verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
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frei und gerecht geordneten und in Volkseinheit bestehenden Staatslebens in dem Volk, mittels sittlicher, wissenschaftlicher und körperlicher Ausbildung auf der Hochschule“ bezwecke. Es war in diesen Kreisen, wie ein Glied derselben später (in der A. Z.) treffend bemerkte, ein heiteres, ein prächtiges Leben. „Wie platzten in den Fuchskränzchen, in den Verbindungskränzchen, in den allgemeinen Versammlungen, die Geister aufeinander, welche Gegensätze kamen zu Tage, wie offen und muthig sprach diese Jugend aus, was sie auf dem Herzen und auf der Zunge hatte! Es ist wahr, in unsern Staaten, die wir bildeten und die in innigstem Trutz- und Schutzbündniß standen, im Kaiserthum Zwätzen, in der Republik Ziegenhain, in den Herzogthümern Ammerbach und Wöllnitz, thaten wir nach altgermanischer Art den Lanzen, Aebten, Birkenmeiern und Stübchen die gebührende Ehre an, aber wir lagen auch den Studien ob und waren fleißig. Und so ist es gekommen, daß aus dieser Jenaischen Burschenschaft eine verhältnißmäßig große Anzahl von tüchtigen Männern hervorging, welche einflußreiche Aemter bekleiden, sich im deutschen Parlamente, in Landesvertretungen, in Cabineten, auf dem Richterstuhl, auf der Kanzel und als Gelehrte ausgezeichnet haben. Namentlich im Jahre 1830 war eine Fülle von bedeutenden Köpfen und charakteristischen Leuten auf dem Burgkeller, wie sie in solcher Weise sich wohl nicht leicht wieder zusammenfinden.“
(Den Schluß, Nr. III, dieses Artikels lassen wir nach dem Burschenschafts-Jubiläumsfeste folgen, um dem Ganzen einen abgerundeten Abschluß zu geben.)
„Der heilige Herr.“
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, unter der Regierung des Fürsten Wolfgang Ernst des Zweiten von Isenburg-Birstein, begann sich die jetzt zum Großherzogthum Hessen gehörige Stadt Offenbach zu einer Fabrikstadt aufzuschwingen, deren gewerbliche Production, durch die Nähe von Frankfurt begünstigt, eine immer größere Bedeutung erlangte und deren Erzeugnisse nach allen Richtungen hin Absatzwege fanden. Durch den reichen Fabrikenbesitzer Nicolaus Conrad, einen eifrigen Beschützer der Wissenschaften und Künste, namentlich der Musik – er unterhielt z. E. eine Kapelle, die jährlich vierzigtausend Gulden kostete – kam Leben und Genuß in das unbedeutende Städtchen, die Hauptstadt des Fürstenthums, und viele bedeutende Fremde ließen sich dort nieder.
Unter ihnen war die Geliebte Goethe’s, die reiche Banquierstochter Lili Schönemann aus Frankfurt, die sich nachmals an den Banquier Baron Türkheim in Straßburg verheirathete. Ebenso hatten Frau Sophie la Roche und ihre Enkelin Bettina Brentano, nachherige Frau von Arnim, damals ihren Wohnsitz in Offenbach. Man sieht also, wie Kunst und Poesie damals in Offenbach zur Verschönerung des Lebens in geschwisterlichem Vereine gestanden haben und wie dem Fürsten Wolfgang Ernst dem Zweiten, der sich nachmals dem aufsteigenden Gestirne Napoleon’s des Ersten mit Begeisterung zuwendete, das Verdienst gebührt, Gewerbfleiß und Kunst in Offenbach beschützt zu haben.
Unter den Fremden jener Zeit ist wohl Niemand merkwürdiger geworden, als ein geheimnißvoller hebräischer Heiliger, das Haupt einer jüdisch-christlichen Secte, den sein Anhang für den verkörperten Gott und für unsterblich hielt und dem die Secte mit der größten Ehrfurcht ergeben war. Man nannte ihn gewöhnlich den Polakenfürst Frank, weil man aus seinem kolossalen Aufwand auf eine fürstliche Herkunft schloß. Allein weder der Name „Frank“, noch die Vorstellung von seiner fürstlichen Würde sind richtig. Es verhält sich damit ganz anders. Der Polakenfürst, ursprünglich ein polnischer Jude Namens Dobrusky, wurde im Jahre 1712 unter der Regierung August des Starken geboren. In seiner Jugend betrieb er die Branntweinbrennerei, welche in Polen ein Haupterwerbszweig ist und dort Arrenda genannt wird, daher diejenigen, welche von polnischen Starosten den Pacht von Branntweinbrennereien nebst dem Ausschankrecht dieses Getränks erstanden, den Namen Arrendatoren erhielten.
Früh regte sich in Dobrusky ein unwiderstehlicher Hang zur religiösen Speculation und Mystik, wozu ihm die Sagen und Legenden aus der grauen jüdischen Vorzeit, welche als Ueberlieferung sich erhalten haben, ein reichliches Material darboten. Er brütete über den Urkunden des Judenthums, den fünf Büchern Mose, welche die Thora (das Gesetz) genannt werden, und vertiefte sich in den Geist der Propheten. Auch beschäftigte er sich mit dem Talmud, welcher die Auslegung des Gesetzes durch die jüdischen Theologen enthält, und glaubte gefunden zu haben, daß diese Auslegung zu starr an dem Buchstaben klebe und den höheren Geist verloren habe. So kam er auf die Geheimlehre der Kabbala, welche neben der Thora als eine uralte Tradition fortbesteht und außer den überlieferten Sagen und Legenden auch uralte, von Gott seinen Auserwählten unmittelbar eingegebene Deutungen des Gesetzes enthalten soll. Das geschriebene Gesetz (die Thora), lehrt die Kabbala, sei nur die äußere Hülle, gleichsam der Schleier, unter welchem höhere Offenbarungen Gottes verborgen lägen. Nur der könne den Schlüssel dazu finden, welcher unmittelbar von Gott erleuchtet sei. Diese höheren Offenbarungen seien schon früher dagewesen, als die Gesetzgebung auf dem Berge Sinai. Sie seien schon dem ersten Menschen Adam, dann dem Patriarchen Abraham als Stammvater der Juden, auch Mose selbst und dem Wiederhersteller des Gesetzes, Esra, welcher um 480 vor Christi lebte, zu Theil geworden und wären auf den auserwählten Kreis der Erleuchteten vererbt worden.
Alt ist die Kabbala allerdings, aber sie enthält keine unverfälschte und lautere Ueberlieferung und hat vielmehr in Folge des Aufenthalts der Juden in Aegypten und im babylonischen Exil vielerlei fremde Zuthaten aufgenommen. Daher finden sich in ihr viele Anklänge der ägyptischen Mysterien und Hieroglyphen, babylonische Sprachfiguren und griechische Philosopheme deutlich abgespiegelt, und gerade dies giebt ihr etwas Geheimnißvolles, welches phantasiereiche Menschen anzieht.
Unter den jüdischen Gelehrten und Schriftstellern, die als Kabbalisten bekannt geworden sind, nimmt Einer den ersten Rang ein. Dieser Mann ist der Rabbi R. Simon Ben Jochai, der im dreizehnten Jahrhundert gelebt hat. Er hat ein Buch unter dem Titel „Sohar“ (Glanz) geschrieben, in dem alle überlieferten kabbalistischen Lehren zusammengetragen sind. Dieser Sohar ist die eigentliche Bibel der Kabbalisten geworden und handelt von dem göttlichen Wesen, seinen verborgenen Eigenschaften, seinen verschiedenen Namen und seinen Einwirkungen auf die Welt. Namentlich wird im Sohar betont, daß Gott schon mehrmals auf Erden in Menschengestalt erschienen sei, gegessen, getrunken habe etc. Um aber dem Einwand zu begegnen, daß Gott bei seinem Eingeschlossensein in einem menschlichen Körper außerhalb desselben nicht existiren könne, stellt der Sohar die Lehre von den drei Parzusim (Gestaltungen) auf, nach welcher Gottes Wesen aus drei Persönlichkeiten bestehe, von denen zwei in der Welt verkörpert leben könnten, ohne die Einheit Gottes aufzuheben.
Die Kabbalisten erkannten in dem Buche Sohar ihre eigentliche Glaubensquelle und es bildete sich unter den Juden in Polen, Mähren, Böhmen, Ungarn bis in die Türkei hinein eine Secte, die sich den Namen Sohariten beilegte und von den übrigen Juden, da sie den Talmud als die buchstäbliche Erklärung verwarf und im Worte einen tieferen Sinn suchte, angefeindet wurde. Auch hatte diese Secte das Eigenthümliche, daß sie an zwei Messias glaubte, einen aus dem Stamme Joseph’s, der aber getödtet worden und unter dem sie vermuthlich Jesum Christum verstand, und einen aus dem Stamme David’s (?), der die durch Jerobeam getrennten Stämme von Juda und Israel wieder vereinigen würde.
Für diesen zweiten Messias galt bei der weitverbreiteten Secte ein Mann, der Sabbathai Zewy hieß und im Jahre 1625 in Smyrna, also im türkischen Reich, geboren wurde. Dieser phantasiereiche und unternehmende Kopf, der schon in seiner Jugend hervorragende Talente verrathen und sich in den Sobar eingelebt hatte, stand bei der Secte im ganzen türkischen Reiche im höchsten Ansehen und bezeichnete sich in seinen Ausschreiben förmlich als den Gesalbten des Gottes Jakob’s, als den erwarteten Messias, indem er zugleich verhieß, „daß sein Reich bald offenbar werden, die Krone vom Haupte des Sultans fallen und ihm aufgesetzt werden würde.“ Jedoch konnte er wegen heftiger Verfolgungen, die sich
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_521.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2024)