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Seite:Die Gartenlaube (1866) 092.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Die Wasserleitung der Stadt Leipzig.
Von Wilhelm Hamm.


Mit dem ersten Tage des laufenden Jahres hat die Stadt Leipzig ein Geschenk erhalten, auf welches sie stolz sein darf: es ist ihr an diesem Tage die neue Wasserleitung übergeben worden. Zwar fehlte und fehlt es der Stadt keineswegs an Wasser, sie liegt mitten in einem engmaschigen Flußnetz, welches ihr nicht selten mehr davon zukommen läßt, als sie gebrauchen kann, besitzt viele vortreffliche Brunnen und außerdem zwei sogenannte Wasserkünste, welche, durch die Stromkraft betrieben, das Flußwasser der Pleiße in die Stadt vertheilen. Nichtsdestoweniger waren Rath und Stadtverordnete Leipzigs einstimmig der Ansicht, daß die Beschaffung eines wirklich guten Wassers eine der ersten Aufgaben der Wohlfahrtspolizei und ein Zuviel in dieser Hinsicht gar nicht denkbar sei. So entstand mit Rücksicht auf das von Jahr zu Jahr in außergewöhnlichem Maße steigende Wachsthum der Stadt und ihrer Bevölkerung die neue Wasserleitung. Sie ist so musterhaft angelegt und ausgeführt, daß ihre Beschreibung einen Ehrenplatz in der Gartenlaube verdient, anderen Städten und deren Behörden zur Beherzigung und Nacheiferung!

Den Segen guten Wassers in ausreichender Menge recht würdigen lernt nur der, welcher ihn längere Zeit hindurch hat entbehren müssen. In den starkbevölkerten Städten steht nur allzuhäufig neben dem „Tod in der Luft“ der „Tod im Wasser“! Seit Jahrhunderten hat sich der Erdboden vollgesogen mit Fäulnißstoffen der Auswürfe, welche von der Feuchtigkeit der Niederschläge und dem Grundwasser weiter gespült werden, bis sie aus den durchlassenden Untergrundschichten in die Brunnen sickern, welche, von gewöhnlichen Handarbeitern ohne Kenntniß und Ueberlegung ausgeführt, sich meistens allzu nahe an den Heerden jener Miasmen befinden. Eine dauernde Brunnenvergiftung tritt ein, gegen die es kein Mittel giebt. Der Mensch ißt und trinkt den Tod in dem Wasser, das er zum täglichen Gebrauche schöpft. Es ist durch die neuesten Forschungen bis zur Ueberzeugung erwiesen, daß das Grundwasser der Träger und Verbreiter der Krankheitsstoffe der Cholera, des Typhus ist; die Wenigsten wissen, daß auch die Eingeweidewürmer, Tänien, Ascariden, Filarien (vielleicht sogar auch die Trichinen!) etc. mit größter Wahrscheinlichkeit durch das Brunnenwasser in den menschlichen Körper gelangen. Das sicherste Mittel gegen den Tod im Wasser sind aber die Wasserleitungen. Das haben schon die Alten erkannt, vor allen Andern die Römer. Noch heute zeugen in Italien und Iberien, am Propontis und am Rhein mächtige Trümmer von der Großartigkeit ihrer Aquäducte.

Bei dem Drang nach Centralisation, der unsere Zeit auszeichnet, und dem Anwachsen der Städte in seinem Gefolge reichen gewöhnlich die vor vielen Jahren angelegten Wasserversorgungsanstalten in gegebener Frist nicht mehr aus und dann gilt es, deren neue schaffen. Da fragt es sich nun zunächst: Wie groß ist der völlig hinreichende Wasserbedarf per Kopf der Bevölkerung und Tag? Die Leistungen der altrömischen Aquäducte, selbst die Annahmen in südlichen Ländern darf man dabei für den gemäßigten Himmelsstrich nicht zur Unterlage nehmen. Sammelt man dagegen die bisherigen Erfahrungen der Neuzeit in Deutschland, Frankreich und England, so kommt man zu dem bescheidenen Resultat, daß der Wasserbedarf einer Bevölkerung, alle gemeindlichen Zwecke mit einbegriffen, sich durch drei bis vier Kubikfuß täglich vollkommen hinreichend decken läßt. Darnach würde die Stadt Leipzig gegenwärtig täglich mit 350,000 Kubikfuß Wasser versorgt werden müssen.

Dieses Quantum zu liefern vermochten die beiden alten Wasserkünste der Stadt – die schwarze und die rothe Kunst – ebensowenig, wie ein zu allen Zwecken taugliches Wasser zu spenden. Im Gegentheil war theils durch die jetzt schon oberhalb der Werke stattfindende Inficirung der Pleiße, theils durch die Verschlämmung der Leitungen das Röhrwasser nach und nach so verschlechtert geworden, daß es nur noch zu den allerniedrigsten Gebrauchszwecken zu verwenden war. Gleichzeitig hatte sich bei einer gründlichen chemischen Untersuchung der in der Stadt angebrachten Pumpbrunnen die erschreckende Wahrnehmung ergeben, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl derselben ein für den Genuß unbrauchbares Wasser enthalte. Hier war also Abhülfe dringend geboten und mit Energie ward sofort danach gestrebt, sie zu schaffen. Nach vielen Plänen und Versuchen, welche anfänglich sich vorzugsweise auf Beibehaltung der Wasserkünste, etwa mit Hinzufügung einer Hülfsdampfmaschine gründeten, aber sämmtlich später verworfen werden mußten, entschloß man sich, dem Beispiele Hamburgs, Magdeburgs, Berlins zu folgen und eine eiserne Röhrenleitung zu schaffen, da die vorhandenen hölzernen Röhren doch nicht vergrößert werden konnten. Der Baudirector des Rathes der Stadt Leipzig, Ferdinand Dost – dessen große Verdienste wir hiermit dankbar anerkennen – entwarf die ersten Pläne zur erneuten Wasserversorgung seiner Mitbürger. Zunächst ergab sich das überraschende Resultat, daß die sämmtlichen Kräfte der alten Künste bei niedrigen Wasserständen – wie sie in den Jahren 1857 und 1858 vorgekommen waren – nicht mehr als 121,000 Kubikfuß Wasser, also nur den dritten Theil des Bedarfs zu liefern vermöchten. Damit war über sie der Stab gebrochen; die Angelegenheit trat in neue Phase; man ließ das Alte, das Halbe fallen und beschloß das Ganze, das Richtige: die Anlage einer neuen Wasserleitung mit Dampfmaschinenbetrieb. Technische Schwierigkeiten fürchtete man dabei nicht, vorausgegangene Beispiele anderer Städte hatten gezeigt, daß die ausgebildete Mechanik unserer Tage selbst solche zu überwinden vermag, welche unbesiegbar scheinen.

Vor Allem war nunmehr die Auffindung ergiebiger Quellen in erforderlicher Lage die Hauptsache. Rathsbaudirector Dost fand dieselben auf den sogenannten Bauerwiesen, südlich oberhalb der Stadt, bei dem Dorfe Connewitz, dicht an dem Pleißeflusse gelegen. Ein daselbst schon im Jahre 1860 angelegter Versuchsbrunnen von einhundert Quadratellen Oberfläche gab bei fünf Ellen Tiefe außerordentlich reichliches Wasser von einer Qualität, die nach den chemischen Analysen der Professoren Kühn und Hirzel wie auch nach praktischen Versuchen zu jedem häuslichen Gebrauch nichts zu wünschen übrig ließ. Nach dieser glücklichen Entdeckung war über die Hauptsache kein Zweifel mehr vorhanden; mit Einmüthigkeit beschlossen die Vorstände der Gemeinde das neue Werk, und übergaben die Ausführung desselben den bewährten Ingenieuren Grisell und Docwra aus London unter festbestimmten Modalitäten, während die Stadt selber sich die Verwaltung und den Betrieb vorbehielt.

Nach dieser geschichtlichen Einleitung kommen wir nunmehr zu der eingehenden Beschreibung der Leipziger Wasserleitung, wobei wir mit besonderem Dank zu bemerken nicht unterlassen wollen, daß uns authentische Unterlagen dazu von dem städtischen Raths-Bau-Amte bereitwilligst zur Verfügung gestellt worden sind. Die erforderlich gewesenen Bauanlagen und Leitungen lassen sich in drei Kategorieen bringen: 1. Die Stammanlage. 2. Die Hochanlage. 3. Das Röhrennetz.

Die erstere, die Stammanlage, befindet sich auf dem obengenannten Quellenterrain und umfaßt ein Maschinenhaus, ein Kesselhaus, einen Kohlenschuppen, Wohnungen für Maschinenmeister und Heizer. Diese Gebäulichkeiten stehen in der Nähe von zwei Sammelbrunnen, aus welchen vermittels eiserner Heber das Wasser dem Pumpbrunnen des Maschinenhauses zugeführt wird. Die ersteren werden von jenen vorerwähnten mächtigen Quellen gespeist, welche der unter der Wiesennarbe gelagerten Kiesschicht entspringen und Sommers wie Winters stets eine gleiche Temperatur von sieben und einem halben Grad Réaumur zeigen. Mit dem einen dieser Sammelbrunnen steht der nicht weit davon vorbeifließende Pleißefluß durch einen neunhundert Ellen langen Canal zu dem Zweck in Verbindung, um zur Aushülfe dienen zu können, wenn einmal die Quellen nicht mehr ausreichen sollten. Das Flußwasser passirt jedoch, bevor es in den Sammelbrunnen gelangt, ein Filtrirbassin mit Kies und Gerölle, um darin alle etwaigen Unreinigkeiten abzusetzen. Das Maschinenhaus enthält zwei Dampfmaschinen, von welchen jede stark genug ist, um den gesammten Wasserbedarf von vier Kubikfuß in der Secunde zweiundsiebenzig Ellen hoch zu heben. Nur eine davon ist in stetem Gange, die andere dient als Reserve, damit keine Stockung des Betriebes durch nothwendige Reinigung oder Reparatur eintreten kann. Zur Dampferzeugung sind vier Kessel vorhanden, drei davon reichen zur Unterhaltung des stärksten Betriebes hin. Der Kohlenschuppen steht mit dem Kesselhaus derart in unmittelbarer Verbindung, daß die Heizer beim Kohlenholen die Kessel nicht aus den Augen verlieren.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_092.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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