Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1866) 062.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Webstühle für Tuche, Buckskins und alle wollenen, halbwollenen, baumwollenen und leinenen Zeuge, daneben die zur Weberei nöthigen Vorbereitungsmaschinen, wie Scheermaschinen, Schlichtmaschinen, Aufbäumemaschinen etc., aufgestellt und im Bau begriffen: Der Nachbarsaal ist die sogenannte „kleine Dreherei“, wo über hundert kleinere Drehbänke, und was dahin schlägt, im Betrieb sind und namentlich für den Spinnereimaschinenbau arbeiten. Auf einer und derselben Maschine, deren zwei je ein Arbeiter bedient, werden vier und sechs verschiedene Gegenstände gleichzeitig gebohrt; ebenso sind die meisten Drehbänke für selbstthätigen Betrieb construirt, so daß mehrere gleichzeitig durch einen einzigen Arbeiter bedient werden können.

Auf der Galerie des zweiten Stockes entfährt uns ein Ah! der Ueberraschung. Unter uns entfaltet sich das imposante Bild des Locomotivenbaues in seinen gesammten Verrichtungen und Arbeiten. Im zweiten und dritten Stocke erhalten wir eine Uebersicht so ziemlich aller der verschiedenen Maschinen, welche Wolle und Baumwolle zu feineren und gröberen Garnen spinnen helfen. Es gäbe nichts als eine todte Nomenclatur, wollten wir aufzählen, was für industrielle Werkzeuge und Geräthschaften hier alles construirt, zusammengesetzt und vollendet werden; uns schwindelt, wenn wir all’ das schnurrende, surrende Räderwerk um uns erblicken und uns die hier im Bau begriffenen Maschinen vollendet und auch surrend und schnurrend in Thätigkeit denken. Nur der Hartmann’schen Baumwollen-, Kamm- und Streichgarn-Selfactors (selbstthätige Spinnmaschinen) wollen wir gedenken. Diese Maschinen, an denen Richard Hartmann wesentliche Verbesserungen angebracht hat, genießen eines wohlverdienten Rufes bei allen Fachleuten und bilden einen sehr gesuchten Artikel, so daß im Durchschnitt wöchentlich vier das Etablissement verlassen, um in alle Welt hinaus zu gehen.

Auch die großartige Modelltischlerei, die hellen, geräumigen Zeichnersäle verdienen genauer betrachtet zu werden. Diese Zeichnersäle liegen unmittelbar über dem Comptoir, zu dem eine Wendeltreppe hinabführt und von wo wir unsern Gang antraten. Wir haben somit das eine Gebäudeviereck durchwandert und lenken unsere Schritte von Neuem dem Fabrikhofe zu. Ein inmitten desselben einzeln stehendes Gebäude enthält zwei weitere Anziehungspunkte für uns. Der eine ist die Schraubenschneiderei, wo mittels eines der Fabrik eigenthümlichen Systems Maschinen-Schrauben und -Muttern von kleinster bis zu größter Dimension gedreht, geschnitten und gestoßen werden, so daß wir in kurzer Zeit die schönste Schraube oder Mutter, fertig bearbeitet, mit reinstem, genauestem Gewinde und so sauber hergestellt sehen, daß sich Nacharbeit, durch die Hand nicht mehr erforderlich macht. Der andere Anziehungspunkt ist die Herstellung der sogenannten Stachelwalzen, welche in der Tuchfabrikation zum Aufkratzen des Gewebes benützt werden. Von Knaben bediente kleine Bohrmaschinen bohren in diese Walzen täglich je zweitausend fünfhundert Löcher, in welche dann ein Knabe pro Tag ebenso viele feine Nadeln einsetzt.

Um uns auch die anderen Theile der Riesenanstalt zu beschauen, müssen wir über die Straße hinüber, jenseits deren uns ein neuer Häusercomplex des Hartmann’schen Etablissements aufnimmt. Ein furchtbares Gedröhn schallt uns schon von Weitem entgegen, denn hier haben die Schmiedewerkstätten Platz gefunden. Man denke sich zu beiden Seiten einhundert und zwei Schmiedefeuer brennen und Hunderte kräftiger Arme die wuchtigen Hämmer schwingen, um das glühende Eisen zu bearbeiten; man denke sich fünf große Dampfhämmer, von deren Streichen das ganze Gebäude erzittert, auf mächtige Eisenklötze niederfallend, um sie aus dem Gröbsten zu ihren bestimmten Zwecken vorzubereiten; denke sich drei Schmiedemaschinen thätig, die mit Gesenken in verschiedenartigsten Formen und Dimensionen in fünfhundert Schlägen pro Minute Gegenstände in vollkommenster Weise fertig schmieden, denke sich endlich eine Rundsäge kreischen, welche das warme Eisen schneidet – und man wird ein ungefähres Bild dieser wahren Cyklopenresidenz haben. Ein Funkenmeer sprüht von allen Seiten und würde uns die Passage unmöglich machen, wenn die schwarzen Gesellen nicht artig wären, ihre Arbeit für den Augenblick ruhen zu lassen, in welchem der Besucher eben vorübergeht. Inmitten beider Schmieden arbeiten zwei zwölfpferdige Dampfmaschinen, welche die Kraft geben zum Betriebe der in den Schmieden und anstoßenden Kesselschmieden befindlichen gesammten Arbeitsmaschinen, sowie des Ventilators (ein Rad mit Schaufeln), in den durch die schnelle Umdrehung Luft eingezogen und mittels der Schaufeln mit Vehemenz in eine unterirdisch angelegte, mit Cement ausgemauerte Canalleitung eingetrieben wird, von wo aus sie durch Rohrmündungen bei den Schmiedefeuern sausend entweicht und diese anfacht und unterhält.

An den Schweißöfen vorüber führt unser Weg nach den Kesselschmiedewerkstätten. Hier ist der Lärm kaum erträglich, wenn die stattlichen Gestalten der Kesselschmiede den schweren Hammer mit aller Gewalt auf die Nieten schlagen, welche die bis einen Zoll starken Eisenplatten der Dampfkessel verbinden, während drin in den Kesseln selbst Arbeiter sitzen, den Schlägen mittels Winden Gegenhalt zu bieten. Die praktischen Arbeitsmaschinen, wie die zweckmäßige Einrichtung überhaupt, erheben auch diese Werkstätten anerkanntermaßen mit zu den ersten und vollkommensten, die man kennt. Wir finden hier Blechscheeren und Lochmaschinen, Blechbiegemaschinen, Nieten-Maschinen, auf welchen die Nieten gefertigt, und Kesselnietmaschinen mit eigenem Dampfcylinder, mittels welcher die Kessel genietet werden.

Den Kesselschmieden gegenüber dehnen sich die neuerdings wesentlich vergrößerten Gießereianlagen aus, Sie umfassen fünf Cupolöfen und große Trockenkammern, worin die Lehm- und Massenformen getrocknet werden. Je nachdem es die Beschaffenheit der zu fertigenden Gegenstände erheischt, gießt man hier sowohl in Sand-, als in Lehm- und Massenformen. Tagtäglich werden gegenwärtig ungefähr vierhundert Centner Eisen geschmolzen; jetzt sollen die Einrichtungen eben derartig erweitert werden, daß bis zu fünfhundert Centner Eisen täglich gegossen werden können.

Unweit der Gießerei öffnet sich eine Reihe uns wieder vorzugsweise interessirender Räume, die riesigen Modellsäle, in denen die verschiedenen Modelle der in der Anstalt gelieferten Maschinen und Werkzeuge auf bequem zugänglichen Regalen zusammengehörig geordnet und auf aufgehängten Tabellen übersichtlich verzeichnet sind. Wie groß die Anzahl der hier aufgesammelten Modelle ist, wird aus dem einen Beispiele erhellen, daß für den Dampfmaschinen-, Turbinen-, Mühlen-Anlagen-, sowie Werkzeugmaschinenbau allein über zweitausend Radmodelle vorhanden sind.

Die Krone des Ganzen haben wir uns bis zum Schlusse aufgespart – die im Aeußeren und Inneren prachtvollen Werkstätten für den Werkzeug- und Dampfmaschinenbau, eines der größten Gebäude, die wohl zu ähnlichen Zwecken errichtet worden sind, mit einer Gesammtlänge von zweihundert und zehn Ellen und einer Tiefe von fünfundvierzig Ellen, der zweistöckige Mittelbau einhundert und zehn Ellen, jeder der beiden Flügel fünfzig Ellen lang, das Ganze von zwei Reihen eiserner, doppelter Säulen getragen, umzogen mit einer breiten Galerie, von der aus der kolossale Bau einen imposanten Eindruck gewährt. Seine architektonische Schönheit macht das Gebäude überhaupt zu einer Zierde der Stadt. Die mehr als sechs Ellen hohen und fast drei Ellen breiten Bogenfenster, wie das in den Flügeln vorgesehene Oberlicht geben eine ausgezeichnete Beleuchtung. Zwei Laufkrahnen werden zum Heben und Transportiren schwerer Gegenstände benützt, die Communication der Galerien mit dem Parterre wird durch fünf Treppen (theils Wendeltreppen), sowie durch Fahrstühle hergestellt und der Betrieb durch eine am Ende des Gebäudes angelegte fünfzigpferdige, horizontale Woolf’sche Dampfmaschine bewirkt, die mit ihren beiden Kesseln selbst wieder ein glänzendes Zeugniß für die Höhe des heutigen Maschinenbaues abgiebt.

Die Werkstatt-Einrichtung selbst ist, allem Andern entsprechend, ein Bild der größten Zweckmäßigkeit und Gediegenheit, großartig in Anlage und Leistung. Zu unserer Freude bemerken wir, daß fast sämmtliche der in der Anstalt thätigen Hülfsmaschinen das Fabrikzeichen „Richard Hartmann“ tragen, mithin im Etablissement selbst gebaut sind. Von den Maschinen, mit deren Herstellung man bei unserer Anwesenheit beschäftigt war, bot uns die Geschützbearbeitungsmaschine ein besonderes Interesse. Sie ist für gußstählerne Geschütze bis zu elfzölligem Kaliber und fünfhundert Centner Feingewicht bestimmt und bis jetzt für in- und ausländische Arsenale, sowie für rheinische Gußstahlwerke schon bedeutend bestellt und geliefert worden. In der Abtheilung des Dampfmaschinen- und Turbinen-Baues fanden wir eine einhundert und fünfzigpferdige Wasserhaltungsmaschine von achtundvierzig Zoll Cylinderdurchmesser und neunundsiebenzig Zoll Kolbenhub, eine Schiffsmaschine, Wasserräder, von den Tangentialrädern in kolossalem Durchmesser bis

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_062.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
OSZAR »