verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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Flasche rothen Tirolerweins, – nur Mutter und Kinder sind scheu und ängstlich zurückgezogen hinter den Ofen des Zimmers und manche verstohlene Thräne mag dabei zur Erde fallen! Der fremde, bärtige Mann ist wieder fort, der Vater des Hauses halt lächelnd einige blanke Brabanter Thaler in der Hand – denn österreichisches Papiergeld gilt bei so schwerwiegender Waare nichts – die Kinder wagen sich eines nach dem andern aus ihrem Versteck hervor; die Väter erzählen von der glänzenden Zukunft, welche ihnen bevorsteht, und der kindliche Unschuldssinn hat bald Alles wieder vergessen; Brod und Erdäpfel sind den Kleinen wieder Braten geworden. Da kommt Ostern heran, mit ihm in diesen hochgelegenen Gebirgsthälern in den seltensten Fällen das Frühlingsgrün. Die Werber stellen sich ein – und das Uebrige wissen wir.
Nicht bloßer Leichtsinn oder Geldgier mögen es sein, welche die meisten der Eltern zu diesem schwersten Schritte treiben, nein, zur Ehre der Menschheit sei es gesagt, ich habe mich selbst davon überzeugt, daß die bitterste Nahrungslosigkeit jene unglücklichen Väter und Mütter zwingt, sich den Händlern in die Arme zu werfen. Und wer wollte die Aermsten dafür verantwortlich machen, wenn sie die Sünde, welcher sie überhaupt nicht ausweichen können, für Geld begehen?
Die Jugend aus den Thälern der Ill hat es zum Transport nach dem Ravensburger Markte besser als jene, welche aus den Thälern der Etsch und Eisack recrutirt ist. Die erstere hat selbst für die rauhe Jahreszeit gebahnte Wege, während diese die wilden Pässe von Finstermünz und den klaftertief eingeschneiten Arlberg passiren muß. Solch eine kleine Gesellschaft traf ich, sie kam trübe und abgemattet über Feldkirch, Hohenembs, Dornbirn und Bregenz des Weges daher gezogen, selbst die wenigen Kreuzer, welche das Dampfboot von letzterem Orte nach Friedrichshafen erfordert, waren an die armen Kleinen nicht gewendet worden; der Händler ging, von den gehabten Anstrengungen sichtlich ermüdet, an der Spitze seiner jugendlichen Begleiter, während diese, ein Anblick zum Erbarmen, mit erfrorenen Gliedern hinter ihm nachschlichen. Es sind dies Bilder des Jammers, die nicht wieder aus dem Gedächtniß verschwinden.
Eilen wir nun nach Ravensburg. Da glänzen die Thürme des Städtchens mit der bunten, glasirten Ziegelbedachung. Auf der Landstraße von Tettnang her ist das bewegteste Leben. Schaar um Schaar der Alpenkinder wird hier dem Markte zugeführt. Auf den Gassen und in den Wirthshäusern ist heute der wohlhäbige schwäbische Bauer die Hauptperson und der heutige Preis der kleinen Marktwaare die Hauptunterhaltung. Mancher Handel ist schon abgeschlossen, einzelne Gruppen von Bauern oder Burschen schlagen mit ihren erhandelten neuen Hirtenbuben oder Mädchen den Heimweg ein. Der Hauptstrom zieht aber nach einem freien Platze außerhalb des Ortes hin, wo der eigentliche Markt gehalten wird und wo die frische Waare ausgestellt ist.
Es ist eben ein Stück Sclavenhandel, man mag sich abmühen, wie man will, die häßliche Sache mit milderem Auge zu betrachten. Da stehen die armen Kinder, aus der Elternhütte herausgerissen, der Macht eines fremden Menschen um so und so viel Thaler überliefert, von der langen Wanderung erschöpft und von Hunger und Kälte gepeinigt, – manche von der Ueberanstrengung zu blödem Hinbrüten heruntergebracht, manche, mit besserer Seelenkraft, schluchzend und weinend. Um sie herum drängt sich die kauflustige Masse, der Bauer oder die Bäuerin, der üppige Sohn des Hauses oder auch der mit dem Auftrag betraute Knecht – die Meisten in der Laune, die der Wein erzeugt, der zu dieser Osterfestlichkeit in ausgiebigerem Maße genossen werden muß. Fragt hier eine einzige Seele nach der Seele in diesen Kindern? Wie beim Schwarzen auf den Märkten jenseits des Oceans ist’s die physische Entwickelung, nach der man, den Preis der Waare abschätzt, auf die der Händler allein hinweist, die sogar nach Möglichkeit untersucht wird und aus welcher Käufer wie Verkäufer ihren Vortheil ziehen wollen. Giebt’s unterm Himmel ein bedauerungswürdigeres Wesen, als so ein Kind, dessen flehendster Blick hier nichts gilt, dem nur der Zufall der besseren Muskeln den höheren Werth verleiht und das aus der heimischen Schaar der Gespielen heraus Jedem folgen muß, der es gekauft hat? Ja, selbst die von den Freunden der Schwarzen Afrikas so oft geschilderten Scenen der Trennung von Familiengliedern fehlen hier nicht: man reißt auch hier die Geschwister beliebig auseinander – ihr Jammer mag den Stein erbarmen, was hilft das? Der Bube muß zum Schwarzwald fort, das Mädchen in die rauhe Alb, so will’s der Handel. Es ist nicht so weit auseinander, – aber für zwei Kinderherzen, die in einer Hütte zusammengewachsen sind, wahrlich, – da ist’s etwas. –
Das ist das Osterfest, zu dem die armen Kinder über den Schnee der Alpen geklettert sind!
Sie arbeitete am Tage für die große Modistin Madame Bernard in der Rue Vivienne und sang am Abend ihre reizenden neckischen Chansons im Café Eldorado, die niedliche Jeanneton, als Eugen Ellernburg sie kennen lernte. Die Kleine hatte einen Ruf in der eleganten Männer- und Frauenwelt. Man kaufte gern in dem Magazin der Madame Bernard und vergaß die ungeheuren Preise, wenn Jeanneton die Cartons öffnete und ihr Köpfchen dazu hergab, sobald die Directrice die verschiedenen Zierlichkeiten ohne Namen in’s rechte Licht stellen wollte. Der Kleinen stand eben Alles zu dem schwarzen kurzen Lockenhaar und dem klaren Bronzeteint, selbst die extravaganteste Erfindung. Und die junge Modistin hatte zugleich so sehr das Benehmen einer Dame der großen Welt, daß die vornehmsten Besucherinnen des Magazins von ihr lernen konnten, wie man eine Beduine vom Nacken gleiten läßt, einen Fächer handhabt, einen Bibi trägt und die Robe schürzt.
Feierte nun Jeanneton in dieser Weise stille Triumphe, so bewunderte man sie Abends laut und rauschend. Sie hatte eine Stimme wie ein Vogel und von Kindheit an hatte sie ihre Umgebung mit ihrem Gesang erheitert, wie das Gezwitscher der Vögel jeder Landschaft die echte und rechte Fröhlichkeit giebt. Niemand sang jene pikanten Lieder, die nur das französische Volk hat, entzückender als sie; es war eine Mischung von Frivolität und Unschuld, die hinreißend wirkte. Und dabei sah sie so frisch und reizend aus, wie keine ihrer Nebenbuhlerinnen. Sie trug immer nur ein weißes Kleid von Mousseline und ein paar Blumen im Haar; aber das Kleid war vom graziösesten Schnitt und weiß wie frisch gefallener Schnee, und die Art, wie sie die Rosen, Granatblüthen und Veilchentouffs zu befestigen wußte, raubte den jungen Männern sehr oft die Besinnung, versetzte die Alten in eine erhöhte Temperatur und erregte den Neid der Frauen. Man verglich ihren Gesang mit dem lustigen Schmettern der Lerche und ihr Lächeln mit dem Sonnenschein im Frühling. Jeanneton sang nur heitere Lieder.
O, dies Lachen der Kleinen! Es war sinnverwirrend und dabei so ansteckend; Niemand widerstand, der sie so singen oder lachen hörte, er stimmte mit ein, wenn auch nicht so silbern. Zuweilen waren sie wohl keck, diese kleinen Chansons, selbst für das Publicum des Eldorado, aber die Lippen, die sie hinausflattern ließen, verschönerten Alles, Jeanneton’s Grazie machte Alles möglich. Man betete die kleine Modistin an, man wollte nur sie hören, man überschüttete sie mit Blumen und lebhaften Zurufen, man wartete nur auf sie im Café Eldorado. Sie war der allgemeine Liebling der Männer wie der Frauen. Wunderbare Geschichten erzählte man sich von ihr. Die kleine Jeanneton haßte alle reichen Männer, und keiner der jungen Elegants, die sich in ihre Nähe drängten, konnte sich eines freundlichen Blickes von ihr rühmen. Ihr Lächeln galt nur den Studenten und den Männern des Volks. Sie nahm keine Besuche an in ihrem kleinen Stübchen in der Rue du Faubourg Poissonnière im vierten Stock, aber sie besuchte mit ihren Gefährtinnen die Bälle der Studenten und Grisetten. Sie tanzte, wie sie sang: es war eine Herzerfrischung sie tanzen zu sehen. Unschöne Bewegungen waren für Jeanneton eine so totale Unmöglichkeit, wie unreine Töne. Sie war immer die Einfachste unter Allen, allezeit jedoch die Reizendste und Begehrteste.
Eugen Ellernburg hatte sie wenigstens ein Dutzend Mal
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)