verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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weggestorben Knall und Fall und mitten im Brautstand und hat den Bruder allein zurückgelassen mit einem verschuld’ten Hof und – mit ein’ Kind ohne Mutter …“
Die Hauserin sah vor sich hin; die Nadeln standen still – sie ließ vergangene Tage innerlich an sich vorüber ziehen.
„Ich denk’s noch wohl,“ sagte sie dann nickend, „es war um dieselbe Zeit, wo der Schwager mit der Nothburg, der Schwester selig, angebandelt hat … O du heiliges Kreuz, was hab’ ich Verdruß und Herzleid aussteh’n müssen wegen Euch Zwei!“
„Ja, ja – eine betrübte Zeit!“ sagte Brunnhofer. „Aber schön ist’s doch gewesen … was gäb’ ich d’rum, wenn ich die gute Nothburg aus der Gruben holen könnt’ …“
Die Pfeife war ihm ausgegangen; er legte sie neben sich auf die Bank, neigte sich leise vor und faltete nachsinnend die Hände über den Knieen. „Ist mir auch, als wär’s gestern, daß ich das erste Mal mit ihr getanzt hab’ auf dem Miesbacher Kirchweih’, und als wär’s gar nit wahr, daß sie gestorben ist, und sie müßt’ jeden Augenblick herein kommen bei der Thür und mich anlachen, wie dazumal … Nachher,“ fuhr er nach kurzem Innehalten erzählend fort, „nachher ist ein Befehl heraus’kommen vom König, es hat neue Mannschaft fort müssen in den Krieg und das hat mich auch getroffen – denn es ist nimmer erlaubt worden, daß man sich einen Mann stellen darf, und ich hätt’ auch das viele Geld nit gehabt dazu! – So bin ich halt noch hinüber zu meiner Seligen und hab’ ihr B’hüt Gott sagen wollen für die Ewigkeit, denn an ein Wiederkommen war nicht zu denken und wenn auch – für mich wär’ doch keine Aussicht gewesen bei der reichen Bauerntochter …“
„Ja, ja, dasselb’ ist schon wahr,“ nickte die Schwägerin, „der Vater hätt’s niemals zu’geben, niemals nit!“
„Das haben wir auch eing’seh’n, ich und die Nothburg, und haben Abschied genommen voneinander, an einem Waldspitz vor einer kleinen Feldcapellen, und haben geflennt, daß sich ein Stein hätt’ erbarmen können. Wie wir dann auseinander sind, bin ich in meiner Betrübniß noch eine Weil’ sitzen geblieben – da ist auf einmal der Bruder, der Andrä, hinter mir gestanden, der ist in der Capellen drin’ gewesen und hat gebet’t und hat drüber Alles mit angehört … .‚Steffel,‘ hat er gesagt, ‚ich weiß jetzt, wie’s bestellt ist mit Dir – versprich mir’s als Bruder, daß Du Dich um meinen Buben, den Vestl, annehmen und daß Du ihn halten willst wie Dein leibliches Kind – nachher will ich Dir helfen, Dir und der Nothburg …‘ Ich hab’ ihn groß und klein angeschaut vor lauter Verwunderung und hab’ mir nit gleich einbilden können, was er meinen könnt’, aber ich hab’ ihm versprochen, was er verlangt hat, mit Herz und Hand – d’rauf ist er fortgewesen, wie er ’kommen ist … und Tags d’rauf war er in der Stadt und hat sich statt meiner gestellt und ist Soldat worden für mich … Dem Vater hat er gesagt, er wollt’ den Brunnhof nit, er wär’ ihm verleidt – er wollt’ sich trösten und einen braven Soldaten abgeben für den König und für’s Land; das Gut sollt’ er mir übergeben, damit ich die Nothburg sollt’ heirathen können, und sollt’ mir besser geh’n, als es ihm gegangen …“
Der Hauserin waren Thränen in die Augen gekommen. „Das ist freilich ein and’res Korn,“ sagte sie und drückte ihren Strumpf vor’s Gesicht … „der gute der arme Mensch! …“
„Ich bin noch einmal hinein in die Stadt,“ begann der Bauer wieder, „den Tag bevor sie ausmarschirt sind nach Rußland … ich hab’ ihm noch einmal B’hüt’ Gott gesagt und hab’ ihm noch einmal meine Hand gegeben und mein Versprechen; d’rauf haben sie angefangen zu blasen und zu trommeln und sind fort, ganz lustig und alert, als wenn’s zu einer Lustbarkeit ginge. – Ich bin dann heim und hab’ Alles zurecht gemacht wegen der Uebernahm’ und wegen der Hochzeit, und an dem Tag’, wo wir das erste Mal verkündt worden sind, da ist die Botschaft kommen von der großen Schlacht, wo so viele Tausende zu Grund ’gangen sind in dem grauslichen Winter, und daß den Andrä eine Kugel ’troffen hat und daß sie ihn eingescharrt haben in dem russischen Schnee, der nit eher zergeht, als am jüngsten Tag … Nachher seh’n wir uns wohl wieder, ich und der Andrä, und das ist mein Trost, daß ich ihm dann mit Rechten sagen kann, daß ich mein Wort so redlich g’halten hab’ wie er das seine …“
„Das hat der Schwager gethan – wahrhaftig und redlich …“ schluchzte die gerührte Hauserin.
„Drum will ich’s auch zu Ende bringen,“ sagte Brunnhofer, wieder in den frühern Ton einlenkend. „Ich will’s nit leiden, daß mir der Bub zu guter Letzt’ Alles zernicht’, daß ich einmal vor meinem Bruder dasteh’n müßt wie ein Lugenbeutel … Ich will dem wilden Heinssen (Füllen) einen Zaum auflegen, der ihn bändigen kann! Gut thun muß er und geht’s an Gattern oder Zaun, – anders muß es werden, das sag’ ich und dabei bleib’ ich …“
Er war im besten Zuge, sich wieder in den alten Aerger hineinzureden, als im dunklen Hofraume draußen der Hund laut bellend anschlug und an seiner Kette hin und wider rasselte. „Stern-Sacra!“ rief er aufspringend. „Was giebt’s denn schon wieder? Was hat denn der Sultan, daß er so rebellt?“
„Was wird er haben!“ erwiderte gleichmüthig die Schwägerin. „Vielleicht ist die Katz über’n Hof g’laufen oder er hört einen andern Hund bellen oder es ist eine Kuh los’ worden im Stall … will gleich nachschaun …“
„Eine Kuh los’ worden im Stall?“ polterte der Alte. „Wie kann das sein, wenn sie richtig angehenkt sind? Ich sag’s ja – es geht Alles drunter und drüber! Es ist keine Ordnung im Haus.“
Während dieser Worte hatte er eine Stalllaterne von der Wand heruntergerissen, angezündet und war scheltend den Hausgang entlang dahin gerannt; kopfschüttelnd sah ihm die Hauserin nach und öffnete die hintere Küchenthür. „Alte grantige Zuwider-Wurz!“ murmelte sie, „bis er den Umweg um’s Haus macht, bin ich dreimal im Stall und das ganze Unglück ist wieder gehoben …“
Ein Quartett bei Goethe.
Es war Anfangs November, im Jahre 1821, als drei Mitglieder der weimarischen Hof-Capelle, darunter auch der Schreiber dieser Zeilen, zu dem Herrn Geheimerath von Goethe bestellt, von dem Diener in das bekannte Zimmer, vorn heraus nach dem sogenannten Plan liegend, eingeführt wurden. Drei Pulte standen an der Seite des geöffneten Flügels für uns bereit. Auf demselben lag ein Convolut geschriebener Notenhefte. Neugierig, wie ich in Sachen der Musik immer war und noch bin, blätterte ich darin und las: Studien im doppelten Contrapunkt; ein anderes Heft war überschrieben: Fugen; ein drittes: Kanons. Dann kam: Quartett für Clavier mit Begleitung von Violine, Viola und Cello. Auf allen Heften stand der Name: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die Noten waren mit fester zierlicher Hand geschrieben, und soviel ich bei schnellem Ueberblick bemerken konnte, zeigte die Mache einen tüchtig ausgebildeten Künstler. Der Name Mendelssohn als Musiker war uns unbekannt.
Während wir unsere Instrumente in die Hand nahmen und vorläufig in Stimmung mit dem Clavier setzten, trat ein langer Mann herein, den man seiner militärisch straffen Haltung nach wohl für einen ehemaligen Wachtmeister hätte halten können. Mir war er indeß nicht fremd, ich hatte ihn das Jahr vorher in Berlin besucht, – es war der Professor Zelter, der bekannte Director der Berliner Singakademie, Goethe’s treuer Freund und Duzbruder.
Er begrüßte uns freundlich und mich als „alten Bekannten“. „Ich bin voraus gegangen, meine Herren,“ begann er dann, „um vorläufig eine Bitte an Sie zu stellen. Sie werden einen zwölfjährigen Knaben kennen lernen, meinen Schüler, Felix Mendelssohn-Bartholdy. Seine Fertigkeit als Clavierspieler, mehr wohl noch sein Compositionstalent werden Sie wahrscheinlich in einigen Enthusiasmus versetzen. Nun ist aber der Junge eine eigene Natur. Alles Dilettantengejauchze um ihn herum berührt ihn nicht; auf das Urtheil der Musiker aber lauscht er begierig und
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_004.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)