verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
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und nachher in engerem Kreise das wehmüthig-schöne Binzel’sche Lied: „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus etc.“. Und wie das ganze schöne Lied, so war und wurde seine Schlußstrophe:
„Das Haus mag zerfallen –
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns Allen
Und unsre Burg ist Gott!“
ganze volle Wahrheit.
Der Geist, der patriotische, burschenschaftliche Geist lebte fort und er erwärmt heute noch die Greise, wie er in den Jünglingen geglüht hatte. Es war Stud. theol. Karl Horn aus Neustrelitz, der, aus dem Freiheitskampf zurückgekehrt, 1815 die Burschenschaft mit in das Leben gerufen, der die Stiftungsrede gehalten hatte, einer ihrer ersten Vorsteher geworden war und als Sprecher derselben am 19. Januar 1816 beim Pflanzen der Eiche auf dem Eichplatze gerufen hatte: „Wir setzen ihn ein, den Baum der Hoffnung, den Baum der Stärke, den Baum der Freiheit: wir schwören warme Liebe dem Vaterlande, Ergebenheit unsern Fürsten, die für des Vaterlandes Wohl Gut und Blut zu opfern bereit sind, wir schwören standhafte Treue allen deutschen Brüdern, die mit uns einen Sinn, ein heiliges Streben theilen, und rufen in froher Begeisterung ein Hoch der deutschen Freiheit!“ Derselbe Karl Horn, nun Pastor zu Badresch in Mecklenburg-Strelitz, war im August 1858 zum dreihundertjährigen Jubiläum der Universität wieder in Jena, und mit demselben warmen, vaterländischen Gefühl, wie damals in seinen Studentenjahren, 1812 bis 1816, sprach er, der große, kräftige, breitschulterige Mann mit dem offenen, biedern Gesicht und den hellen, freien, hübschen Augen, in der denkwürdigen Burschenschafts-Versammlung, welche damals im deutschen Hause zu Jena stattfand, die schlichten, kernigen Worte: „Der Ruf für das Vaterland hatte uns Alle ohne Unterschied gleich getroffen; Vandalen und Sachsen und wie sie sich nannten, sind zusammen ausgezogen und schlossen sich dem Lützow’schen Corps an. Dort gab uns der König von Preußen selbst die Uniform, in welcher sich zufällig die drei Farben schwarz, roth, gold befanden (schwarze Röcke mit rothen Aufschlägen und gelben Knöpfen), die fortan auch Bundeszeichen wurden, und zwar schwarz wie die Nacht der Knechtschaft, die wir abschütteln wollten, roth wie das Blut, das der Kampf kosten werde, golden wie die Freiheitssonne, die dem Vaterlande aus dem Kampfe gegen die Knechtschaft aufgehen sollte. Was man sonst in diese Farben hineingedeutelt, ist fremder Zusatz, oft kleinliche Spielerei. Nach dem Kampfe kehrten die Jenaer, die ihn überlebt, wieder zu ihren Studien, auch zu ihren Landsmannschaften zurück. Aber Alle brachten das Gefühl mit, daß diese Landsmannschaften ihrer unwürdig, daß in der landsmannschaftlichen Zerrissenheit Deutschlands die eigentliche Ursache gelegen, warum das große, mächtige deutsche Volk so tief habe sinken, so leicht habe in fremde Knechtschaft verfallen können. Dies Bewußtsein brachten wir aus dem Kampfe mit, und in ihm wurzelt die Burschenschaft, die bald nach der Rückkehr der Kämpfer nach Jena entstand. Sie hatte keine politischen Sonderzwecke, sie wollte einfach, klar, offen das Bewußtsein der volksthümlichen Einheit des deutschen Volkes feststellen und der Zerrissenheit unter den Studirenden und, soweit ihr Einfluß, ihr Beispiel gehe, im ganzen Volke ein Ende machen helfen. Das und nichts Anderes war der Zweck der Burschenschaft; so und nicht anders ist sie entstanden. Und wenn Herr Leo sagt, daß meine Vandalenmütze das Roth zum schwarz-roth-goldenen Bande geliefert, so lügt er schnöde, und wenn er sagt, daß ich wahrscheinlich jetzt Bürgermeister oder Landpfarrer sei und den ‚dicken Wanst’ vor Aachen schütteln werde, so oft ich an die Possen der Burschenschaft denke, so ist er im Irrthum. Was wir gewollt, war heilig und ist uns heute noch heilig!“
So dachten die Jünglinge, welche kaum ein Jahr nach der Auflösung der Burschenschaft zu deren Wiederbelebung schritten. Schon im Sommer 1820 trat auf der sogenannten Wölmse bei Ziegenhain der Rest der alten Burschenschaft als Germania wieder zusammen, ebenso bildeten sich in Berlin, Erlangen, Heidelberg, Leipzig etc. wieder Burschenschaften, und Burschentage zu Dresden, zu Streitberg und im Odenwalde brachten sie wieder näher. Aber es bildeten sich auch neue Landsmannschaften, oder vielmehr Corps, nur dem heitern Lebensgenuß und der Freundschaft hingegeben. Conflicte zwischen beiden Parteien konnten nicht ausbleiben, und überall fanden Untersuchungen gegen die Burschenschafter und Maßregelungen derselben mit Relegation und andern Strafen statt. Trotz aller Demagogenriecherei erhielten sich aber überall die geheimen Burschenschaften fort und zeichneten sich durch den guten, wackeren Geist, der sich am deutlichsten aus den freundschaftlichen Herzensergießungen ausspricht, welche damals der Freund dem Freunde in das Stammbuch zu schreiben pflegte.
In Jena traten sie auch offen an den Tag und zeichneten sich nicht selten durch ihren mitunter fast überkräftigen Humor aus. Bei den Aufführungen der Räuber, des Götz, des Tell etc. im Weimarischen Theater fehlten die Jenenser Burschen niemals, stets sangen sie in den Räubern nach altem Studentenrecht ihr Gaudeamus, übten ungenirt eine derbe Kritik des Beifalls oder Mißfalls, und als von Weimar aus dies einmal gerügt wurde, sangen sie auf ihrem Burschenhause mit vielem Jubel:
„Unser Herzog Karl Augustus
Hat allein den wahren Gustus;
Er ruft seinem Parterre zu:
Wenn ich klatsche, klasch auch Du!
Auf die neue Mode!“
Als gegen Ende des Jahres 1822 ein Anschlag am schwarzen Bret plötzlich das Singen der Studenten auf den Straßen verbot, durchbrauste zur Antwort im massenhaften Aufstand der häusererschütternde Gesang: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“, die alte Musenstadt, und als zur Dämpfung der Unruhen Militär von Weimar heranrückte, zogen die Burschen, Mann für Mann, mehr als vierhundert, die blitzenden Schläger frei in der Faust, mit Sang und Klang und wehender Fahne auf mehrere Tage nach dem Städtchen Kahla fort.
Ernster war die politische Richtung, welcher die hervorragendsten Kräfte der Burschenschaft sich zuwandten. Ueberall in Deutschland (mit einziger Ausnahme des liberalen Thüringens) erhob die Reaction kühn und immer kühner, immer übermüthiger das Haupt und mußte in den deutschen Jünglingen mit dem Gefühl der Enttäuschung die tiefste Erbitterung wecken. Das Studium der Geschichte hatte in ihnen die innigste und feurigste Liebe zu Volk und Vaterland wachgerufen. Sie sahen mit blutendem Herzen, wie in langwierigen Kriegen, aus dem Boden des eigenen gemeinsamen Vaterlandes Deutsche gegen Deutsche für fremdes Interesse, bethört durch fremde Arglist, sich selbst angefeindet und aufgerieben, sahen auch jetzt ein Geschlecht wiedererstanden, das der verwunderten Welt Ansprüche und Vorurtheile zeigte, welche man lange in den Familiengrüften verwest geglaubt hatte, sahen alte, verrostete Formen, so unpassend sie auch immer waren, wieder hervorgezogen, sahen den Werth der letztvergangenen Zeit so tief als möglich herabgesetzt, ja den heldenmüthigen Aufschwung des deutschen Volkes wie eine Sache hündischen Gehorsams behandelt, sie sahen das Ende solch mannigfachen Elends und eine auf festem Grunde ruhende Sicherheit mit in einer festen Einheit des ganzen Volks, und hielten sich als den Kern der Nation, die Hoffnung der künftigen Generationen ebenso berechtigt, als verpflichtet, für solche Einheit zu wirken.
Auf Anregung der nach der Schweiz geflüchteten Professoren Karl Follen, Snell und Völker stiftete daher der Jenenser Burschenschafter Adolph von Sprewitz aus Rostock im Frühjahre 1821 einen geheimen, durch ganz Deutschland sich verzweigenden „Jünglingsbund“, mit der Tendenz, für politische Freiheit und Einheit des gemeinsamen Vaterlandes zu wirken und namentlich die kommende Generation für entschlossenen Sinn heranzubilden. Dafür mit allen Kräften einzustehen wurden die Neuaufgenommenen verpflichtet und ein Erkennungszeichen verabredet. Eine Zeit lang galt als solches folgende Frage und Antwort:
„Führte Dich Deine Reise auch wohl einmal auf den Johannisberg?“
„Ja, in den ersten Tagen des Mais. Warst Du auch dort?“
„Ja, am 18. October.“
Einen Zustand herbeizuführen, in welchem das gesammte deutsche Volk durch selbstgewählte Vertreter sich eine Verfassung geben könne, war das Endziel ihrer Bestrebungen; über hundert begabte deutsche Jünglinge, darunter die tüchtigsten Köpfe der Burschenschaft, schlossen sich dieser Richtung, diesem Geheimbunde an. Das Resultat ihrer mehrfachen Zusammenkünfte und Berathungen war, daß der Bundeszweck auf dem Wege der Ueberzeugung erreicht werden solle, durch Rede und Schrift sollten die erkannten Wahrheiten
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_519.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)