verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
|
Rückerinnerungen von Robert Keil.
Zu den freiheitsfeindlichen Schriftstellern jener Tage gehörte, wie wir sahen, auch von Kotzebue. Weit entfernt, sein dramatisches Talent zu unterschätzen, stimmen wir im Gegentheil der spätern Aeußerung seines genialen Gegners Goethe bei, daß man lange warten könne, ehe ein so fruchtbares und populäres Talent wieder komme. Aber die bei allem Witz und aller Gewandtheit nur gar zu üppig hervortretende Leichtfertigkeit und der Mangel an ernster, sittlicher Gebens- und Weltanschauung, die er in seinen dramatischen Werken, ganz besonders aber in seiner Geschichte des deutschen Reichs und seinem literarischen Wochenblatt zur Schau trug, ließ in ihm den Feind alles Idealen, den hämischen Spötter über jede höhere geistige Regung, den Gegner von Verfassung und Preßfreiheit, den Verächter und Schmäher des patriotischen Geistes der deutschen Jugend erkennen. Er war überdies, obgleich Deutscher von Geburt, der von Rußland besoldete Spion und Denunciant. Während er für alles Russische die schamlosesten Lobpreisungen verschwendete, ergoß er über alles Deutsche den giftigsten Tadel, riß die edelsten Namen frech herunter und suchte jedes freie Aufstreben als thöricht zu verspotten, als staatsgefährlich zu verdächtigen. Auf den deutschen, vom Auslande besoldeten Spürer und Verhetzer seiner Landsleute zog sich ein fast allgemeiner Haß zusammen. E. M. Arndt nennt ihn einen „Späher“, einen „Lauscher“, eine „Schmeißfliege“.
Fand sein Wesen, Thun und Treiben bei allen hervorragenden Geistern jener Zeit das lebhafteste Mißfallen, um wie viel mehr bei der feurigen, in Verehrung wie in Haß gleich maßlosen und überdies hier selbst angegriffnen und geschmähten akademischen Jugend! Schon ehe sein Denunciationsgeschäft an den Tag kam, hatte er bei Jung und Alt die Achtung eingebüßt, und als seine verrätherischen Bulletins entdeckt und veröffentlicht wurden, als er sich sogar zum Vertheidiger der nichtswürdigen Stourdza’schen Schandschrift aufwarf, faßte ein sonst braver, edler, harmloser, aber schwärmerischer und unter dem Einfluß des fanatischen Follen stehender Student, der Burscherschafter Carl Ludwig Sand aus Wunsiedel, den Entschluß, „dem Dichter, der die Sache seines Volkes hasse, dem Schandbuben und Erzknecht, der den Zustand der Schläfrigkeit und Feigheit zu befördern suche, dem Verführer der deutschen Jugend, dem Schänder der deutschen Volksgeschichte, dem russischen Spion des deutschen Vaterlandes das Schwert in’s Gekröse zu stoßen.“ Seinen Freunden fiel Sand’s geändertes Wesen und Benehmen auf. „Was hat Spukmeier? was ist mit ihm?“ frug man sich, aber Niemand wußte eine Antwort. Inzwischen ließ er sich den Dolch nach eigner Zeichnung anfertigen und besuchte chirurgische Collegien, um sich über die Lage und Verletzbarkeit des Herzens genau zu unterrichten. Am 23. März 1819 fiel v. Kotzebue zu Mannheim unter dem Dolche Sand’s.
Es war die Blutthat eines Einzelnen, die Burschenschaft hatte nichts mit ihr gemein. Aber wie einestheils in Mannheim und vielen andern Orten fast die ganze Bevölkerung für Sand gestimmt war und den begangenen Mord als die Heldenthat eines edeln vaterländischen Jünglings ansah, wie man ihm in Mannheim Erfrischungen sandte, vor dem Hospital ihm als dem Märtyrer der Sache des Vaterlandes Lebehoch und Beifall rief, wie sich eben diese Sympathieen auch bei seiner Hinrichtung zeigten, indem die Menge laut weinte und schluchzte, und der Stuhl, auf dem Sand gesessen, Haare von ihm, blutige Splitter des Gerüstes unter großem Andrang gekauft und durch ganz Deutschland hin als theure Andenken an einen lieben Todten verbreitet wurden: ebenso groß war anderntheils bei den hohen und höchsten Herren die durch Sand’s That hervorgerufene Furcht und Sorge. Es herrschte dumpfe Betroffenheit und angstvolle Spannung. Man hatte ein böses Gewissen, und dieses böse Gewissen fing plötzlich zu schlagen an. Die Großen, die Hofleute, die Diplomaten sahen sich aus ihrem weltlichen Behagen gräßlich aufgeschreckt, eine neue heilige Vehme schien erstanden, jeder Student konnte der Vollstrecker ihrer Urtheile sein, sie glaubten sich ihres Lebens nicht mehr sicher, die Einen jammerten und seufzten, Andere schalten und tobten, Alle begehrten Schutz und Abwehr gegen solche Gefahr.
So schildern Zeitgenossen die Furcht jener Herren, und es wurde diese Furcht zur Angst, als, von Sand’s That angereizt, der Apothekerlehrling Löhning in Wiesbaden zum Dolche griff und gegen den nassauischen Präsidenten Ibell seinen Mordversnch ausführte. Auch den Großherzog von Baden erfüllte jene Angst. Schon auf die erste Nachricht aus Mannheim hatte er durch seinen Eifer und seine Unruhe verrathen, wie sehr er erschüttert und verwirrt war, und später bekannte er gegen Varnhagen, daß er sich sehr unglücklich fühle. „Hätte der Kotzebue,“ sagte er im kläglichsten Tone, „doch wo anders gewohnt, als im Badischen! Der Mörder wird durch unsere Gerichte zum Tode verurtheilt, darüber ist gar kein Zweifel, und ich, ich soll dann das Urtheil bestätigen, oder den Thäter begnadigen, beides ist mir entsetzlich. Begnadigen, das geht nicht, und hinrichten lassen, – nicht wahr, lieber Varnhagen, wenn ich das thue, so muß ich mich darauf gefaßt machen, daß auch mir so ein Studentle nächstens Blut läßt?“
Der österreichische Gesandte in Karlsruhe, Graf Trautmannsdorf, faßte zwar das Ereigniß naiver auf, indem er auf die Frage, ob er seine Depesche nach Wien gesandt habe, zur Antwort gab: „Warum nit gar! I hab’s nit bericht’. Was soll i denn davon berichte? Es ist a Mord; bin i dazu Diplomat, daß i jede Mord berichte soll?“
In Wien selbst aber und vollends am Berliner Hofe nahm man die Sache weit ernster, man glaubte sich von einer weitverbreiteten geheimen furchtbaren Vehme umgarnt, man hielt die ganze Jugend für fanatisirt und zu den schrecklichsten Thaten entschlossen. Es sollten, es mußten Mitschuldige gefunden werden. Man schämte sich von ministerieller Seite in Karlsruhe nicht, Beweisstücke zu erfinden und sogar an Anwendung der Tortur gegen Sand zu denken, da ja die Sicherheit aller Fürsten und Staatsmänner solche Abweichung vom gewöhnlichen Rechtsgang wohl rechtfertige! Aber die Mannheimer Untersuchung ergab nichts. Man richtete die Untersuchung gegen die Burschenschaft, ließ überall Verhaftungen vornehmen, strenge Verhöre halten, die Papiere durchsuchen etc., aber es ergab sich doch keine Mitschuld der Burschenschaft, sondern im Gegentheil die Gewißheit, daß die Burschenschaft mit Kotzebue’s Ermordung nichts zu thun hatte. Gleichwohl und trotz der ehrenhaften, eifrigen Vertheidigung, welche Karl August durch seinen Bundestagsgesandten für Jena und die Jenaische Burschenschaft führen ließ, rief die preußische Regierung alle Preußen von Jena ab und der Karlsbader Congreß trat zusammen, um dem vaterländischen und Freiheitssinn der deutschen akademischen Jugend zu möglichster Sicherung fürstlicher Despotie den Todesstoß zu geben.
Die Karlsbader Beschlüsse waren an erster Stelle gegen Karl August, die Weimarische Verfassung und Jena gerichtet. Ihre heimliche Geburt konnte der Großherzog nicht hintertreiben, man hatte seinen uneingeladenen Minister von Fritsch aus Courtoisie zu einer nichtssagenden Extravorstellung der Conferenz zugelassen, im Uebrigen aber hinter die Thür gestellt.
Den Karlsbader Beschlüssen gemäß wurden durch Bundestagsbeschluß vom 20. September 1819 für die Universitäten Regierungsbevollmächtigte als Vormünder angestellt und die Burschenschaft verboten, da „diesem Vereine die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft und Correspondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zu Grunde liege“. Es ist kaum zu glauben, aber so, wörtlich so lautete das lächerliche Motiv, das man für die Unterdrückung der Burschenschaft angab, das eine Schein-Repräsentation der deutschen Einheit einem patriotischen Verein gegenüber angab, welcher die deutsche Einheit zu seinem Grundprincip genommen hatte! Zugleich wurde die berüchtigte Central-Untersuchungs-Commission in Mainz niedergesetzt, um ihr sauberes Werk zu beginnen.
Da lösten sich überall die Burschenschaften auf, auch in Jena. Am 26. November 1819 erklang dort im Rosensaale gar kräftig und begeistert zum letzten Male das Bundeslied mit seinen Schlußworten:
„Das Wort, das unsern Bund geschüzet,
Das Heil, das uns sein Teufel raubt
Und kein Tyrannentrug uns kürzet,
Das sei gehalten und geglaubt!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_518.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)