verschiedene: Die Gartenlaube (1867) | |
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und der Philosophie vertheidigen. Mit tiefem Unwillen wandte er sich von jedem Spötter ab, wenn er es nicht vorzog, denselben mit soldatischer Derbheit recht tüchtig abzukanzeln.
In Kellner’s Hotel in der Taubenstraße, welches er in seine besondere Protection genommen und das er bis an sein Ende bewohnte, pflegte er von Zeit zu Zeit auf seinen Zimmern kleine ausgesuchte, mit allem Comfort ausgestattete Herrendiners zu geben. Selten über acht, meistens nur sechs Personen, noch seltener einer der Geladenen unter siebenzig Jahren. Ich figurirte in diesen kleinen Cirkeln als „der junge Herr“. Hofrath Förster, der künftige Biograph Pfuel’s, war stehender Gast. Es gehören diese kleinen Diners zu meinen frohesten, lehrreichsten Erinnerungen.[1] Manchmal kam ich mir unter den alten Herren wirklich vor, als säße ich im Kyffhäuser und längst begrabene Menschen und Dinge würden vor meinen Augen lebendig. Wenn z. B. der geistreiche Fürst Pückler-Muskau, dem der heiße Wüstensand in Afrika das Herz eben so wenig verdorrt hat, wie das Eis der Beresina das des alten Pfuel zu erstarren vermochte, wenn da die beiden Greise mit jugendlichem Feuer ihre Erlebnisse mit dem alten Napoleon erzählten, oder der Letztere vom alten Fritz Geschichten vorbrachte, die er mit angesehen; wenn beide Herren in eine lebhafte Debatte über die Vermählung oder Krönung des großen Corsen geriethen, der sie beigewohnt: da horchte ich, „der junge Herr“, hoch auf; die Stunden bekamen Flügel, die aufgetragenen feinen Schüsseln wurden Schaugerichte, denn Ohr und Gemüth nahmen den ganzen Menschen so in Anspruch, daß die ausgesuchteste Naturalverpflegung vollständig zur Nebensache wurde.
Im Sommer pflegte Pfuel regelmäßig seine weitern Ausflüge zu machen; er verschwand da alljährlich von Berlin, und man begegnete ihm in London, in Paris, in Ostende, in Italien oder in der Schweiz. Während der Ausstellung in London traf ich ihn ganz zufällig, wo er mit unermüdlicher Rüstigkeit gleichen Schritt mit mir hielt, früh Morgens bis Mitternacht rastlos auf dem Straßenpflaster, in den Theatern, der Ausstellung, im Krystallpalast, kurz, wo es Merkwürdiges zu bewundern gab.
Während seiner letzten Abwesenheit von Berlin ereilten ihn doppelte Schreckensnachrichten; ein Sohn, bereits General, war an der Cholera gestorben, der Andere, schlimmer als todt, als Betrüger steckbrieflich verfolgt. Wir zitterten vor dem Augenblick, wo wir ihn wiedersehen würden, zerschmettert, gebrochen, unter dem Eindruck der furchtbaren Familien-Ereignisse. Er kam zurück – in gehobener Stimmung, äußerlich wenigstens. Die große Zeit, welche für Preußen herangebrochen sei, die Glorie des Vaterlandes, die über alle Begriffe großartigen Erfolge desselben müßten auf jeden guten Patrioten einen so überwältigenden Strom des Glückes ausgießen, daß alle Familien-Misère des Einzelnen nicht in Betracht kommen könne. Er wollte es nicht zur Schau tragen, wie tief und heimlich der Schmerz an seinem gebrochenen Herzen sich fressend eingewühlt; gewaltsam übertäubte er sich selbst, das Vaterland, den Ruhm desselben hatte er an Kindes Statt adoptirt. Aber im Stillen nagte der Wurm, im Stillen bezahlte er den Schaden, der den Betrogenen durch die Handlungsweise seines ungerathenen Sohnes erwachsen, im Stillen grämte er sich zu Tode. Ein anfangs unbedeutendes Uebel breitete sich mit ungeahnter Schnelle aus; trotz der aufmerksamsten Sorgfalt seines tüchtigen, vieljährigen Arztes war der alte Herr in wenigen Tagen eine Leiche. Auf dem Tische des Verblichenen lag ein offener Brief mit der Nachricht von der steckbrieflichen Verfolgung seines Sohnes! Friede seiner Asche! Segen seinem Andenken! –
Heut’ erhielt ich einen Brief aus Dresden, ein kleines Blatt, die Buchstaben groß und unsicher, denn die einst so hellen Augen, die über diesen Schriftzügen hingen, sind trübe und müde geworden. Und eine Stelle dieses Briefes war es, die mich so tief ergriff; sie lautete:
„Mein armer unglücklicher Bruder, August Richter, für den Sie sich so warm interessiren[2], lebt noch immer auf unserer Landesirrenanstalt, dem Sonnenstein. Jahre sind vergangen, seit ich, seine arme Schwester, zu Ihnen von seinem Geschick gesprochen. Aber er ist jetzt ruhiger geworden, er zeichnet wieder, ohne das Vollendete zu zerstören. Man hat ihm ein besseres Zimmer gegeben und sogar noch ein Dachstübchen zur Verfügung gestellt, wo er sich eine Art Atelier eingerichtet. Der gütige Professor L … zeigte mir wunderbare Blätter von ihm, Entwürfe voller Kraft und Schönheit, römische Erinnerungen, Klosterhöfe, Refectorien, Mönche, dazwischen wieder Schlachtenscenen, großartige Gruppirungen, gefangene Griechen von Türken geführt, Alles gewaltig und kühn, wie in seiner besten Zeit. Und darüber der arme Kopf und die Stirn mit dem Schatten des Wahnsinns, die zerstörte Schönheit und – ein Atelier auf dem Sonnenstein!“
Ein tiefes Dunkel ruht auf der Ursache des Wahnsinns dieser wunderbar begabten Künstlernatur. Vor vielen, vielen Jahren, so erzählte man mir, 182*, zog ein junger Zeichner, dessen auffallendes Talent ihm ein Reisestipendium verschafft, von Dresden nach Rom. Die damaligen Professoren der Akademie entsetzen sich mehr vor dieser sich ihnen enthüllenden Titanenkraft, als daß sie sich ihrer freuten, und waren im Grunde froh, den August Richter, dem die königliche Huld eine Stelle als Zeichenlehrer in Aussicht gestellt, los zu werden auf ein Jahr. Vielleicht kam er nicht zurück, vielleicht ließ er sich anderswo halten, zwölf Monate sind eine lange Zeit. Ein junger Maler, der Alles anders machte, als sie selber es seit Jahren lehrten und ausführten, war ein gefährliches Beispiel für folgsame Schüler. Man nahm ihm heimlich das Versprechen ab, künftighin genau nach den alten vorgeschriebenen Regeln Unterricht zu ertheilen, und ließ ihn ziehen. So ging er denn, den Kopf voller Ideale, das Herz voller Seligkeit den „schlimmen Weg“ – er pilgerte nach Rom.
Seine Ankunft dort fiel in die letzte Zeit des Aufenthalts Thorwaldsen’s daselbst. Der Adlerblick des großen Meisters erkannte sofort das eminente Talent jenes jungen Deutschen, der ihm bescheiden und doch voll edlen Künstlerbewußtseins allerlei Blätter vorlegte, Köpfe, Kindergruppen, Erntezüge, Cartons in mächtigen Zügen hingeworfen: Es war etwas in diesen Zeichnungen, das an die Hand Michel Angelo’s erinnerte, jene Hand die mit dem Hammer an das Knie des steinernen Moses schlug, während er, der Schöpfer der eben vollendeten Riesenstatue, in die Worte ausbrach: „Nun sprich!“ Thorwaldsen soll damals über August Richter geäußert haben: „In ihm steckt mehr als ein Maler!“ Der junge Künstler begann auch mit Eifer und Erfolg in der Werkstatt des nordischen Meisters zu arbeiten, und wer weiß, ob nicht die Blume dieses seltenen Talents in solcher Atmosphäre sich leuchtend entfaltet haben würde, wenn Thorwaldsen damals nicht von Rom geschieden wäre. Das war ein schmerzlicher Abschied, wenn auch voll Wiedersehenshoffnung. August Richter hatte sich in voller Begeisterung nur diesem Einen, Größten angeschlossen, und alle anderen Künstler waren ihm fremd und fern geblieben. Nun sah er sich ohne Halt und Führer. Dies erregbare Herz, diese empfängliche Seele erschrak plötzlich vor der Fluth von Eindrücken, wie sie in Rom heranrollt und aufschwillt wie ein Meer.
So stand er denn fortan einsam in aller Kunst- und Schönheitsfülle der ewigen Stadt, einsam vor der Wunderkuppel des St. Petersdomes, einsam vor der Götterschönheit, wie sie die Statuen des Alterthums enthüllen, einsam in der Sixtinischen Capelle vor der Majestät der Gestalten Michel Angelo’s, wandelte einsam in den Zaubergärten der Villen Ludovisi und Borghese. Da arbeitete er dann, wie Andere vielleicht ein Tagebuch schreiben, um das Erlebte oder Geschaute zu fixiren, oft halbe Tage lang ohne aufzuschauen, und am Abend streifte er umher, bis tief in die Nacht hinein; das Rom im Mondlicht war doch erst das eigentliche Wunder-Rom.
Länger als ein Jahr blieb August Richter in Rom, aber über der letzten Hälfte seines römischen Lebens hängt ein undurchdringlicher
- ↑ Die Memoiren, die Pfuel der Nachwelt hinterlassen wollte, sind bei einer Feuersbrunst zu Grunde gegangen. Vergl. Gartenl. 1865, Nr. 48.
- ↑ S. meine Erzählung: Ein Vergessener. Leipzig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_014.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)