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Seite:Die Gartenlaube (1867) 104.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

wollen oder sollen, da sei Jeder zur rechten Zeit auf dem Platze.

Im Concert und Theater bedenken nun Viele nicht, daß sie mit ihren Nächsten in nächster Nähe sich befinden, und werden ihrer Nachbarschaft gar nicht selten auf mannigfache Weise recht unangenehm. Zuvörderst sind es ebenso wohl- wie übelriechende Gerüche, die der Umgebung furchtbar lästig werden können. Zu den ersteren gehört ganz besonders das abscheuliche kopfschmerzmachende Patchouli, welches stets den Verdacht gegen den Parfümirten erregt, daß er etwas Stinkendes an sich hat, was er vertuschen will. Unter den übelriechenden Störungen sind aber, abgesehen von diesem und jenem Schweiße, die aus dem Munde sich entwickelnden Gerüche am wenigsten erträglich. Und wie oft kommt es nicht vor, daß sich unser Nachbar ganz nahe zu uns hinneigt, um uns mit seinem Munde ein „himmlisch“ in’s Ohr zu flüstern, während er gleichzeitig unserer Nase einen „höllischen Gestank“ zuduftet. Auch Raucher sind nicht gerade die angenehmsten Nachbarn, da an ihnen manchmal Alles nach Tabak riecht. Und die Moral? Wo Menschen nahe bei einander weilen, da halte Jeder auf einen reinen Dunstkreis und ganz besonders im Concert und Theater. – Es ist doch wahrlich nicht zu viel verlangt, wenn man in Kunsttempeln, wo Auge und Ohr schwelgen, die Nase nicht maltraitirt zu haben wünscht. Es dürfte deshalb den gebildeteren Besuchern des Theaters und Concerts wohl zu empfehlen sein, daß sie sich vor dem Besuche noch Mund und Zähne reinigen, nicht kurz vorher Käse, Meerrettig oder Zwiebeln essen, und daß sie nach Tabak oder Schweiß riechende Kleidungsstoffe ablegen.

Recht widerwärtig sind auch solche Nachbarn im Concert und Theater, die sich während der Aufführungen nicht ganz still verhalten, sondern mit ihrer Umgebung schwatzen, laut kritisiren, Melodien leise mitsingen, mit dem Fuße den Tact markiren, auf und mit dem Stuhl lebhaft agiren u. s. w.

Das Schwatzen ist leider nicht blos den Damen, sondern auch vielen Herren eigen, und den Stoff dazu liefert in der Regel dieser oder jener, zur Kunstproduction gar nicht gehörige lebende oder todte Gegenstand. Bei den Damen dienen meistens die Anhübschungsgegenstände, sowohl an den Künstlern wie an den Nachbarn, bei den Herren dagegen die angehübschten Theile zum Stoffe des störenden Gesprächs, was gar nicht selten trotz alles Pst’ens kein Ende nehmen will. – Das laute Kritisiren ist in den meisten Fällen eine Unart Solcher, die eigentlich über Kunst und künstlerische Leistungen gar nicht mitreden sollten und deren Weisheit gewöhnlich aus Journalkritiken stammt. – Das hörbare Mitsingen setzt die Nachbarn stets, aber ganz besonders dann in Verzweiflung, wenn es gegen die Melodie und die Musik überhaupt verstößt. Und gerade der Unmusikalische ist es meistens, der sich als überflüssiger Sänger unangenehm macht. - Das Tactpochen mit dem Fuße gehört, zumal wenn es gegen den Tact geschieht, durchaus nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens im Theater oder Concert, wohl aber zu den Rücksichtslosigkeiten, die wenig Tact zeigen. – Daß das stete Hin- und Herrutschen, das Rechts- und Linkswenden, das Vor- und Rückwärtsbeugen, das mit der Hand Auf- und Abfahren eine für die Nachbarschaft höchst beunruhigende Wirkung ausübt, möge vorzugsweise den quecksilberigen Damen gesagt sein.

Ueberlaut zu husten, und zu niesen ist ebenfalls, weil störend, rücksichtslos; man halte doch dabei das Tuch vor Mund und Nase; auch das Gähnen ist so gut als möglich zu verbergen. – Das geräuschvolle Umblättern des Textes könnte wohl auch wegfallen oder doch weit behutsamer und leiser als gewöhnlich geschehen, denn daß das dadurch erzeugte Rauschen eine angenehme Begleitung eines Pianissimo wäre, wird wohl Niemand behaupten. – Und die Moral? Wo durch’s Ohr sich Herzen laben, will man Still’ und Ruhe haben. – Beiläufig sei auch der Unart Erwähnung gethan, welche Manche insofern gegen die ihnen zur Seite Sitzenden begehen, als sie denselben den Rücken zukehren und nicht selten damit die Aussicht versperren.

Schließlich sollen noch Die, welche beim Kommen oder Gehen Diesem oder Jener die Hand darreichen, darauf aufmerksam gemacht werden, daß es höchst unschicklich und beleidigend ist, nur einen oder zwei Finger, oder auch die starr ausgestreckt bleibende Hand dem Bekannten hinzuhalten. Wenn überhaupt ein Handgeben, und zwar wo möglich barhändig, stattfinden soll, so sind stets die Hände mit gebogenen Fingern (wie beim Händedrucke) in einander zu legen.

Und nun noch ein Wort zu Denen, die sich über meine erste[WS 1] und wahrscheinlich auch über diese zweite Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute ennuyiren und raisonniren. Ihnen gebe ich auf den Kopf schuld, daß sie ganz gewiß gegen ihre Mitmenschen in verschiedener Weise rücksichtslos handeln und, weil sie die Wahrheit nicht hören wollen, den Verfasser ganz mit Unrecht der Rücksichtslosigkeit zeihen. Es wird aber trotzdem fortgestrafpredigt.

Bock.




Bewundert von drei Generationen.
Von Fr. Szarvady in Paris.


Man rühmt den Franzosen mit Recht eine große Andacht für ihre Nationalgrößen nach. Wer aber hat das geringe Häuflein gesehen, das sich jüngst dem Friedhof von Montparnasse zu bewegte, als eine Königin der Kunst zu Grabe ging, eine Künstlerin, welcher drei Geschlechter Ruhmeskränze wanden, eine Schauspielerin, für die Schlachten geschlagen worden sind, ein Weib, das gekrönte Häupter, den modernen Cäsar, zu seinen Füßen sah, eine Frau, welcher die besten Geister des Jahrhunderts ihre Huldigungen dargebracht haben! Dieser unscheinbare Sarg umfaßte Fräulein Georges, für welche, wie für Josua, die Sonne still stand und deren Lustren nicht mehr zählten, als für vergängliche Schönheit ein Jahr. Diese Künstlerin hatte das Unglück, nicht, wie die Rachel, im Augenblicke zu sterben, wo ihr Ruhm auf seinem Höhepunkte stand. Die Arme war bereits vergessen, ihre ruhmreiche Laufbahn reicht so weit zurück, daß man sie längst todt glaubte. Ja, diese berühmte Georges war verschollen, obgleich sie noch vor wenigen Jahren, im Greisenalter, ihre letzten dramatischen Lorbeern pflückte.

In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war ein gewisser Weymar Capellmeister und Director des Theaters in Bayeux und seine Frau die Soubrette der Gesellschaft. Dies waren die Eltern der Künstlerin Marguérite Georges, die 1786 geboren wurde. Man erzählt, daß die Geburtswehen über Frau Weymar kamen, während ihr Mann am Dirigentenpulte im Theater saß, wo gerade der Tartüffe von Molière aufgeführt wurde. Der zärtliche Gatte, welcher die Katastrophe nahe wußte, fühlte sich plötzlich von unsäglicher Angst erfaßt; zur Verwunderung seiner Musiker legte er mitten in der Symphonie, wie man damals die Zwischenactsmusik nannte, seinen Tactirstock nieder und rannte zum Theater hinaus. Ein dem Director nachgesandter Bote erklärte das befremdliche Betragen des Capellmeisters; er machte Meldung von dem Familienereignisse und fügte hinzu, daß die Mutter und das Kind sich des besten Wohlseins erfreuen. Gleich nach beendigter Vorstellung eilten die Musiker mit ihren Instrumenten vor die Wohnung ihres gern gelittenen Directors und bezeigten ihm ihre freudige Theilnahme durch ein Ständchen, das sie der Wöchnerin brachten. Die Nachricht des Boten aber war eine verfrühte und Frau Weymar stöhnte und ächzte oben im dritten Stockwerke, während unten ihre Niederkunft als eine glücklich vollzogene in der erwähnten harmonischen Weise begangen wurde. Vergeblich suchte der verzweifelte Weymar die ungelegenen Jünger Apollo’s fortzuweisen. Diese mißverstanden die heftigen Geberden, sie bliesen und geigten um so eifriger darauf los, je lebhafter von oben abgewehrt wurde. Die kleine Marguérite Weymar kam während des Concertes zur Welt. So geschah, wie gesagt, im Jahre 1786 zu Bayeux. Wie kommt es nun, daß Amiens sich lange Zeit rühmte, die Geburtsstadt der berühmten Schauspielerin zu sein?

Herr und Frau Weymar gefielen sich nicht lange in der Normandie und sie wandten ihren Schritt nach der Hauptstadt der Picardie, nach Amiens. Auf der Bühne desselben war es, wo Mimi Weymar als Kind ihre ersten Versuche machte. Die kleine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_104.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)
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