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Seite:Die Gartenlaube (1866) 035.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Sie sind hier aus der Gegend,“ begann sie, „und wissen gewiß auch etwas von der Geschichte des alten Schlosses. Erzählen Sie mir davon ein wenig.“

„I nu freilich,“ entgegnete die alte Haushälterin. „Lindhof, wo ich geboren bin, hat ja den Herren von Gnadewitz seit undenklichen Zeiten gehört, und, sehen Sie, in so einem kleinen Orte, da dreht sich nachher Alles um die Herrschaft, der man unterthänig ist. Da geht nichts verloren, was Besonderes im Herrenhause vorfällt; das vererbt sich auf Kind und Kindeskinder, und wenn den vornehmen Leuten schon lange kein Zahn mehr wehe thut, da erzählen sich die Bursche und Mädchen im Dorfe noch ihre Geschichte.

Da war meine selige Urgroßmutter, die ich noch recht gut gekannt habe, die wußte Dinge, daß einem die Haare zu Berge standen. Sie hatte aber einen heiligen Respect vor denen auf Gnadeck und duckte mich mit ihren beiden zitternden Händen immer ganz tief auf den Boden, wenn die Herrschaft vorbeifuhr, denn ich war dazumal noch ein kleines Ding und konnte keinen rechten Knix machen … Sie wußte weit, weit in die uralte Zeit hinein die Namen von all’ den Herren, wie sie der Reihe nach da droben gehaust haben, und gar Vieles, was dort wider Gott und Recht geschehen ist.

Wie ich nachher auf das neue Schloß kam und die großen Säle fegen mußte, wo sie Alle abgemalt waren, von denen vielleicht jetzt kein Staubkörnchen mehr übrig ist, da habe ich manchmal dort gestanden und mich gewundert, wie sie doch ganz und gar nicht anders ausgesehen haben, als andere Menschenkinder auch, und haben doch ein Wesens von sich gemacht, als ob sie der liebe Gott in eigener Person auf die Welt ‘runtergebracht hätte. … Von Schönheit war bei den Weibern nicht viel zu sehen, desto mehr von seidenen Schleppen und Edelsteinen auf der Brust.

Unter den Männern war auch nur Einer, den ich gern ansehen mochte. Der hat aber gar ein liebes, treuherziges Gesicht gehabt und ein Paar Augen, so schwarz wie die Schlehen; und an dem ist’s auch wieder wahr geworden, daß der Beste am meisten zu leiden hat in der Welt. Von allen Anderen in der langen Reihe hat man nichts gewußt, als daß es ihnen gut gegangen ist ihr Lebelang… Viele davon haben Unglück genug in die Welt gebracht und haben sich doch nachher so ruhig auf ihr Sterbebett gelegt, als sei das Alles von Rechtswegen geschehen… Na, um wieder auf den Jost von Gnadewitz zu kommen, der hat ein recht trauriges Schicksal gehabt. Die Großmutter von meiner Urgroßmutter hat ihn selbst gekannt, als sie noch ein kleines Kind gewesen ist. Er hat dazumal nur der wilde Jäger geheißen, weil er den ganzen, geschlagenen Tag nicht aus dem Walde gekommen ist. Auf dem Bilde war er auch im grünen Rock gemalt und hatte eine lange, weiße Feder auf dem Hut, was mir immer so gefallen hat zu seinen kohlschwarzen, lockigen Haaren. Aber gut ist er gewesen und hat keinem Kinde was zu Leide thun mögen. Dazumal ist es den Leuten im Dorfe gar gut gegangen und sie haben gewünscht, es möchte immer so bleiben.

Aber auf einmal ist er eine Zeit fortgewesen; kein Mensch hat gewußt, wo er steckt, bis er endlich bei Nacht und Nebel wiedergekommen ist, ohne daß es Jemand gemerkt hätte… Von der Zeit an war er aber ganz verwandelt… Den Leuten in Lindhof ist zwar nichts entzogen worden, aber sie haben ihren Herrn nicht mehr zu sehen gekriegt. Er hat alle Dienerschaft fortgeschickt und ist im alten Schloß mutterseelenallein mit einem Lieblingsdiener geblieben. Da haben denn endlich die Leute viel gemunkelt von der schwarzen Kunst, die er da oben treibe, und hat sich kein Mensch mehr bei hellem, lichtem Tag auf den Berg getraut, geschweige denn in der Nacht… Die alte Großmutter ist aber in ihrer Jugendzeit gar ein keckes Ding gewesen und hat just erst recht ihre Ziegen bei den Schloßmauern grasen lassen… Nun, und da hat sie einmal ganz still und in Gedanken unter einem Baum gesessen und hat hinübergesehen nach der Mauer, wie die doch so hoch sei und was wohl dahinter stecken möchte. Und da ist mit einem Mal da droben ein Arm, so weiß wie Schnee, hervorgekommen, nachher ein Gesicht – die Großmutter hat erzählt, schöner sei das gewesen als Sonne, Mond und Sterne – und zuletzt hat mit einem Sprunge ein Mädchen droben gestanden, das hat die Arme in die Luft gestreckt, hat etwas gerufen, was die Großmutter nicht verstehen konnte, und wäre um ein Haar hinunter in das Wasser gesprungen, das dazumal um das ganze Schloß herumgelaufen ist. … Aber da hat auf einmal der Jost hinter ihr gestanden, der hat sie umfaßt und mit ihr gerungen und hat gebeten und gefleht, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, und die kohlschwarzen Haare haben ihm vor Angst und Schrecken in die Höhe gestanden. Nachher hat er sie auf seinen Arm genommen, wie ein Kind, und weg waren sie von der Mauer… Dem Mädchen ist aber der Schleier vom Kopf gefallen und ist hinüber geflogen bis zu der Großmutter. Er ist wunderfein gewesen, und sie hat ihn voller Freude mit heimgenommen zu ihrem Vater; der hat ihn gleich voll Schreck in’s Feuer geworfen, weil es Teufelsspuk sei, und die Großmutter hat nie wieder auf den Berg gedurft.

Später – es ist wohl ein volles Jahr herumgewesen, seit der Jost auf Gnadeck so still gelebt hat – ist er auf einmal früh Morgens zu Pferde den Berg herabgekommen; aber Niemand hat ihn kennen mögen, so verfallen war sein Gesicht, und hat wohl noch viel blässer deswegen ausgesehen, weil er kohlschwarz angezogen war. Er ist langsam geritten und hat Jedem, der ihm begegnet ist, noch einmal traurig zugenickt. Dann ist er fortgewesen und ist auch nie wieder gekommen … er ist in der Schlacht erschossen worden, und sein alter Diener auch, der mit ihm war … es war dazumal der dreißigjährige Krieg.“

„Nun, und das schöne Mädchen?“ fragte Elisabeth.

„Ja, von dem hat Niemand weiter eine Spur gehört, noch gesehen… Der Jost hat auf dem Rathhause zu L. ein großes, versiegeltes Paket niedergelegt und hat gesagt, das sei sein letzter Wille. Man solle es aufmachen, wenn die Nachricht von seinem Tode käme. Aber da war eine große, große Feuersbrunst in L., viele Häuser, selbst die Kirchen und das Rathhaus mit Allem, was darin war, sind bis auf den Grund niedergebrannt, und das Paket natürlich auch mit.

In der letzten Zeit soll auch einige Mal der Pfarrer von Lindhof oben bei dem Jost gewesen sein. Der geistliche Herr hat aber still geschwiegen wie ein Mäuschen; und weil er alt war und bald darauf das Zeitliche segnen mußte, so hat er das, was er vielleicht da droben erfahren hat, mit in’s Grab genommen… So weiß nun kein Mensch, was es mit dem fremden Mädchen für ein Bewenden gehabt hat, und es wird auch wohl ein Geheimniß bleiben bis an den jüngsten Tag.“

„Na, genire Dich nur nicht, Sabine!“ rief der Oberförster herüber, indem er seine Pfeife ausklopfte, „es ist besser, die Else gewöhnt sich gleich von vornherein an den schauerlichen Schluß Deiner Geschichten – sag’s nur, denn Du weißt es ja doch ganz genau, daß das schöne Mädchen eines schönen Tages auf dem Besen zum Schornstein hinausgefahren ist.“

„Nein, das glaube ich nicht, Herr Oberförster, wenn ich auch –“

„Drauf schwöre, daß es in der Umgegend wimmelt von Solchen, die jeden Tag zum Scheiterhaufen reif wären,“ unterbrach sie der Oberförster. „Ja, ja,“ wandte er sich zu den Anderen, „die Sabine ist noch vom alten Thüringer Schlag. Es fehlt ihr sonst nicht an Verstand, und sie hat auch das Herz auf dem rechten Flecke; wenn aber der Hexenglaube bei ihr in’s Spiel kommt, da verliert sie Beides und ist im Stande, ein armes, altes Weib, weil es rothe Augen hat, von der Thür wegzuschicken, ohne einen Bissen Brod abzuschneiden.“

„Nu, so schlimm ist’s doch nicht, Herr Oberförster,“ entgegnete die Alte gekränkt, „ich gebe ihr zu essen, aber ich ziehe die Daumen ein und antworte weder ja, noch nein – und das kann mir kein Mensch verdenken.“

Alle lachten über dies Präservativ gegen das Behexen, welch’ ersteres augenscheinlich sehr ernst gemeint war. Die alte Haushälterin aber strich die Möhrenüberreste von der Schürze und erhob sich, um das Abendbrod für die Leute herzurichten, die heute früher essen sollten, denn bis zum Einbruch der Nacht gab es noch tüchtig zu thun im alten Schlosse.


4.

Als Elisabeth am anderen Morgen die Augen aufschlug, verkündete die große Wanduhr drunten in der Stube gerade die achte Stunde und überzeugte sie zu ihrem Verdruß und Schrecken, daß sie sich verschlafen habe. Daran aber war nichts schuld, als ein tiefer, häßlicher Morgentraum… Der goldene, poetische Duft, den ihre Phantasie gestern um Sabinens Erzählung gehaucht hatte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_035.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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