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Seite:Die Gartenlaube (1867) 217.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Photographien aus dem Reichstag.
Von einem Mitgliede desselben.
I.


Von Frankfurt nach Berlin, von der Paulskirche in’s preußische Herrenhaus – das ist ein weiter Schritt. Nicht ein Jeder ist geneigt, nicht ein Jeder ist innerlich frei genug, diesen weiten Schritt jetzt schon mit zu machen. Ich weiß das, ich fühle das, ich verstehe das. Und doch ist es ein weiter Schritt – vorwärts. „Die Hälfte ist mehr als das Ganze,“ heißt ein berühmtes Wort eines griechischen Philosophen. Ich nehme keinen Anstand, es auf uns, die Vertreter der deutschen Lande nördlich vom Main, im Gegensatz zu den in der Paulskirche versammelten Vertretern von ganz Deutschland, einschließlich Oesterreichs, seinem vollen Umfange nach anzuwenden. Denn das Frankfurter Ganze war in Wahrheit doch nicht das Ganze. Wir hielten es nur dafür, in Wahrheit war es nur ein Dritttheil. Neben den Männern in der Paulskirche tagte die preußische Nationalversammlung in Berlin, tagte der österreichische Reichsrath in Kremsier; beide mit schlecht verhehlter Eifersucht gegen die Beschlüsse der Paulskirche, beide mit dem ausgesprochenen Hintergedanken, von den zufälligen Mehrheiten des Frankfurter Parlaments sich nimmermehr die Geschicke Preußens oder Oesterreichs dictiren zu lassen. Wer in Frankfurt mit vollem Ernst, mit wirklicher Hingabe an den ausgesprochenen Zweck des Parlaments vertreten war, das waren allein die deutschen Mittel- und Kleinstaaten, nicht aber Preußen und noch viel weniger Oesterreich. Wir wissen das jetzt, oder sollten es wenigstens wissen.

Neben uns tagt Niemand. Nicht der österreichische Reichsrath, dem wir nichts mehr vorschreiben wollen noch können, nicht der preußische Landtag, dessen Rechte unsere eigenen Rechte sind, und Gott sei Dank auch nicht das Sonderparlament eines süddeutschen Bundes, dessen unheimliche Aufgabe nur sein könnte, die feine diplomatische Scheidelinie am Main zur wirklichen Grenzlinie zu erweitern. Neben uns tagt höchstens jenseits des Rheins der französische gesetzgebende Körper und sieht mit sehr gemischten Empfindungen uns zu, wie wir, ohne viele Worte zu machen, nach fest gegebenem Plane einen Grundstein auf den anderen schichten zu dem Massivbau der deutschen nationalen Einheit. Lassen wir ihn ruhig zusehen.

Von Frankfurt nach Berlin, von der Paulskirche in’s preußische Herrenhaus – das ist ein weiter Schritt vorwärts. Aber es ist auch der Uebergang aus dem mondbeglänzten Zauberland der Poesie in das tageshelle Reich der nüchternen Wirklichkeit. Die Glocken klangen nicht vom Thurme herab, als wir heute vor vier Wochen zur Eröffnungsfeier uns auf den Weg machten; wir waren nicht umwogt und umbraust von Tausenden und aber Tausenden jubelnder, jauchzender, begeisterter Menschen, und keine Maiensonne schien hell und warm, kein Frühlingshauch, kein Blüthenduft erfüllte die Luft am Mittag des 24. Februar, wie damals am 18. Mai, als in der alten Kaiserstadt am Main die Männer des ersten deutschen Parlaments in feierlichem Zuge vom Dome nach der Paulskirche gingen. Berlin war still, frostig still.

Ein paar hundert Menschen standen wohl im Lustgarten und auf der Schloßfreiheit umher; aber sie hätten doch kein warmes Wort des Grußes für uns gehabt, auch wenn die zahlreichen ordnunghaltenden Schutzmannschaften es verstattet hätten. Sie hatten nur Augen für die glänzenden Equipagen, für die reichaufgeschirrten Pferde, für die goldgestickten, ordengeschmückten Uniformen der Reichstagsmitglieder, nicht für die Reichstagsmitglieder selbst. Es war ein Act der hohen Politik, zu dem wir in das Schloß berufen waren. Die Regierung hatte ihn im Staatsanzeiger angeordnet wie einen anderen Regierungserlaß auch; das Hofmarschallamt hatte Programm und Ceremoniell dafür vorgeschrieben; wir selbst wußten, wie und wann wir zu erscheinen, unsere Kutscher wußten, wo sie an- und abzufahren hatten – was hatte das Volk dabei zu thun? Die Köpfe, die dies Werk geplant, sie standen viel zu hoch; die Hände, die hier die Knoten geschürzt, sie waren ihm viel zu fein. Aus langen, geheimnißvollen Berathungen mit einundzwanzig Regierungen war der Entwurf einer Verfassung für den norddeutschen Bund hervorgegangen und der ganze düstere Ernst des letzten Sommers hatte dazu gehört, um dies Werk zu zeitigen; in dringender Hast waren die Wahlen ausgeschrieben und weitaus zu Gunsten der Regierungen ausgefallen; in raschester Folge hatte sich die Einberufung des Reichstags daran gereiht – war das Alles in des Volkes Interesse geschehen? Barg das gemeinsame Werk so vieler Diplomaten mit seinen kargen Bestimmungen über Reichstag und Finanzen kein Attentat auf verbriefte verfassungsmäßige Volksrechte in seinen Falten? Wie Viele wußten es von den Hunderttausenden Berlins – wußten wir selbst es?

Es war das ernste Reich der nüchternen Wirklichkeit, das uns auf allen Seiten umfing. Leben heißt Kampf, Leben heißt Arbeit, Leben heißt Ordnung und Maßhalten; hier in den glänzenden Räumen des Hohenzollernschlosses blickten uns diese ernsten Begleiter des Lebens, trotz all’ der reichen großartigen Pracht, aus allen Ecken an. Ja, sie haben gekämpft, die Hohenzollern, sie haben gearbeitet, sie haben Ordnung und Maß gehalten – Jahrhunderte lang – bis sie aus armen schwäbischen Junkern Burggrafen von Nürnberg, Kurfürsten von Brandenburg, Könige von Preußen wurden. Und der letzte Hohenzoller, der uns heute hierher entboten, hat er nicht vor Allen kämpfen und arbeiten, Ordnung und Maß halten müssen, bis er als erster und mächtigster deutscher Fürst die Geschicke unseres Volkes in seine Hand nehmen konnte? Gewiß, hier in diesen Räumen waltete sein Wille und nicht der unsrige; gewiß, hier ging Alles her nach seinem Gebot, nicht nach dem unsrigen. Aber das Bewußtsein drängte sich doch und auch unabweisbar einem Jeden auf: dieser Wille war mächtig nicht blos uns gegenüber; dieses Gebot hatte Nachdruck und nicht blos uns gegenüber. Macht aber und Nachdruck, die waren es ja, an deren Mangel das Werk von Frankfurt gescheitert, die waren es ja, deren wir für das zu gründende deutsche Reich vor Allem bedurften, und die nüchterne, ernste Wirklichkeit hier in Berlin ist demnach für die Erreichung unseres Zweckes am Ende doch wohl geeigneter, als all’ die Poesie und Romantik damals in Frankfurt.

Ich weiß nicht, ob in eines Jeden Brust all’ diese ernsten, widerstreitenden Gedanken Beifall fanden. Mir wenigstens war es schwer zu Muthe, als ich über die Schloßbrücke zur Eröffnungsfeier fuhr und durch die Gänge des königlichen Schlosses hinschritt, um hinauf zu steigen in die Capelle zum Gottesdienst. Das wimmelte da von flimmernden, ordenbeladenen Uniformen, so daß das ohnehin schon so reich mit Gold und Marmor und Gemälden geschmückte Gotteshaus nur noch bunter und schimmernder erschien. Ein Werk, das mit so viel feierlichem Ernst eingeleitet wird, das muß ja wohl auch ehrlich gemeint sein. Die denkwürdige Thronrede, die wir wenige Minuten später im Weißen Saale vernahmen, gab uns Allen die sichere Bürgschaft, daß das uns vorzulegende Verfassungswerk aus dem ernsten Willen hervorgegangen sei, auf den Grundlagen der bestehenden Freiheiten des deutschen Volkes auch seine Einigung herbeizuführen, und weithin erscholl darum auch kräftig und begeistert das zweite Hoch auf den König, als er freundlich grüßend den Saal wieder verließ. Es war ein Sonnentag in der Geschichte der Hohenzollern, wie er noch nicht dagewesen ist. Auf dem Thron stand der greise Vater der nach schwerer Mühe das Werk vollbracht sah; ihm zur Rechten, eine Stufe höher als die übrigen Prinzen, stand in vollster männlicher Kraft der Sohn und nächste Erbe der jetzt so reich begnadeten Krone, und von der Tribüne oben schaute, wenn auch als zartes Kind, der Enkel dem Werke zu, dessen Grundstein zu legen Vater und Sohn da unten im Begriff standen. Drei Geschlechter wirkten mit bei diesem Hohenzollernwerk. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen, daß sie es nimmer wieder aus den Händen lassen!

Es stand noch ein Mann bei der Eröffnung des Reichstags, dem Könige näher als alle Anderen. Er stand nicht auf einer Stufe des Throns wie der Kronprinz und auch nicht zur Rechten wie die übrigen Prinzen, denn er war kein Prinz. Er stand links im Saal, dem Thron zunächst, in weißer Kürassier-Uniform und mit einem Gesicht so bleich, daß man zweifelhaft sein konnte, was weißer sei, ob das Tuch des Rockes oder das Gesicht des Mannes. Man sah es wohl, der Mann war körperlich schwer

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_217.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2017)
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