Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1865) 511.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Kissingerin und wies dabei auf das blumenbekränzte Bildniß des Königs, an dem sie sich nicht satt sehen konnte. „Schaun’s her!“ rief eines Tages meines Wirthes Töchterlein, ein schwarzbraunes Dirndl, und hielt mit vor Freude blitzenden Augen einen sogenannten Cigarrenstumpel, um den sie ein rothseidenes Bändchen gewunden, in die Höhe. „Schaun’s her! Wisse Se, wer die Cigarr’ g’raucht hat? Se wisse’s net, gebe Se Acht!“ Und nun begann die feurige Royalistin eine ganz charmante Erzählung, während der mich eine Anzahl gar nicht unbedeutender Rippenstöße zum „Achtgebe“ aufforderte, wie sie in den Besitz dieses raren Cigarrenstumpels gekommen war. Es war ein königlicher Cigarrenstumpel, an dem der junge König bei einer Promenade durch Kissingen geraucht, den er schließlich unter einem ihm zu Ehren errichteten Triumphbogen weggelegt und somit einem ungeahnt freundlichen Schicksale zugeführt hatte. „I hab a noch a paar Züg’ gethan!“ rief die Glückliche, versetzte mir dabei noch einen Rippenstoß und sprang, das rothseidene Bändel mit dem edlen Stumpel hoch haltend, vergnügt davon. So liebt ein baierisches Dirndl seinen Maxel[WS 1]und „da laßt ihm doch das kindliche Vergnügen!“

Kurz vor meiner Abreise circulirte unter der Kissinger Bürgerschaft eine Petition um Weiterführung der Eisenbahn nach Kissingen, die ich hiermit zu der meinigen mache und bei Sr. Majestät auf das Dringendste befürworte. Räthselhaft ist, daß die Bahn bis dorthin nicht schon längst besteht, da die Schwierigkeiten der von Schweinfurt nach Kissingen bergauf bergab führenden kurzen Strecke nicht unbesieglich sein dürften und der Staat doch unzweifelhaft die glänzendsten Geschäfte mit diesem Curorte macht. Jetzt bewegt sich, wie in den Zeiten der gelben Kutsche, langsam und gravitätisch von Schweinfurt nach Kissingen ein sogenannter Eilwagen, und der Anblick des darin wie in einem Menageriekasten sitzenden Dulders würde für jeden fühlenden Leser herzbrechend sein. Eines Sommerabends ist eine jener Fallstaffgestalten beim Besteigen der Post in der Thüröffnung mit seinen Weichen hüben und drüben hängen geblieben, hat sich weder vorwärts noch zurück schieben können und hat Zeter und Mord geschrieen, bis die vereinten Kräfte seiner Freunde den Unglücklichen von innen und außen und mit gänzlicher Hintansetzung seiner Gliedmaßen aus der fürchterlichen Klemme herausgewürgt haben, eine Arbeit, während der die bedauernswerthe Corpulenz einen annähernden Begriff von Rädern und Viertheilen bekommen haben soll.

Bei meinem Scheiden jubelten die Kissinger der Kaiserin von Oesterreich entgegen, die drei hoch angesehene Gaben mit hierher zu bringen pflegt, Geld unter die Leute, Leben in die Curgesellschaft und Toilettemuster für das unbeschreibliche ewig weibliche Staatliche. Notabilitäten waren überhaupt hier spärlich; u. A. waren hier der Herzog Leopold von Coburg mit seiner ihm linksseitig angetrauten Gattin, einer baronisirten Wiener Tänzerin, sammt siebenjährigem Sprößling, den Seine Hoheit zu meiner Freude eigenhändig bei den Ohren nahm, als der Schlingel seine Wärterin mit den Fäusten bearbeitete; ferner der Prinz Friedrich von Altenburg, ein alter einfacher Herr und langjähriger Stammgast Kissingens, dem alle Jungen auf der Straße ihr „Guten Morgen, Hoheit!“ zuriefen, so zum Privatvergnügen, um der grünen Mütze des Prinzen Bewegung zu machen; und der Fürst von Monaco, der, wie ich hörte, erblindet Kissingen aufgesucht hat. Der Coburger und der Altenburger Prinz verkehrten nicht mit einander, wie das doch bei fürstlichem Geblüte, namentlich in einem Bade, zu geschehen pflegt; der Coburger, ein hochgewachsener schöner Mann, suchte in der ausschließlichen Begleitung seiner Gattin, einer kleinen beleibten, aber dabei lebhaften Erscheinung in überaus pomphafter Toilette, die einsamsten Partieen des Curgartens und Parks auf, während sein Altenburger Vetter heute mit Hinz und Kunz und morgen mit Müller und Schulze promenirte und täglich mit Dienern und Mädchen auf das leutseligste eingehende Gespräche pflog. Warum? Die Antwort sang mein bairisches Dirndl:

„Stigelitza, Stigelatza,
A Fink is ka Spatza!

Wissens, der Ane hat den Beutel, der Annere hat das Geld!“ – Ein Lakai in goldbedeckter Livrée ließ allmorgentlich zwei prächtige Becher auf silberner Platte am Brunnen füllen und überbrachte sie dem abseits harrenden Herzog Leopold und seiner Baronin, der Prinz Friedrich stand dagegen im dicksten Gedränge und trank bescheiden aus denselben Bechern, wie sie hier vom hundertsten zum tausendsten Mund gehen.

Die Damen der hohen Aristokratie, besonders die zahlreich vorhandenen Russinnen, tranken ihr verordnetes Quantum Rakoczy vermittelst einer Glasröhre, weil bei ihnen das edle Wasser in dem unbegründeten Verdachte steht, der Weiße der Zähne nachtheilig zu sein. Die russischen Damen erschienen sämmtlich in tiefer Trauer, entweder in durchaus Schwarz oder in zebraartig schwarz-weiß gestreifter Toilette. Einen etwas komischen Gegensatz zu der tiefen Trauer seiner Gattin lieferte der Fürst Lwoff in seiner überaus heitern Sommertoilette, einem Jaquet, dessen Beinkleid bis zum Knie reichte, um von hier an krapprothe oder meergrüne Strümpfe leuchten zu lassen. Ein Verwandter des bekannten Biedermeier fragte deshalb beim Mittagstisch sein viel und weit gereistes vis-à-vis zum allgemeinen Halloh ganz ernstlich, „ob beregte rothe und grüne Strümpfe nicht vielleicht einen Theil der in Rußland für das männliche Geschlecht vorgeschriebenen Landestrauer bilden dürften?“

Curgemäß leben ist hier neben Ruhe die erste Bürgerpflicht, und ein friedlicher, Ruhe und Ordnung liebender Staatsbürger verhält sich deshalb auch bei einem mangelhaften Mittagstische ruhig und findet die Qualität seines Rindfleisches stets curgemäß und somit heilsam und überhaupt Alles in der schönsten Ordnung. „Nur die Leipziger sind die Schmerzensschreihälse,“ sagte jener Verwandte Biedermeier’s. Des Abends beschließt man sein beschauliches Tagewerk trübselig und hinfällig mit dem Genuß einer sanften Gerstensuppe mit der unschuldigsten Semmel von der Welt, und so wird man als Mann von Grundsätzen mager und magerer, bis man sich nicht ohne Grauen ansehen kann, und weiter hat es ja auch keinen Zweck. Alle Aufregung ist hier bei Leibesstrafe verboten und in wahrhaft eheweiblicher Fürsorge hat man aus den ehrwürdigsten Matronen des Landes die dreizehn Blumenmädchen auserlesen, die uns himmlische Rosen in unser wässeriges Dasein flochten. Wir ehrten natürlich diese Greisinnen durch die Bank, und die ältesten Leute in dem Thale wissen sich nicht zu entsinnen, daß jemals ein Curgast eines dieser Blumenmädchen am Kinn gefaßt oder sich durch eine längere Unterhaltung mit ihnen aufgeregt hätte. Früher sollen es nur zwölf Blumenmatronen gewesen und diese „die zwölf Apostel“ genannt worden sein; nachdem aber eines Morgens ein junger leichtsinniger Curgast nach der Schönsten von dem Dutzend gefragt hatte, ist sofort aus den Großmüttern des Königreichs ein dreizehntes Rosenmädchen gewählt und dem Dutzend aufgebunden worden. Diese Rosen haben in der That doppelte Dornen, und der Kissinger Dulder lenkt, wenn er nicht als Süßholzraspler dieser oder jener Curdame ein Bouquetchen von Rosen und Vergißmeinnicht an’s Herz legen muß, sein mattblickendes Auge mit Vergnügen über die Rosen hinweg nach jenen wohlriechenden Brezeln, Hörnern, Panduren und Zwiebäcken, die in Haufen aufgethürmt den Hintergrund des Curgartens wohlthuend abschließen. Das war auch „ganz mein Fall“, geehrter Freund, ich mag keine Rosenknospe von welker zitternder Hand gepflückt und gereicht, das Röschen muß mir ein herziges Kind, ein Liebchen – brechen wir ab, ich rege mich auf!

Die Herren Hypochonder, denen das in der sechsten Morgenstunde sich mehr und mehr entwickelnde bunte Gewühl im Curgarten ein Gräuel ist, pflegen ihre sechs Becher – ein echter Hypochonder trinkt immer sechs – von fünf bis sechs Uhr zu trinken und sich dann in die Wälder zurückzuziehen; ich mußte mich von meinen Herren Collegen trennen, um das Curvolksleben zu studiren und von den Einrichtungen der Kissinger Brunnenverwaltung Kenntniß zu nehmen, die unbezweifelt unter allen derartigen Anstalten die erste Stelle einnimmt. (Es wird in Kissingen mehr als in allen anderen Bädern für das Curpublicum gesorgt, und namentlich gebührt dem früheren Badecommissar Grafen von Luxburg, an dessen Stelle seit Kurzem der Justizamtmann von Parseval gekommen, das Verdienst, in der Vervollkommnung des Bestehenden und in Abstellung von Uebelständen große Thätigkeit entwickelt zu haben. Der Brunnen und die Bäder, im Curhause sowohl, als in den Salinen, sind vortrefflich bedient, Curgarten und Park sehr gut unterhalten und die Curcapelle unter der Direction des Herrn Heinefetter des besten Lobes werth.)

Ich mußte mich von den Herren Hypochondern Morgens trennen, sagte ich, aber für den übrigen Theil des Tages schloß ich mich ihnen um so inniger an, denn es giebt für einen nüchternen

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_511.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)
OSZAR »