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Seite:Die Gartenlaube (1866) 232.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Wirf das Geldtäschchen weg!“

Es geschieht, jedoch nicht, ohne vorher einen Schilling, welcher bisher zwischen den Lippen aufbewahrt worden, zu Gunsten des Wärters besagtem Täschchen einzuverleiben.

„Hast Du Handschuhe, Molli?“

Sie sieht sich um, bemerkt aber, daß die, welche ihr Frau N. N., eine wohlwollende Freundin, mitgebracht, bereits zerrissen sind (Molli hat nämlich auch die Unart, an den Handschuhen zu kauen), also nicht angezogen werden können.

„Schließ die Thür auf!“

Das ist ein schweres Stück Arbeit; denn die Thür ist mit zwei drehbaren, mittels eines Dornenschlüssels zu öffnenden Schrauben gegen alle Bestrebungen eines erfinderischen Affengehirns versichert. Molli weiß aber Bescheid und dreht so lange in entsprechender Richtung, bis die Thür sich öffnet.

„Gieb mir die Hand, Molli.“

Sie thut es.

„Nein, die andere.“

Sie wechselt.

„Willst Du die Peitsche?“

„Oh, oh, oh!“ – bedeutet: „Ganz gewiß!“

„Aergern Dich die Paviane?“

„Oh, oh!“

„Prügle sie!“

Molli steigt auf das Schutzgeländer vor dem Käfig der Mantelpaviane und peitscht mit sichtlichem Vergnügen auf ihre Verwandten los. Diese werden rasend vor Wuth, klappen die Zähne bei geschlossenen Lippen zusammen, hüpfen ellenhoch vom Boden auf, haschen nach der Peitsche, nehmen sich aber doch in Acht, sich preiszugeben, denn der Pseudanthropos spaßt nicht und läßt seine Halbmenschlichkeit merken. Endlich scheint das Maß der Strafe erfüllt zu sein, und der Weg wird fortgesetzt.

Es geht sich für einen Schimpanse schlecht Hand in Hand mit einem Menschen. So behend er auf allen Vieren dahin läuft – mag es auch aussehen, als ob der nur diesen Affen eigene, schwer zu beschreibende, vertrackte Gang sehr ermüde – so schwer wird es ihm, in aufrechter Stellung zu gehen. Daher ladet Molli denn auch den ersten Vorübergehenden durch eine freundliche Darreichung der Hand ein, ihn führen zu helfen. So, gehalten von beiden Seiten, strampelt sie ziemlich rasch auf beiden Hinterbeinen weiter.

Eine Knabenschaar stellt sich in den Weg, Molli umringend.

„Mach’ Dir Platz, Molli!“

Sie greift sofort nach der Peitsche und öffnet sich im Nu eine Gasse durch die Umlagerer.

Mehrere Mädchen thun Dasselbe, wie die Knaben. Molli will die Peitsche wieder handhaben.

„Pfui, Molli, das sind ja Mädchen!“

Sie läßt augenblicklich die Peitsche fallen und reicht dem kühnsten Backfisch die Hand hin, zum Zeichen der Freundschaft.

Inzwischen ist der Teich erreicht worden.

„Sieh Dir die Enten an!“

Sie betrachtet die Enten mit der Sinnigkeit eines Naturforschers. „Die Gänse auch!“ – Die Gänse werden ebenfalls auf das Sorgfältigste gemustert. „Und den schwarzen Schwan!“ Auch er wird einer Prüfung unterzogen.

In der Nähe der Raubthierkäfige bekundet sie eine namenlose Angst und ist durch kein Zureden zu bewegen, näher, als ihr gutdünkt, heranzukommen; am Gehege der Guanacos bemüht sie sich nach Kräften, die eingepferchten, leicht reizbaren Thiere zu erzürnen, und thut es niemals ohne Erfolg; den Hund, welcher wüthend nach ihr schnappt, aber sie wegen der ihn fesselnden Kette nicht erreichen kann, foppt, minder wehrhafte Thiere erschreckt sie. Bei einem Pferch wird sie unruhig, denn die ihn bewohnenden Stachelschweine haben ihr einmal gezeigt, was die bekannten Federhalter zu bedeuten haben, so lange sie von ihren Erzeugern noch gehandhabt werden.

„Soll ich einen Stachel holen?“

Molli krümmt sich, wie der kitzlige Handwerksbursch vor dem auf seine Haut deutenden Wegweiser.

„Hast Du Zuckerwasser verdient?“

„Oh, oh, oh!“

Man geht nach der Wirthschaft. Molli schlägt auf den Tisch wie ein Stammgast; ihrem Befehl wird eilfertig Folge geleistet und – nun, das Uebrige hat ja Leutemann viel besser gezeichnet, als ich es beschreiben kann. Nur so viel muß ich noch sagen: Vor dem Genuß des Zuckerwassers geht Molli nicht wieder nach Hause! – – –

Was könnte ich noch Alles von Molli erzählen! Vieles, sehr Vieles! Ich mag aber den demokratenfarbigen Stift „einer verehrlichen Redaction“ nicht heraufbeschwören und eile zum Schluß. Er ist traurig genug!

Während ich diese Zeilen schreibe, liegt Molli im Krankenzimmer, und leider ist wenig Hoffnung, sie genesen zu sehen. Sie hat die Schwindsucht mit all’ ihren Erscheinungen, scheinbaren Hoffnungen und der sicheren Voraussicht ihres Verlaufes. Auch, oder richtiger, gerade in ihrer Krankheit zeigt sie sich menschenähnlich, menschlicher, als je. Wer sie sieht, fühlt fast ebenso, als wenn er einen Menschen unter ähnlichen Umständen vor sich sieht. Doch ich will keine Krankengeschichte schreiben?[1]

Arme Molli! Du wirst sehr bedauert und schwer vermißt werden, wenn erst Dein Balg auf dem Museum steht. Aber auch Dein thätiges Hirn wird dort aufbewahrt werden, damit Jedermann, welcher es versteht, sehe, wie ähnlich es, trotz aller „organisirenden Kraft“, dem Menschenhirn ist.




Der kranke Verfasser des Walladmor.


Wer zu Anfang der dreißiger Jahre Nachmittags seinen Kaffee bei Stehely trank, der allbekannten Conditorei Berlins, und so glücklich war, ein gewünschtes Journal aus den Armen des sogenannten Journaltigers erobert zu haben, der bekanntlich zur festgesetzten Stunde auf die Minute eintrat – er soll Schreiblehrer an mehreren Schulen gewesen sein – rechts und links alle Zeitschriften und Zeitungen ergriff, so viel er deren erreichen konnte, um sich auf einige zu setzen, andere unter dem rechten und linken Arm festzuhalten, während er eins der Blätter eifrig las und studirte, bis er sie alle gelesen, der wird sich auch eines Mannes erinnern, der schüchtern einzutreten pflegte, mit etwas gebücktem Oberkörper, während der kleine schwarze Schnurrbart, wie um Verzeihung bittend, daß er überhaupt da sei, unter der Nase hervorschaute. Es war Wilibald Alexis – Wilhelm Häring, geb. 1798 zu Breslau – der pensionirte Referendarius, wie er sich selber wohl scherzweise zu nennen beliebte, wenn er seiner juristischen Carriere gedachte, die er, um sich ganz dem Schriftstellerthum zu widmen, aus eigenem Antriebe aufgegeben und verlassen hatte. Seine Bekannten und Verehrer nannten ihn damals schon den deutschen Walter Scott, während das deutsche Element sich später mehr auf das preußische, zuletzt vorzugsweise auf das märkische reducirte. Der geniale Verfasser des Cabanis, mit seinem prächtigen längst zum Volksliede gewordenen „Fridericus Rex, unser König und Herr“ – Alexis ist auch ein zwar wenig gekannter, aber kernhafter Dichter – verengte sich selber mehr und mehr den Kreis seines Schaffens, um zuletzt fast gänzlich und einzig allein im märkischen Sande haften zu bleiben. Der Sand der Mark und die Kiefern ihrer Waldungen bilden die Staffagen seiner Landschaftsbilder. Ein überaus guter, prächtiger Kern liegt in dem Herzen des Verfassers, er liebt sein Vaterland, sein Preußen, und vorzugsweise die Mark Brandenburg, mit Berlin an der Spitze, die ihm zur Heimath geworden, mehr denn Schlesien. Das zeigt sein Roland von Berlin, sein markiger Roman: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Und wer „die Hosen des Herrn von Bredow“, seinen „falschen Waldemar“, hie und da gern anders gestaltet haben möchte, der bedenke die Zeit, die geschildert wurde, die Männer und Frauen, um die das Ganze sich künstlerisch gruppiren mußte. Wie wenig war dazumal, als jene Bücher erschienen, überhaupt für die Geschichte der Mark gethan; es gehörte ein Muth, eine Thatkraft dazu, in diesen unangebauten Schacht hinabzusteigen, der Bewunderung

  1. Die Hamburger Blätter haben vor wenig Tagen Molli’s Tod gemeldet.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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