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Seite:Die Gartenlaube (1867) 216.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

damit der reisende Spätling mit seinem vielen Gepäcke ja noch zur rechten Zeit fortdampfen kann. Kommt er nicht mit fort, so setzt es für den Kutscher Grobheiten; kommt er mit fort, so setzt es trotzdem kein Trinkgeld. Denn das ist auch eine recht häufig zu bemerkende Eigenschaft Reisender, daß sie wohl Gefälligkeiten und Rücksichten beanspruchen, nicht aber gern solche erwidern, am allerwenigsten gern mit Münze belohnen. – Mit „Sie erlauben“ quetscht sich der Spätling und von den Coupéinsassen nichts weniger als gern Gesehene über die verschiedenen Beine und zwischen den Knieen der Getretenen hindurch auf den letzten noch freien Platz, aber nicht etwa, wie sich’s gehörte, mit einem Handköfferchen oder einer coupéfähigen Reisetasche, sondern mit einem monströsen, wenigstens dreimenschigen Nachtsacke, vielleicht auch noch mit mehreren Schachteln und Körben. Und dieses Reisegepäck, welches zum größten Theile in den Gepäckwagen gehört, findet nun nicht da, wo es sein sollte, seinen Platz, nämlich unter den Bänken oder auf den Netzen über den Köpfen der Mitreisenden, sondern auf, unter und zwischen deren Beinen, so daß diese förmlich eingekeilt und ihrer ganzen Freiheit beraubt sind.

Durch ein recht inhumanes Benehmen von Seiten der Reisenden hat nicht selten auf Zwischenstationen in der Nacht und wohl gar bei Regen- oder Schneewetter mancher auf den Zug Wartende zu leiden. Beeilt man sich nämlich, da der Dampfwagen hier nicht lange anhält, in ein Coupé einzusteigen, so wird man sofort durch ein barsches „Alles besetzt“ davor zurückgeschreckt. Läßt man sich endlich, nachdem auch aus allen andern Coupés heraus ähnliche Schreckversuche gegen uns vollführt worden sind, nicht mehr schrecken, sondern erzwingt sich mit Hülfe des Conducteurs den Einstieg in ein Coupé, so ergiebt sich schließlich, daß höchstens zwei bis drei Personen, die ihre Reiseeffecten über alle Sitze ausgebreitet und sich bequeme Nachtlager bereitet haben, die Allesbesetzer sind und uns durch das lange Hin- und Herlaufen auf dem zugigen Perron und das Suchen nach Unterkommen einen Schnupfen, wenn nicht Schlimmeres, zugezogen haben. Und dann wird man noch ein Grobian genannt, wenn man nach vielen Mühen endlich im Trocknen sitzt und Redensarten, die ganz am Platze sind, wie „unverschämt“, „rücksichtslos“, in seinen Bart hinein murmelt.

Während des Fahrens geht’s im Wagen unter der Reisegesellschaft auch nicht immer so zu, wie es zu wünschen wäre. Da giebt es z. B. eitle Schwätzer und zudringliche Aushorcher, die nicht blos ihre eigenen Hühner und Gänse preisgeben, sondern auch über die aller Mitreisenden Auskunft zu haben wünschen. – Da giebt es Pseudowachtels, die zur Qual nachbarlicher Ohren fortwährend ihre Lieblingsmelodien singen, trällern oder pfeifen. – Da giebt es Welche mit amerikanisch geschulten, nicht selten schmutzig bestiefelten Beinen, die sie, unbekümmert um Anstand und Sitte, überall hinlegen, nur nicht dahin, wohin sie gehören. – Da giebt es fanatische Ausluger, die auch in der ödesten Gegend, und wenn es die Nachbarn auch noch so sehr genirt, ihren Kopf alle Augenblicke zum Fenster hinausstecken und dadurch ihren Reisegefährten, wenn auch eine unpassende Aussicht, dafür aber die richtige Ansicht von der geringen Einsicht und Rücksicht Desjenigen in der Rückansicht verschaffen. – Da giebt es Nörgler aller Sorten, die lächerlicher Weise meinen, ihre Nörgelei finde das größte Interesse bei der Gesellschaft. Die Einen können sich über das Wetter, die Andern über das schlechte Nachtlager nicht beruhigen; die Einen wollen über die Höhe der Gasthofsrechnung, die Andern über das wenige und schlechte Essen und Trinken im letzten Quartier aus der Haut fahren; die Einen jammern über die Langsamkeit des Dampfwagens, die Andern über die Kürze des Aufenthalts. Kurz, fast Jeder prätendirt, daß auf der Reise Alles nach seinem Kopfe und seiner Bequemlichkeit gehe und daß er wie zu Hause die gewohnten Gemächlichkeiten habe. – Da giebt es schnarchende Schläfer, die bald ihrem rechten, bald ihrem linken Nachbar an die Brust sinken. – Da giebt es auch unvorsichtige Patrons, die, ohne die Reisegesellschaft zu kennen und gehörig gemustert zu haben, deren Gefühle auf verschiedene Weise arg verletzen, die sich z. B. über Schielende, Bucklige und Rothköpfe, sowie über Juden und Demokraten u. s. f. in so beleidigender Art auslassen, daß die davon Betroffenen ganz erschrocken dasitzen und nicht wissen, wie sie den Schwadroneur abtrumpfen sollen. – Verf. hat einen lieben Freund, und gewiß hat Mancher einen eben solchen, der überall, also auch im Coupé, sich in seinen Zwiegesprächen (nicht selten über Gegenstände, die nicht die ganze Umgebung zu hören braucht) in der Regel so laut und mit solchem Redeeifer, als stände er auf der Kanzel oder dem Katheder, weit hin hören läßt, daß, wer auch nicht will, doch zuhören muß. Und dies ist manchmal recht störend.

Hat man dann auf der Reise den Tag über die mannigfaltigsten Unannehmlichkeiten, Aergernisse und Strapazen ausgestanden und freut sich nun auf die erquickende Ruhe im Nachtquartier, so wird diese Freude in der Regel dadurch verbittert, daß durch die entsetzlich dünnen Wände, Fußböden und Thüren des Hotels die ruheraubenden Unarten unserer Stubennachbarn recht vernehmlich zu uns dringen und uns nicht zum Schlafen kommen lassen. Denn das Rumoren vor, hinter, über und unter uns, rechts und links von uns hört meistens spät in der Nacht erst auf und fängt gewöhnlich am frühesten Morgen schon wieder an.

Unser Stubennachbar zur Rechten scheint zu Hause ein fideler Nachtschwärmer zu sein, jedenfalls ein Weinreisender, denn singend und pfeifend chassirt er, und noch dazu in Stiefeln, die knarrende Stube bis nach Mitternacht auf und ab, seine Cigarre laut pustend rauchend und ein Fläschchen Wein dazu trinkend. Und dabei steht man natürlich fortwährend die schweißtreibende Angst aus, daß er vielleicht gar noch seine Ziehharmonika aus dem Koffer auspackt und sich eine Polka zieht. – Ueber uns logirt dagegen ein Mißlauniger; er fährt wie eine congrevische Rakete und so auftretend, daß man fürchtet, die Decke stürze über uns ein, in der Stube hin und her, um den Stiefelknecht zu suchen, und wirft schließlich denselben sammt den Stiefeln, deren er sich unter fortwährendem Gepolter mit Mühe entledigt hat, gegen die Thüre, daß diese kracht. – Unter uns ergeht sich ein Virtuosenembryo in Fingerübungen auf einem verstimmten Claviere, und zwar mit solcher Consequenz, daß er uns auch nicht eine Note vor Abhaspelung des Pensums erläßt. – Unsere linke Stubennachbarschaft besteht aus einem mit einander hadernden Ehepaare, dessen schluchzende weibliche Hälfte sich durchaus nicht von der bald bittenden, bald die Reise verwünschenden männlichen Hälfte beruhigen lassen will. Erst ein nach langem Hin-, Her- und Zureden gefallener Versöhnungskuß bringt endlich uns und den erregten Gemüthern der Eheleute die sehnlichst erwünschte Ruhe zum sanften Entschlafen.

Den schönen Schlaf vor Mitternacht auch schön schlafen zu können, das dürfte in einem besuchten Hotel zu den Seltenheiten gehören. Denn wenn auch unsere nächste Stubennachbarschast endlich zur Ruhe gekommen ist, so giebt es doch stets noch Nachzügler, die das Einschlafen vereiteln. Entweder stolpern sie die Treppe trappsend, lachend oder überlaut schwatzend herauf, oder sie werfen die Thüren von den verschiedenartigen Gemächern krachend hinter sich zu, oder sie schmeißen ihr Schuhwerk polternd vor die Thür auf den Saal, oder sie setzen den Hausknecht, das Zimmermädchen und den Kellner einer Kleinigkeit wegen in lauten Trab u. s. f.

Kommt man endlich zum Schlafen, so ist aber von Ausschlafen noch keine Rede, denn lange vor Tagesanbruch trommelt der rothgeschürzte und die geputzten Stiefeln unsanft auf den Boden hinwerfende Johann schon an verschiedenen Thüren und brüllt mit trockner Kehle: „Sie! aufstehen, es ist halb Viere, Ihr Zug geht um Fünfe!“ Jetzt entwickelt sich nun, in Folge des Einpackens, Tisch- und Stuhlgerückes, Morgentoilettemachens, Rufens nach Diesem und Jenem, Commandirens und Frühstückens u. dergl., allmählich ein solcher Mordspectakel, daß ein Scheintodter davon erwachen könnte. – Ist nun schon in Hotels zwischen Gesunden das bezeichnete inhumane Thun und Treiben der Gäste ein ganz verwerfliches, so wird es in Bädern, wo der Kranke vor allen Dingen Ruhe zur Wiedererlangung seiner Gesundheit braucht, geradezu zum Verbrechen. Und das mögen sich besonders die Gesunden in Bädern merken.

Das wäre denn ein Blick auf die Nachtseite der reisenden Menschheit. Und fragen wir, ob das Gebahren der meisten Reisenden gegen ihre Mitmenschen wirklich nicht anders sein kann, trotzdem es doch gegen die Gesetze der Humanität so arg verstößt, so ist die Antwort: es wäre sicherlich ein ganz anderes und gewiß ein humanes, wenn jeder Reisende dächte:

Was Du nicht willst, daß man Dir thu’,
Das füg’ auch keinem Andern zu.

Bock.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_216.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)
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