herzen der Theilnehmer und der Weimarischen Bürgerschaft bis auf den heutigen Tag frohe Erinnerung zurückzulassen.

So bildete sich bei sittlichem Ernst und munterer Jugendlust auf den deutschen Universitäten das Wesen und Leben der Burschenschaft mehr und mehr aus, als plötzlich ein entsetzliches Ereigniß dazwischentrat und für die Burschenschaft die furchtbarsten Folgen hatte.




Aus deutschen Bädern.
1. Ein Schnadahupfl aus Kissingen.

„Holdrio–i!“ schallt ein Juchzer vom Altenberg herab in’s Thal, die Berge der Bodenlaube werfen ihn verhallend nochmals herab, „Holdrio–i!“ und noch ein „Holdrio–i!“ trägt das Echo thalwärts zu den Ohren der grämlich an den Ufern der Saale wandelnden Collegen, die noch nicht vom Rakoczy gesättigt und „fertig“ sind, und der Juchzer ist mein! Ich bin, wie meine luftige Weste bezeugen kann, „gesättigt“, ich habe mich zu dem vorschriftmäßigen, normalen elendigen Mann herangebildet, wie er im Buche steht, und deshalb dieses „Holdrio–i!“ und „Juppeidi-Juppeida!“ Noch einen dankbaren Blick auf deine Quelle, du theures Thal, noch ein Hoch dem edlen Rakoczy und dann zurück auf die alte staubige Landstraße des Lebens, neubelebt, aber schachmatt, um zehn Jahre jünger oder älter geworden – darüber sind eben bedauerlicher Weise die Meinungen der geehrten Cur- und Coeurdamen verschieden – vor Allem aber ohne rothe Nase und überhaupt „klar von Farbe“, wie der Maculatur-Inspector, der älteste Freund und wahre Wohlthäter der Curgäste, eidlich zu erhärten sich erbietet.

So körperlich regenerirt und gemüthlich frisch besaitet, sieht der als genesen zu Entlassende dem Tage der Abreise in Piano-Stimmung entgegen, und die Stunde, die dem Genuß der letzten Becher gewidmet ist, wird nahezu eine feierliche. Noch einmal läßt er das in den Curwochen Erlebte an sich vorübergleiten und für alle bitteren Erfahrungen, die ihm z. B. jenseits der Saale der Mocca, und diesseits derselben das Roastbeef machen ließen, spendet er Vergebung – vergessen aber wird er weder dieses noch jenes und nächstes Jahr gewiß nicht wieder so leichtsinnig ’reinfallen. Mit unverkennbarer Wehmuth sucht er noch einmal die lieben trauten Höhenpunkte auf, deren Erklimmen ihm alle zwölf Stunden ärztlich verordnet war, und sein Antlitz legt sich in kummervolle Falten bei der an die diversen Kaffeemamsells gerichteten sehr ernsten Erklärung: „Ich bin fertig, ich reise ab!“ Aber die Mädchen sind merkwürdiger Weise durch diese traurige Nachricht durchaus nicht erschüttert, sie eilen nicht in ihr Kämmerlein, um sich auszuweinen, au contraire, mit den deutlichsten Spuren von Fassung fragen sie nur: „Wolle Se scho fort?“ und wünschen ganz heiter eine „Glückliche Reis’!“ Da wendet sich der Gast mit Grausen, denn an diesem oder jenem Mocca war vielleicht eben nur der Moccakäfer das Beste! Einige Tage voraus beginnt der Rakoczygesättigte von all den schlotternden Gestalten seiner Lands- und Nachbarsleute Abschied zu nehmen, immer sans prendre congé, und mit ihnen Wünsche für den besten Erfolg auszutauschen, der in einem Entsetzen erregenden Appetite zu gipfeln pflegt.

Es kann in unserem biertrinkenden Jahrhundert nicht Wunder nehmen, daß in Kissingen auch ein Contingent von Frauen und Jungfrauen gestellt war, die entweder zu hochherzig gediehen oder sich eine Rosennase angenippt hatten. (Rosennase ist neu, und ich freue mich, daß sie durch Ihre „Gartenlaube“ der ganzen Welt übermittelt wird. Es wird fortan ausgeschlossen sein, unpoetischer Weise von einer rothen Nase weiblichen Geschlechts zu schriftstellern, und welche Fülle zarter Reime bietet unsere Sprache auf „die Rose deiner Nase“!) An der Quelle des Rakoczy und unter meinen vier Augen habe ich nun allerdings einige Rosennasen verblassen und bleichen sehen, aber gegen Corpulenzen erster Classe kämpfte das edle Wasser nur mit bescheidenstem Erfolge. So sah ich auf dem Altenberg, als ich mein „Holdrio–i!“ nach dem Curgarten hinabjuchzte, eine junge, aber in ihrer Hochherzigkeit überaus respectable Mädchengestalt, die gleich mir von dem zu unseren Füßen im Abendsonnengolde ruhenden Städtchen Abschied nahm, aber freilich mit demselben Embonpoint, das sie hierher geführt hatte. Aus dem Thale herauf klang melancholisches Abendläuten, die Sonne vergoldete in ihren letzten Strahlen die Mädchencorpulenz und Ihren elendig abgemagerten Berichterstatter, ein lauer, linder, leiser Wind strich über die Höhe, von der wir in stummer Bewegung unsern letzten Gruß hinüber zu den Bergen und hinab zur Quelle sandten, es war ein weihevoller Augenblick, geeignet, wie kein anderer, zwei gleichgestimmte Seelen sich näher zu führen, – da wandte sich plötzlich die junge Dame, die ich ebenso piano gestimmt glaubte, vergnügt nach mir, fragte, was die Uhr sei, und versicherte dabei, daß sie einen gräulichen Hunger habe. Ich kehrte mich ab und weinte beinahe dazu.

Tags darauf schwelgte ich noch einmal Aussicht auf der Maxruhe und schaute, auf meinen Stab gebogen ganz Goethe’s Schäfer, hinab in das Thal, mein trunkenes Auge folgte dem Silberfaden der Saale und hing endlich mit süßer Sehnsucht an den blauen Fernen; da bringt mich plötzlich ein Schlag auf die Schulter aus der Balance meiner gebogenen Stellung und der Nachbar aus „Behrlin“, der Blondin de Berlin, der seit der Stunde seiner Ankunft unser ganzes friedliches Hauswesen „verjiftet“, schreit: „Juta Leipziga, so alleene? Immer ’rin in’s Verjnüjen! Des hier können Sie in Behrlin alle Tage sehen!“ Da half kein Abwehren mit allen zehn Fingern gegen den Patchouli-Jüngling, von den Hausgenossen auch „das Mard“ genannt, er behrlinte weiter: „Sie haben allerdings reene jar nischt von Natur in Leipzig, juta Leipziga, un ooch noch nich mal den Schneckenberg mit seiner schönen Umjejend; es is scheußlich! Es müssen närrsche Kehrle jewesen sein, Ihre Vorfahren, daß sie Leipzig auf’n Sandplatz jebaut haben! Ihr jutes Leipzig spielt überhaupt jar keene Rolle mehr, juta Leipziga! Ihre Messe is janz sehre ’runter, janz böse auf Abwege jerathen, Leipzig hat janz und jar keene Zukunft mehr! Ich soll mit meinem Patchouli verduften? Na, denn nich, juta Mann!“ Hier nahm das „Mard“ seinen freundlichen Abgang, um wenige Stunden später im Curgarten wieder meiner habhaft zu werden und meine linke Seite wieder einzuparfumiren.

Fahrt wohl, ihr tausend Dickbäuche und Burgundernasen und nehmt euch ein Exempel daran, welchen Lebenswandel der Erdenwurm einschlagen muß, wenn er seinen Mitwürmern ein anständiges Aeußere entgegentragen will; fahrt wohl, ihr tausend dahinschwebenden und dahinwatschelnden holden Dolden, – aber ich will ja noch nicht gleich Abschied nehmen, will Ihnen vielmehr von dieser und jener Höhe noch weitere Kissinger Nachrichten herunterkanzeln. –

Die Kissingerinnen schwärmen für ihren jungen Herrscher, jedenfalls nicht wegen seiner wahrhaft väterlichen Fürsorge für Tristan und seine Isolde, sondern wahrscheinlich weil Max der Zweite ein schöner junger Mann ist und vor Kurzem auch Kissingen mit seinem Besuche bedachte. „Es is a gar zu lieber, junger, a gar zu wunderhübscher Mann!“ sagte mir eine junge

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_510.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)
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